„Das ist kein Geheimnis“

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Der Professor für Nutztierwissenschaften Matthias Gauly ist über die katastrophalen Zustände bei Tönnies nicht überrascht. „Das ist bereits seit Jahren bekannt.“
von Eva Maria Gapp
Massentierhaltung, ausbeuterische Arbeitsbedingungen und mehr als 1.500 mit Corona infizierte Mitarbeiter: Nach dem Skandal rund um den deutschen Fleischkonzern Tönnies wird der Ruf nach einem Umdenken immer lauter. Tönnies liefert Fleisch auch an Südtiroler Betriebe.
Matthias Gauly, Professor für Nutztierwissenschaften in Bozen, kennt die Szene genau. Er sagt: „Ich verstehe nicht ganz, warum jetzt viele so tun, als seien sie überrascht über die Situation. Diese ist bereits seit Jahren bekannt und wird auch schon seit Jahren bemängelt. Das ist wirklich kein Geheimnis. Ich kann nur den Kopf darüber schütteln, dass die Leute erst jetzt darüber nachdenken.“
Jeder würde in der Szene wissen, „dass die großen deutschen Schlacht- und Schlachtverarbeitungsunternehmen deshalb so erfolgreich sind, weil sie vor allem über Billiglöhne die Konkurrenz in Belgien, Dänemark und Holland aus dem Wettbewerb genommen haben. Aufgrund des in Deutschland abgelaufenen Konzentrationsprozess schlachtet und verarbeitet niemand so billig wie die Deutschen – und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie im Lohnniveau deutlich unter den Konkurrenten aus dem Ausland sind.“
Das habe auch dazu geführt, dass es nur mehr wenige Schlachtunternehmen in Deutschland gibt. Tönnies schlachte pro Tag ungefähr 25.000 Schweine. „Das bedeutet, die Schweine werden in Europa herumtransportiert, es gibt lange Transportwege. Die Schweine müssen oft in der Hitze stundenlang vor der Endladung ausharren. Denken Sie alleine daran, was die alltäglichen Staus auf deutschen Autobahnen bedeuten. Das sind Bedingungen die mit unserem Verständnis nichts zu tun haben. Denken wir auch daran, wie es den Schweinen in den Ställen geht, die auf ihre Schlachtung warten. Denken wir an die Situation in den Ferkelställen, die schon längst hätten zum Mäster verbracht werden müssen. Die Stallungen müssen momentan heillos überbelegt sein“, sagt er.
Aber auch die Anforderungen an die Schlachtbetriebe seien so hoch geworden, dass viele kleine Metzgereien schließen mussten. „Das hat natürlich den großen Playern in die Hände gespielt“, sagt Gauly.
Auch der Moraltheologe Martin M. Lintner übt scharfe Kritik an derartige Praktiken: „Dieser Skandal zeigt nochmals deutlich, wie katastrophal die Zustände in der Schweinehaltung und in den Schlachtbetrieben sind. Gleichzeitig wird deutlich, dass Menschen unter äußerst prekären Arbeitsbedingungen arbeiten und leben müssen. Das ist fast schon sklavenartig.“
Bezogen auf Südtirol sieht Lintner vor allem problematisch, dass das Land solches Tönnies-Fleisch ankauft, um dann daraus Speck zu produzieren. „Das heißt, Südtiroler Konsumenten finanzieren diese schlechten Arbeits- und Tierbedingungen mit. Das ist wirklich ein Problem.“
Aus seiner Sicht müsste das ganze System kritisch beleuchtet und hinterfragt werden: „Wir Südtiroler müssen uns wirklich fragen, ob wir wollen, dass als Südtiroler Speck deklariert wird, wo das Fleisch aus weit entfernten Ställen kommt, die den Vorstellungen der allermeisten nicht entsprechen. Ich denke, dass die Produzenten jetzt auf maximale Transparenz setzen müssen. Sie müssen offen legen, woher das Fleisch kommt, welches Fleisch verarbeitet wird, welche Arbeitsbedingungen in den Schlachtbetrieben herrschen usw.“
„Das Südtiroler Speckkonsortium wird sich jetzt auch die Frage stellen müssen, ob sie solche Fleischlieferanten wie Tönnies in Zukunft weiterhin unterstützen möchte“, fügt Gauly hinzu.
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