Tracks
„Tracks“ nennt sich die aktuelle Ausstellung der Künstlerin Petra Polli, organisiert von der Kunsthalle West im Palais Mamming Museum am Pfarrplatz 6 und kuratiert von Ulrich Egger
Durch ihre Streifzüge in den Wäldern gelangt sie an scheinbar unberührte Orte der Natur, an denen keine Orientierung herrscht und gewohnte von Menschenhand geschaffene Strukturen nicht existieren. Zeit scheint hier stillzustehen; der sinnlichen Verschwendung menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit ist Einhalt geboten. Nichts ist von starrer Allgemeinheit, alles ist im Fluss, ist Auflösung und Erneuerung entworfen.
Lange bestimmte die Auseinandersetzung mit dem öffentlichen und vor allem dem urbanen Raum, mit seinen Symbolen, der Besetzung von Orten und der Dynamik architektonischer Strukturen das künstlerische Schaffen Petra Pollis und bildete einen wiederkehrenden inhaltlichen Fokus. Doch mit den Bildern, die seit 2013 unter dem Titel „Tracks“ entstehen, begibt sich die Künstlerin auf neue, unbekannte Wege und taucht motivisch tief in das Dickicht des Waldes ein. Sie unternimmt Streifzüge durch den Wald, gelangt an Orte in der Natur, scheinbar unberührt, an denen keine Orientierung herrscht und gewohnte, vom Menschen geschaffene Strukturen nicht existieren. Einzig in den Titeln, die GPS-Koordinaten bezeichnen, verbirgt sich eine genaue Ortsbestimmung; der einzige Ausgriff Pollis hinaus in die technisierte Welt der Zivilisation. – Dort, in der Ruhe des Waldes, innerlich ganz bei sich selbst, nach außen mit den Sinnen nur die Einheit der Natur des Waldes spürend, sie hereinlassend wie ein reinigendes, heilsames Remedium gegen die angesammelten Eindrücke, die die Sinne des Großstadtmenschen kontaminieren, findet Polli Impulse für ihre Werke. Zeit, diese kostbarste Ressource unserer hochtechnisierten Zivilisation, scheint hier stillzustehen; der ungehemmten Beschleunigung, der Überforderung der Sinne, der sinnlosen Verschwendung menschlicher Aufnahme- und Wahrnehmungsfähigkeit ist hier Einhalt geboten. An ihre Stelle tritt zunächst etwas Nichtgreifbares, Unbestimmbares, das die menschliche Natur wieder nur auf sich selbst zurückwirft und mit etwas konfrontiert, das in der Überfrachtung der Sinne und Gedanken heute zunehmend schwieriger erscheint: Das Erspüren der Essenz des eigenen So-Sein im Hier und Jetzt. Polli selbst beschreibt dieses Gefühl sehr eindrücklich als die „Magie des Waldes (…) Diese eine Stimmung, diese eine Energie“, die die Künstlerin in sich aufzunehmen versucht.
Als Gegenmodell zu Pollis städtischen Motiven ist die in den Gemälden der Werkgruppe „Tracks“ dargestellte Natur wild und ungezähmt. Ausgangspunkte für diese Malereien sind Farbfotos, aber auch Skizzen – weniger im Sinne eines Naturstudiums, sondern in farblicher wie auch formaler Reduktion –, die die Künstlerin vor Ort, also in der Natur, anfertigt und die ihr später im Atelier als Vorlagen für ihre malerischen Abstraktionen dienen. Grundlage für Pollis Arbeiten ist somit nicht eine genaue Beobachtung konkreter Pflanzen oder die Abbildung botanisch korrekter Gesetzmäßigkeiten, sondern vielmehr ein zeichnerisches Nachvollziehen des Wahrgenommenen, das auf das Greifbarmachen des Möglichen abzielt. Denn in der Reduktion und Konzentration auf primär sichtbare Strukturen, gewissermaßen als ‚Mazerat‘, als Essenz und Erinnerungsbild, sind nur die ‚Kraftlinien‘ erhalten geblieben, die der erinnerten Waldszenerie ihre Struktur verleihen und mittels derer sich jeweils eine Eigendynamik der Malerei des Bildes entwickelt. Neben diesen Primärstrukturen des Erinnerungsbildes, den hier sogenannten Kraftlinien, ist in vielen Gemälden Pollis der Farbauftrag im wahrsten Sinne besonders vielschichtig: Zwischen tiefschwarzen, oft scharf konturierten Lineamenten finden sich zarte Grauabstufungen und wolkige Farbakkumulationen, die den Blick in eine ungreifbare Tiefe leiten. Der Bildraum öffnet sich in eine weite Ferne, die in wässriger Unbestimmtheit schimmert und Muster aus nebulösen Gebilden hervorzaubert. Die spielerische Verunsicherung der Wahrnehmung beim Wechsel zwischen Mikro- und Makrostrukturen ist hier zur künstlerischen Strategie geworden.
Diese mit den Mitteln der Abstraktion verbildlichten Transformationsprozesse können als eindrückliche künstlerische Kommentare Pollis auf eine immer im Wandel begriffene Natur gelesen werden, in der ein Zustand immer nur den Übergang zu einem anderen bedeutet. Nichts ist von starrer Allgemeingültigkeit, alles ist im Fluss, amorph, dehnt sich aus, fließt ineinander und ist kontinuierlicher Veränderung, ist Auflösung und Erneuerung unterworfen. Dieser Wandel und seine Dynamik bilden das eigentliche Thema der Folge „Tracks“, deren Werke den unendlichen Kreislauf von Werden und Vergehen behandeln, der sich in hunderten Formen artikuliert, in hunderte Richtungen ausgreift, die alle zusammen einen einzigen Organismus bilden – ebenso wie Mensch und Natur in vielfältigen Wechselwirkungen stehen und letztlich untrennbar als Einheit verbunden sind.
(Auszug aus dem Katalogtext „Into the Wild“ von Jan T. Wilms)
Dauer der Ausstellung : bis zum 18. September 2020. Öffnungszeiten: Montag-Samstag 10.30-17.00 Uhr bei freiem Eintritt. Die Besucher erhalten auch freien Zugang zu den übrigen Museumsbeständen des Palais Mamming.
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