Schulers Rechnung

Arnold Schuler
Tourismuslandesrat Arnold Schuler hält die Grenzschließung Österreichs gegenüber Italien für nicht gerechtfertigt. Südtirol erleide nun weiter einen wirtschaftlichen Schaden.
Tageszeitung: Herr Landesrat, was hatten Sie sich von Österreich hinsichtlich Grenzen erwartet?
Arnold Schuler: Dass es die Zahlen zur Kenntnis nimmt und die Grenzen öffnet. Die Aussage Österreichs ist immer dieselbe: Man werde öffnen, sobald es die epidemiologische Entwicklung zulässt. Aber die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Ich mache regelmäßig eine Tabelle mit den Entwicklungen in den einzelnen Regionen, wo sich die Veränderungen gut nachvollziehen lassen. Wenn man als Grundlage hernimmt, was Deutschland als Obergrenze festgelegt hat – nämlich 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen –, hat Italien im Schnitt nur ein Zehntel des Wertes, den Deutschland als kritische Situation sieht. Sogar die Lombardei hat mit einem Wert von 17 nur ein Drittel des deutschen Limits. Mit dieser Obergrenze kann man die Werte endlich an etwas messen. Die Österreicher hingegen sagen nie, was sie unter einer guten epidemiologischen Lage verstehen. Österreich hat zudem die doppelt so hohe Anzahl an Infektionen auf 100.000 Einwohner wie Südtirol. Interessant sind auch die Aussagen von Gesundheitsminister Anschober…
…und zwar?
Er hat gesagt, Italien sei mit 388 Infektionen auf 100.000 Einwohner aktuell ein Hotspot. Aber wenn man alle bisher positiv Getesteten berücksichtigt, wird sich diese Zahl auch in 100 Jahren nicht verändern. Wichtig ist nicht die vergangene Situation, sondern die Entwicklung. Wenn die Grundlage in Österreich eine andere sein soll, dann könnte man auch argumentieren, dass im Vinschgau insgesamt 35 positiv Getestete auf 100.000 Einwohner gewesen sind und auf der anderen Seite des Reschenpasses im Bezirk Landeck 2.230. Da soll jemand einem Vinschger erklären, warum er nicht nach Landeck fahren darf. Die wissenschaftlichen Daten sollen die Grundlage sein – und sie würden eine Grenzöffnung ohne Probleme rechtfertigen, wenn Österreich auch gegenüber Bayern und anderen Ländern aufgetan hat.
Spielen da einmal mehr wirtschaftliche Interessen eine Rolle? Der Kampf um Touristen?
Das ist schwer zu verstehen. Deshalb bin ich auch schwer enttäuscht. Ich möchte an die Entscheidung der EU-Kommission vom 13. Mai erinnern, wonach die regionalen Situationen zu berücksichtigen sind und nicht die Staatsgrenzen, weil das Virus keine Grenzen kennt. Dann wäre es einfach, gerade im Sinne der Europaregion Tirol zu sagen, dass die Daten gut sind und die Grenzen aufgehen können. Aber auch die Lombardei lag in den letzten sieben Tagen bei einem Drittel der von Deutschland festgelegten kritischen Grenze.
Sind Sie einverstanden damit, dass Italien die Grenzen auch zur Lombardei geöffnet hat?
Wenn man ehrlich die wissenschaftlichen Daten zur Entwicklung der letzten sieben Tage heranzieht, hat die Lombardei keine so schlechte Situation. Mit einem Wert von 17 hat die Lombardei auch nur die Hälfte der von Bayern strenger festgelegten Obergrenze von 35. Wichtig wäre, dass Österreich mal sagt, welche Daten man sich erwartet. Aber dann muss für alle Staaten das gleiche gelten. Man kann nicht von Italien andere Daten verlangen als von Deutschland oder Frankreich – oder wie sie im eigenen Land sind. Auch die südlich angrenzenden Regionen haben die besseren Daten als Bayern. Dass gegenüber Bayern aufgetan wird, teile ich voll und ganz, aber gegenüber dem Süden einen anderen Maßstab anzusetzen, ist einfach nicht nachvollziehbar.
Für die Gäste könnte es ein schlechtes Bild abgeben, wenn es heißt, dass in Südtirol Touristen aus der Lombardei unterwegs sind…
Eines sind die wissenschaftlichen Daten. Politische Entscheidungen müssen darauf beruhen. Auch die Diskussionen auf EU-Ebene sind dahingehend: Beschränkungen können nur eingeführt werden, wenn die wissenschaftliche Grundlage entsprechend ist. Aber was heißt das? Nur Deutschland hat bisher eine Obergrenze festgelegt. Es muss klare Kriterien geben. Das andere Thema ist das emotionale, das ich durchaus verstehen kann. Wenn man an Südtirol denkt, denkt man an Italien. Und bei Italien denkt man an die Lombardei, an Bergamo. Dieser Brandherd ist natürlich im Hinterkopf geblieben. Aber wir müssen die jetzige Situation sehen, die Entwicklung der letzten Tage. Italien hat die restriktivsten Maßnahmen getroffen, die sicher notwendig gewesen sind. Jetzt sind die Daten entsprechend positiv. Deshalb hätte ich mir eine Grenzöffnung in Richtung Süden erwartet. Zumindest im Sinne der EU-Kommission gegenüber Grenzregionen – und diese haben die besseren Daten wie Österreich selbst. Einzig Friaul-Julisch-Venetien hat hinter dem Komma eine schlechtere Situation. Der Blick auf die Regionen hat eine Logik – und nicht ob Landeck bei Österreich ist oder bei der Schweiz, Italien oder Deutschland. Die jeweilige Situation soll entscheidend sein, wo man hin darf.
Manfred Pinzger sagt, dass es jetzt reiche, was uns Österreich an wirtschaftlichem Schaden zugefügt hat. Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden für Südtirol?
Allein schon die Aussagen haben die Leute verängstigt, weil diese die Zahlen nicht kennen. Und vor allem auch, dass die Menschen nicht mal ihre Verwandten und Bekannten besuchen können, ist eine Zumutung. Wenn ein Vinschger nicht nach Landeck fahren darf, verstehe ich die Welt nicht mehr. Welchen Grund gibt es dafür?
Kann man den wirtschaftlichen Schaden irgendwie bemessen? Etwa anhand der Buchungslage?
Nein, sicher nicht. Man hat aber gesehen, dass die Aussagen wie jene von Seehofer und Kurz, wonach die Grenzen gegenüber Italien nicht so schnell aufgehen werden, immer wieder Stornierungswellen ausgelöst haben und die Gäste anderswo gebucht haben. Die Beherbergung braucht klare Perspektiven. Und wer einen Urlaub bucht, muss wissen, ob er am 3. Juni, am 15. Juni oder erst im Juli nach Südtirol fahren kann. Wenn man sich nicht sicher ist und immer wieder gepredigt wird, dass so schnell nicht aufgetan wird, dann buchen die Gäste an einem anderen Ort.
Interview: Heinrich Schwarz
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