Inklusion
Die Bozner Kunsthistorikerin Martina Oberprantacher übernimmt die Nachfolge von Herta Torggler im Kunsthaus Meran. Welche Ideen, welche Vision hat sie für eine der bedeutsamsten Kunstinstitutionen Südtirols.
Tageszeitung: Frau Oberprantacher, Herta Torggler hat das Kunsthaus Meran aufgebaut und fast ein Vierteljahrhundert mit Erfolg geleitet. Sie treten ein großes Erbe an.
Martina Oberprantacher: Ja, das stimmt. Das ist mir absolut bewusst. Ich schätze Herta Torggler und ihre Arbeit sehr. Sie hat mit großem Engagement und viel Ausdauer das Forum für zeitgenössische Kunst – seit 2001 Kunst Meran – weiterentwickelt und das Programm des Kunsthauses maßgeblich geprägt. Sie hat es auch immer verstanden, den Verein, den Vorstand und das Team auf die zukunftsgerichtete Entwicklung der Kunstinstitution einzustimmen und alle Beteiligten für die geplanten Projekte zu begeistern. Kunst Meran ist, dank ihrer beständigen Arbeit und ihrem Geschick, ein Gemeinschaftsprojekt und hat sich zu einer der bedeutsamsten Kunstinstitutionen Südtirols entwickelt. Herta Torggler und ich werden ein halbes Jahr Seite an Seite arbeiten und somit eine sanfte Übergangszeit einläuten. Ich freue mich sehr, von ihrer langjährigen Erfahrung lernen zu können und bin mir auch sicher, dass wir uns gut ergänzen werden. Ich bringe die Auslandserfahrung an einer großen Institution mit und habe mich durch meine Vermittlungsarbeit stets mit den Bedingungen von Kunstinstitutionen beschäftigt – oft auch aus einer politischen und systemkritischen Perspektive.
Bis vor kurzem waren Sie Leiterin der Bildung und Vermittlung an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München. Was reizt Sie an der Direktionsstelle in Meran?
In erster Linie reizt mich das strategische, vernetzte und kommunikative Arbeiten. Und das haben die Vermittlungs- und die Direktionstätigkeit gemein. Das ist aber keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal dieser beiden Tätigkeiten – dies gilt gleichermaßen für die kuratorische Tätigkeit u.a.m.. Die Stelle der Direktion ist sehr vielschichtig, innerhalb wie auch außerhalb der Institution. Das heißt, man hat auf verschiedenen Ebenen mit unterschiedlichen Bereichen zu tun, die sich gegenseitig bedingen. Um es konkreter zu machen: Der Ausstellungs- und Vermittlungsbereich profitiert maßgeblich von einer guten Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeitsarbeit und der Verwaltung. In einer so kleinen Realität, wie Kunst Meran es ist, ist es absolut wesentlich, dass die Kommunikation zwischen den einzelnen Aufgabenbereichen gut funktioniert. Und das ist nicht zuletzt eine strukturelle Frage. Somit reizt mich das Nachdenken über institutionelle Strukturen. Genauso spannend finde ich das Agieren außerhalb der Institution: die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit möglichen Kooperationspartner*innen, der Stadtgemeinschaft und anderen Entitäten. Schlussendlich geht es um die Frage, wie wir bestmöglich zusammenarbeiten können – auch aus einem ethischen Blickwinkel –, und darum wie eine bessere Verknüpfung zwischen dem Innerhalb und dem Außerhalb von Kunstinstitutionen möglich ist.
Mit welchen Ideen haben Sie den Vereinsvorstand überzeugt, dass Sie die richtige sind?
Wie es mir gespiegelt wurde, war es meine Vision von Kunst Meran, die überzeugt hat. Eine Vision, die bei Kunst Meran selbst ansetzt und die das weiter verfolgen möchte, wofür das Kunsthaus als nahbare Kunstinstitution geschätzt wird: die Zugänglichkeit.Diesen Weg möchte ich fortsetzen. Sicherlich haben dabei meine Ideen einer offenen Institution eine Rolle gespielt; die Vorstellung einer Institution, die mit unterschiedlichen sozialen Realitäten, also mit der heterogenen Stadtgemeinschaft und der Bevölkerung Südtirols wie seinen Gästen, in Austausch tritt.
Inklusion ist für mich ein wichtiges und vielschichtiges Thema. So ist es meines Erachtens die Aufgabe einer Kulturinstitution, die Bedürfnisse unterschiedlichster Personen zu berücksichtigen. Es geht also um die Inklusion von Menschen mit spezifischen physischen, psychologischen oder kognitiven Eigenschaften (z.B. durch das Angebot von Ausstellungstexten oder von Informationsbroschüren in einfacher Sprache). Es geht aber auch um eine soziale und ethnische Inklusion oder um eine Gleichberechtigung hinsichtlich der Bildungsabschlüsse. Pierre Bourdieu, ein französischer Soziologe, und Alain Darbel haben in der Veröffentlichung ihrer Studie „Die Liebe zur Kunst“ vor über 40 Jahren festgehalten, dass der Besuch von Kunstausstellungen maßgeblich von Herkunft, Sozialisation und Habitus geprägt ist. Noch heute arbeiten Kunstinstitutionen daran, dieser Situation entgegenzuwirken und der Diversität der Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Herta Torggler hat Kunst Meran vor allem mit großen Architektur-, Design- und Rechercheausstellung zur Geschichte Merans zu einer Marke gemacht. Werden Sie diesen Weg weiterverfolgen?
Ja, ich finde das transdisziplinäre Arbeiten und das Arbeiten an Schnittstellen unglaublich spannend, sowie auch das vertiefte Erforschen von Historie. Viele Ausstellungen im Bereich der zeitgenössischen Kunst, die für Kunst Meran auch sehr wichtig sind, haben sich ebenso mit der Frage beschäftigt, wie Raum und Architektur unser Leben prägen und – umgekehrt – wie wir unsere Umgebung prägen. Also die Frage danach, wie wir zusammen leben, wohnen, arbeiten (wollen)… Eine Verschränkung dieser Themenkomplexe in den verschiedenen Disziplinen ist auf jeden Fall interessant.
Welche Aufgaben hat ein Ausstellungshaus wie Kunst Meran Ihre Meinung nach heute? Hat es auch eine gesellschaftspolitische, wenn ja, welche?
Die Kultur, und somit auch ihre Institutionen, agiert und reagiert nicht im luftleeren Raum, sondern in einem sozialen, politischen und historischen Gefüge. Somit wird auch dem Ausstellungshaus eine gesellschaftspolitische Rolle zuteil. Die Frage ist, ob es diese Rolle bewusst wahrnimmt oder nicht.
Also ja. Wie bereits erwähnt, sehe ich in der Inklusion eine wesentliche Aufgabe von Kulturinstitutionen. Ob alle Personen gleichermaßen die Möglichkeit haben, kulturelle Angebote wahrzunehmen oder nicht, hat mit Zugängen oder Schwellenängsten und nicht nur mit der Frage nach Interesse zu tun. Sich ermächtigt zu fühlen an der Kultur teilzuhaben, ist ein großes Kapital, und zwar neben dem kulturellen auch ein soziales und ökonomisches. Aber klarerweise können Kultureinrichtungen die Aufgabe der Inklusion nicht alleine übernehmen – es gilt hier eine gute Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen und sozialen Einrichtungen gleichermaßen zu initiieren. Ich denke, ein verstärktes kooperatives Arbeiten – also das Eingehen von Kooperationen mit Einrichtungen aus den genanten Bereichen – ist für Kulturinstitutionen eine gute Möglichkeit, ihre gesellschaftspolitische Rolle bewusst und positiv wahrzunehmen.
Sie übernehmen die Direktion in einem schwierigen Moment. Corona-Krise, ungewisse Finanzierungslage von Seiten der öffentlichen Hand und von Sponsoren. Unterm Strich ist das größte Problem immer das Geld. Haben Sie wie Herta Torggler ein Händchen beim Auftreiben von Sponsorengeldern?
Das hoffe ich. Auch wenn die Situation keine konkreten Prognosen zulässt, bin ich doch zuversichtlich. Aber sicher, Geld ist immer Thema. Bei meiner vorhergehende Arbeit am Lenbachhaus in München machte ich Erfahrung mit einer sehr großzügigen und wichtigen Förderung auf Bundesebene. Das stärkt einen für Sponsorengespräche. Trotzdem muss jetzt genauso wie früher genau überlegt werden, wie und wofür Geld ausgegeben wird. Die Verwaltungstätigkeit ist also keine rein technokratische, sondern auch eine zutiefst inhaltliche wie politische.
Ihre Aufgaben sind vor allem Budget, Personal und Verwaltung. Liegt Ihnen das?
Als eine der wenigen festangestellten Vermittler*innen an einem städtischen Museum in München, waren Budget, Personal und Verwaltung ein wichtiger Teil der Arbeit. Aber ich kenne generell keine Kulturinstitution, wo man sich als Kurator*in oder Vermittler*in ausschließlich wissenschaftlich beschäftigt. Und wie gesagt, ich würde inhaltliches und organisatorisches Arbeiten nicht voneinander trennen. Auf jeden Fall setzt das Eine die Kenntnis des Anderen voraus. Aber ich möchte auch nicht behaupten, dass ich bereits alles weiß. Es freut mich, einen vertieften Einblick in diesem Bereich zu bekommen.
Haben Sie ein künstlerisch-programmatisches Mitspracherecht?
Das Team von Kunst Meran ist klein, aber sehr gut eingearbeitet. Somit ist eine gemeinschaftliche Entscheidungsfindung zwischen Direktion, den Kurator*innen – Ursula Schnitzer und eine noch zu ernennende Person –, der Assistentin Anna Zinelli und dem Präsidenten Georg Klotzner in Absprache mit dem Vorstand unabdingbar.Auch hier lassen sich Entscheidungen auf der Ebene des Künstlerisch-Programmatischen nicht von der Gesamtausrichtung oder von personellen Entscheidungen trennen. Somit ist es wichtig, an einem Gesamtkonzept zu arbeiten innerhalb dessen das künstlerische Programm eine ganz wesentliche Rolle einnimmt, wo aber auch jeder andere Bestandteil dazu stimmig erscheint.
Ihre erste Aufgabe ist es, die frei werdende Kurator*innenstelle von Christiane Rekade neu zu besetzen. Wie groß ist das Interesse und welche Persönlichkeit schwebt Ihnen vor?
Die Entscheidung wird gemeinschaftlich getroffen: Herta Torggler sowie der Vorstand und ich werden über die Nachbesetzung beraten und entscheiden. Keine einfache Aufgabe, denn es haben sich viele ausgezeichnete Kurator*innen beworben. Wesentlich für das Anvertrauen dieser wichtigen Aufgabe werden die Fragen sein: Wie viel Erfahrung bringt die Person mit? Wie hat sie sich mit den bereits realisierten Ausstellungen im Kunstbereich, aber auch in einem gesellschaftlichen Kontext positioniert? Welches Verständnis von Kunst, von Ausstellung und von einer Kunstinstitution bringt sie mit? Und wie geht dies alles mit der bisherigen und künftigen Gesamtausrichtung von Kunst Meran zusammen?
Sie verfolgen eine partizipative und diskriminierungskritische Perspektive auf Museen und ihre Ausstellungs- wie Vermittlungsaktivitäten. Was bedeutet das?
Das Interesse für Inklusion und Diversifizierung wurde bereits angesprochen, das sind Grundelemente für ein partizipatives und diskriminierungskritisches Arbeiten. Die Fragen Wie und weshalb arbeitet man mit wem zusammen?oder Wer besucht Kunst Meran und wer tut es nicht – und weshalb tut er/sie es nicht? sind wesentlich, um zu erkennen, auf welcher Ebene – oftmals auch unbewusst – Ausschlüsse stattfinden. Das, was Bourdieu und Darbel über die sehr homogene Gruppe von Museumsbesucher*innen gesagt haben, gilt auch für die Gruppe von Künstler*innen, die ausgestellt werden sowie für die Gruppe der Kulturakteur*innen, die in dem Feld arbeiten. Erfreulicherweise ist eine zunehmende Sensibilität und ein größeres Bewusstsein für eine anzustrebende Diversifizierung vorhanden. Gerechtere Verhältnisse im Kulturbereich zu schaffen, bedarf aber viel Geduld und Beharrlichkeit.
Sie haben Kunstgeschichte studiert. Welche Kunst interessiert Sie ganz persönlich?
Gerade weil ich (unter anderem) Kunstgeschichte studiert habe, kann ich mich nicht festlegen oder diese Frage pauschal beantworten. Mein Fokus lag stets auf der zeitgenössischen Kunst und berufsbedingt auf der socially engaged art, also auf Kunst, die in einem sozialen und oftmals politischen Kontext agiert. Aber eigentlich interessiert mich jede Kunst, die es schafft, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, einen subtilen Humor aufweist und zum Nachdenken anregt. Wenn Form und Inhalt ein spannendes Ganzes ergeben, dann finde ich Kunst sehr ansprechend. Es hat also nicht mit ökonomischen Bedingungen zu tun oder mit den Attributen wie wichtig oder bekannt. Da interessiert es mich eher zu verstehen, warum diese Zuschreibung stattgefunden hat.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Martina Oberprantacher, 1979 in Bozen geboren, studierte Kunstgeschichte im Hauptfach und Philosophie, Kulturwissenschaften, Ur-und Frühgeschichte sowie Romanistik im Fächerbündel an der Universität Innsbruck sowie an der Freien Universität zu Berlin. Nach mehrjähriger Arbeitserfahrung im Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung in Museen sowie in Großausstellungen (u.a. Museion – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen; Manifesta 7 – Trentino/Südtirol; Landesausstellung 2009 in Franzensfeste), studierte sie Ausstellen & Vermitteln an der Zürcher Hochschule der Künste und arbeitete parallel dazu als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for Art Education der ZHdK. Von September 2013 bis Mai 2020 war sie die Leiterin der Bildung und Vermittlung an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München.
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