Gesenkte Hürde
Das römische Parlament bastelt an einem neuen Wahlgesetz. Die regionale Sperrklausel für Parteien der Sprachminderheiten könnte auf 15 Prozent gesenkt werden
Von Matthias Kofler
In der Abgeordnetenkammer haben die Anhörungen zum neuen Wahlrecht begonnen. Diskussionsgrundlage ist ein Gesetzentwurf des Fünf-Sterne-Abgeordneten Giuseppe Brescia, der dem Verfassungsausschuss vorsitzt.
Was sieht der Brescia-Text vor?
Grundsätzlich soll in Italien künftig nach dem reinen Verhältniswahlsystem gewählt werden. Dies gilt sowohl für die Abgeordnetenkammer als auch für den Senat, die – sollte das Verfassungsreferendum im Herbst erfolgreich sein – ab der nächsten Legislaturperiode jeweils um ein Drittel verkleinert werden. Für die Kammer gibt es italienweit dann insgesamt 27 Wahlkreise, für den Senat deren 20.
Der Entwurf sieht aber zwei Ausnahmen vor: Aostatal und Trentino-Südtirol. Im Aostatal werden Kammer und Senat in einem einzigen Wahlkreis nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. In Trentino-Südtirol wiederum bleiben die sechs Einer-Wahlkreise für den Senat erhalten, wie sie Artikel 111 der Verfassung vorsieht. Das Mandat erhält jeweils der meistgewählte Kandidat/ die meistgewählte Kandidatin im Wahlkreis.
Auf nationaler Ebene soll für die Kammer künftig eine Sperrklausel von fünf Prozent gelten (derzeit liegt sie bei drei Prozent). Für den Senat wird die regionale Zugangshürde bei 15 Prozent festgesetzt (derzeit 20 Prozent). Parteien, die diese Hürden nicht meistern, erhalten keinen Sitz im Parlament. Koalitionen von mehreren Parteien werden hingegen untersagt.
In Südtirol ist die sogenannte Schutzklausel für sprachliche Minderheiten von besonderem Interesse: Demnach soll die für die Kammer geltende Hürde innerhalb der Region von derzeit 20 auf 15 Prozent reduziert werden. Das heißt: Die SVP und die deutschen Oppositionsparteien bräuchten in Südtirol „nur“ mehr 30 Prozent ergattern, um in den Palazzo Montecitorio einzuziehen.
Wie die SVP-Kammerabgeordnete Renate Gebhard betont, ist der Brescia-Gesetzentwurf derzeit noch weit von einer parlamentarischen Mehrheit entfernt. Vor allem die Sperrklauseln und die Anzahl der Wahlkreise sorgten innerhalb der Regierungsfraktionen für Meinungsverschiedenheiten. Ohne Einigung innerhalb der Mehrheit sei das Gesetz „von vorneherein zum Scheitern verurteilt“, betont Gebhard.
Die Rechtsexperten haben bei ihren Anhörungen davor gewarnt, dass ein reines Verhältniswahlrecht Italien ins Chaos stürzen und größere Instabilität mit sich bringen werde. Daher brauche es ein Korrektiv, um die Regierbarkeit und die Repräsentativität zu gewährleisten und sicherzustellen, dass eine Regierung für ihre Entscheidungen auch die volle Verantwortung übernimmt. Die Professoren schlugen einen Mehrheitsbonus sowie ein Mischsystem mit Einer-Wahlkreisen und Mehrheitswahlrecht vor.
Sollte der Gesetzentwurf keine parlamentarische Mehrheit erhalten, bliebe das aktuelle Wahlgesetz in Kraft. Dieses sieht eine Mischung aus Mehrheits- und Proporzsystem vor. In Südtirol würde es für die Kammer zwei Einer-Wahlkreise geben, wo jeweils der Meistgewählte ein Mandat erhält. Die restlichen drei Kammersitze würden auf regionaler Ebene nach dem Verhältniswahlrecht vergeben.
Die SVP schlägt vor, in der Region Trentino-Südtirol die Abgeordneten beider Parlamentskammern nach dem Mehrheitswahlrecht wählen zu lassen, so wie es 2018 der Fall war. Dies sei „die gerechteste Variante“, meint Renate Gebhard. Für die Opposition würde das bedeuten, dass sie sich zusammenschließen müsste, um der SVP zumindest einen Wahlkreis abluchsen zu können.
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