Die ganze Flucht-Geschichte
Die Kassation hat ihr erstes Urteil mit verkürztem Verfahren zu einem in Südtirol lebenden Asylwerber erlassen, dessen Asylantrag abgelehnt worden war. Und der nun doch bleiben darf.
von Thomas Vikoler
Lange war unklar, welche Berufungsinstanz über einen abgelehnten Asylantrag zu entscheiden habe. Bis die Kassation im Februar 2018 entschied, dass allein das Landesgericht Trient dafür zuständig ist.
Auch mit diesem hatte der F.N., ein in Bozen gestrandeter Flüchtling aus Ghana, zu tun. Am 15. Oktober 2018 befand das Trienter Zivilgericht, dass die zuständige Asylkommission von Verona am 18. Jänner 2018 F.N.s Antrag zu Recht abgewiesen hatte. Die von ihm erzählte Geschichte über seine Flucht von Ghana über Libyen nach Italien sei „unglaubwürdig und inkohärent“, wie die Kommission befand.
Doch der Mann aus Ghana, der vom Bozner Anwalt Alessandro Fabbrini vertreten wird, hatte eine letzte Chance, die Ablehnung seines Asylantrages anzufechten. Die Kassation.
Inzwischen war auch F.N.s Ehefrau Kinder nach Italien gelangt, wo sie zwei gemeinsame Kinder gebar. Also verwies Anwalt Fabbrini in seiner Kassationsbeschwerde auch auf das vorgesehene Recht auf die Einheit der Familie, also auf humanitären Schutz.
Am 20. November 2019 hob die Kassation das Urteil des Landesgerichts Trient umfassend auf. Aus der nun vorliegenden Begründung des Entscheids geht hervor, dass die beiden ersten Instanzen die Asylberechtigung von F.N. lediglich oberflächlich geprüft haben. Auch von Widersprüchen in der Begründung des Urteils des Trienter Landesgerichts ist die Rede.
„Die Erzählung des Antragsstellers wurde in Bezug auf einige Details als nicht glaubwürdig angesehen, aber es wurde nichts zu seinem Aufenthalt in Libyen festgestellt“, schreibt die Kassation.
Der Mann aus Ghana war im Jahre 2011 von seinem Herkunftsland nach Libyen gelangt und verbrachte dort insgesamt sechs Jahre. Laut Kassation hätte die Asylkommission prüfen müssen, ob F.N. im nordafrikanischen Land einer besonderen „Vulnerabilität“ ausgesetzt war.
Das alles muss nun ein neuer Richter des Landesgerichts Trient tun, an welches die Kassation den Fall rückverwiesen hat. Nicht nur das: Das Gericht muss untersuchen, wie stark der afrikanische Flüchtling und seine Familie inzwischen in Südtirol verwurzelt sind. Und ob nicht doch der Anspruch auf humanitären Aufenthalt besteht. Hierzu haben die Vereinigten Sektionen der Kassation im November 2019 entschieden, dass bei der Prüfung eines Schutzes aus humanitären Gründen die aktuelle Situation eines Antragstellers mit jener im Herkunftsland verglichen werden muss. Mit dabei zu berücksichtigen sei das Ausmaß der Integration im Aufnahmeland.
Bis das alles geklärt ist, darf F.N. weiterhin im Lande bleiben. Etwaig kann er gegen das zweite Trienter Urteil Kassationsbeschwerde einlegen und damit mindestens ein weiteres Jahr Aufenthaltsrecht gewinnen.
Der Kassationsentscheid ist der erste eines in Südtirol lebenden Asylwerbers nach dem verkürzten Verfahren. Denn ursprünglich konnte ein abgelehnter Asylantrag auch vor dem Oberlandesgericht angefochten werden. Er legt das Prinzip fest, dass bei der Prüfung der Asylberechtigung die gesamte Geschichte einer Flucht zu berücksichtigen ist.
Ähnliche Artikel
Kommentare (5)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.
george
Und wie ist es in anderen europäischen Staaten? Was urteilt ihr doch immer voreilig!