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Aufstehen, Krone richten, weitergehen!

Frei.Wild-Sänger Philipp Burger mit dem „Corona Quarantäne Tape“: Die Coronakrise trifft auch uns hart, aber sie hat auch den altbekannten Kampfgeist in uns geweckt.

Krisengeschüttelt sind sie, gewillt, hart zu arbeiten aber auch. Welche Pläne schmiedet die Band Frei.Wild gegen die Coronakrise und wieso einfach so weitermachen wie bisher keine Option für sie ist.

 

Tageszeitung: Herr Burger, Gratulation zu Platz 1 in den Deutschen Albumcharts. Das angekündigte Live-Pausenjahr könnte schlechter laufen, oder?

Philipp Burger: Ja, das stimmt und danke für die Glückwünsche. Es ist wirklich so, dass die Coronakrise auch uns hart trifft, aber sie hat auch den altbekannten Kampfgeist in uns geweckt. Einen, den wir schon mehrere Male gespürt haben in all diesen Jahren seit unserer Gründung 2001. Zum allerersten Mal wirklich kurz vor dem finalen Aufprall standen wir im Jahr 2008 bei der ominösen „Freiheitlichen“-Geschichte, wo wir nicht nur von einer Heerschar von Medienvertretern regelrecht durch die Wurstmaschine gedreht wurden, sondern auch sonst vor einem mächtigen Scherbenhaufen standen: Labelkündigung, Manager weg, aus so ziemlich allen bereits gebuchten Festival-Line-ups geflogen. Ach ja, große Teile unserer sonstigen Partner wie einige Vorstandsmitglieder unseres Frei.Wild Supporters Club und viele Partner aus den Bereichen Merchandise und Versand wollten nichts mehr mit uns zu tun haben. Ein ähnlicher Fall mit ähnlichem Ausgang, nur ohne den Verlust vom engsten Kreis um die Band, ereilte uns dann mit der Echo-Geschichte, über die wir aber nicht mehr sprechen möchten. Auch dieser Käse ist gegessen. Und ja, auch sonst war die ziemlich von Gegenwind begleitete Frei.Wild-Geschichte immer von Turbulenzen und sicher auch mal Sorgen und Ängsten begleitet. Aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet, könnte dieses Jahr bisher wirklich schlechter laufen, zumindest was diese ultrawichtige Chartplatzierung mit dem „Corona Quarantäne Tape“ betrifft.

Sie sagen ultrawichtig. Wie wichtig war diese Platzierung? 

Nun, es ist weniger die schöne Platzierung als viel mehr die Möglichkeit, innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren gleich fünf Alben umgesetzt zu haben. Und dieses letzte war so ganz sicher nicht geplant. Wir hätten es ohne Corona schlichtweg nicht veröffentlichen können, wäre da nicht die uns eigene Hartnäckigkeit gewesen. Wir hatten in diesem Jahr wirklich absolut nichts an Live- oder Albumproduktion geplant. Dies hätte bedeutet, dass wir bis auf das Alpen Flair kein Konzert, keine Festivals, keine Tour, keine neuen Tonträger, keine Samplerbeiträge, kurz rein gar nichts gebracht hätten. Wir wollten dieses Jahr für Reisen, Muse und vor allem für unsere Kinder und Familien nutzen.

Und dann kam Corona…

Ja, damit lösten sich alle Pläne in Luft auf. Diese Coronawelle sorgte für Isolation statt für Atlantikflüge und Urlaubsgedanken. Sie sorgte für sorgenvolle Gesichter statt für Lust auf nichtmusikalische Abenteuer. Und sie sorgte für wegbleibende Gäste, für Umsatzeinbußen in sämtlichen Bereichen und vor allem die Erkenntnis, dass dieses Jahr alles anders wird. Selbst die Planungen für 2021, unser Jubiläumsjahr, wurden von unseren Agenturen erst mal auf Eis gelegt. Dass das Alpen Flair ebenso abgesagt wird, war uns leider auch schon sehr früh klar. Kein Wunder also, dass ich nicht abwarten wollte und die gesamte Bande an einen Tisch holen musste.

Gelegentlich hilft die Band auf dem Hof mit.

Was wurde dort besprochen?

Nun, es wurde Stunde um Stunde diskutiert. Über die Entwicklung an sich und vor allem über „Was passiert jetzt mit der Welt? Mit der Wirtschaft? Mit der Musikbranche? Mit unserem Land aus Sicht des Tourismus? Mit den Schulen, den Eltern?“. Vor allem aber über das „Was passiert jetzt mit unserer jetzt übermäßig vorhandenen Zeit?“. Dieser Gedankenaustausch hat innerhalb eines halben Tages wirklich eines gezeigt: Dass die Band, genau wie in Krisenzeiten vorher auch schon, noch härter ackern muss als vorher. Ideen wurden aufgeschrieben, Ideen auch verworfen. Den Startschuss für unser „Corona Gegengift“, wie wir es dann tauften, war der Song „Corona Weltuntergang“, den wir am Folgetag schrieben, aufnahmen, abdrehten und veröffentlichten. Ja, und dann spürten wir dieses Gegengift-Getriebe losdrehen. Dass wir dann Lust hatten ein ganzes Album zu recorden und diesem dann den Namen „Corona Quarantäne Tape“ zu geben, war kein Zufall. Wir wussten, das Gefühl, nach dem wir schon immer strebten – nämlich hinterher ja nicht zu sagen, man hätte es nicht mal versucht – wurde vollends befriedigt. Genau das war der Antrieb, der uns durch 20 Jahre Up & Downs geführt hat.

Sie sprachen eingangs den Kampfgeist an. Definieren Sie diesen etwas genauer und was  genau „weckt“ er an Plänen.

Übertrieben gesagt, weckt er erst mal Lust, die Ärmel hoch zu krempeln und einen noch engeren Zusammenhalt in der Band. Er bedeutet auch noch größere Verantwortung eines jeden einzelnen für jeden einzelnen. Und das gilt für die gesamte Frei.Wild-Familie. Wir können nicht auf der einen Seite „Sieger stehen da auf, wo Verlierer liegen bleiben“ singen und auf der anderen Seite einfach abwarten und in Totenstarre verfallen, bis der Sturm vorbei gezogen ist. Diese Form des Umgangs sehen wir grad bei vielen unserer Kollegen in Deutschland: Ja nichts riskieren, jetzt ein Album zu veröffentlichen, könnte im Vergleich zu besseren Zeiten schließlich auch Umsatzeinbußen bringen. Diese Zweifel hatten wir nicht, warum auch? Dann würden wir in besseren Zeiten eben noch einen drauf legen, oder zumindest versuchen. Und ganz ehrlich, bei aller Härte und vor allem bei dem Umsatzrückgang, den natürlich auch wir bei jeder neben unserer Band aufgestellten Wirtschaftssäulen spüren, dieser Kampfgeist ist auch etwas, das enorm willensstark, neugierig, erfinderisch, auch kreativ macht. Unsere Angestellten, die Mieten, unser Manager, ja auch die Steuern und Sozialabgaben zahlen sich nicht von selbst. Wir sind sicher, dass viele tausende Unternehmer genau das Gleiche machen: Aufstehen, Krone richten und weitergehen. Mehr bleibt einem am Ende des Tages auch nicht übrig.

Welche Pläne schmieden Sie?

Abgesehen von diesem „Corona Quarantäne Tape“-Album kommen wir in Kürze mit dem sich bereits seit zwei Jahren im Prozess befindlichen Projekt „Brüder 4 Brothers“. Das ist für mich ein sehr, sehr gelungenes Projekt, bestehend aus uns, also Frei.Wild, und den Leuten von Orange County Choppers aus den USA, kurz OCC genannt und bekannt aus dem TV. Dieses Deutsch und Englisch gesungene Album mit zehn Songs haben wir jetzt über mehrere Wochen vollendet, Videos am Greenscreen gedreht, Animationen erstellen lassen, im Grunde mit den Leuten aus den USA gemeinsam die gesamte Veröffentlichung geplant. Ach ja, vor ein paar Wochen kam unser Charity-Projekt „Wilde Flamme“, wo wir an die hundert wirklich sehr tolle Musiker aus dem Deutschrockumfeld dazu holen konnten und mehrere großartige Vereine und Institutionen unterstützen möchten. Aber auch sonst ist vieles geplant, für das wir vorher schlichtweg keine Zeit gehabt hätten. Überhaupt glaube ich, bringt diese Coronakrise auch die Chance, längst schon verstaubte Ideen und Projekte frei zu pusten und endlich umzusetzen.

Philipp Burger in seinem Stall: Ganz ehrlich, das Leben als Bauer erfüllt mich sehr.

Auf Ihrer Facebook-Seite kündigen Sie an, den Frei.Wild eigenen „Rookies & Kings Store“ um ein weiteres Feld zu erweitern: Musikinstrumente und Musikerbedarf im Tattoogeschäft? Wie funktioniert das und ist auch das Teil des Plans?

Keine Ahnung, zum Plan gehörte das eigentlich nicht, denn zum Glück haben wir uns im Tattoo- und Piercingbereich über all die Jahre eine sehr gute Kundenbasis geschaffen. Die Nachfrage ist nach wie vor super und die Laufkundschaft da. Aber nachdem wir in Brixen jetzt leider überhaupt keinen Musikladen mehr haben und wir wirklich für jedes Kabel nach Bozen fahren müssen, glauben wir, dass unser Geschäft der ideale Anlaufpunkt dafür sein könnte. Bei uns gehen jeden Tag so viele Musikbegeisterte und Musiker ein und aus, dass wir glauben, diese kleine Zusatzleistung kann durchaus dienlich sein. Merchandise, Tattoos, Piercing, Bier und Musikbedarf passen doch ziemlich gut zusammen, wieso also nicht auch hier was Neues probieren? Wenn wir es nicht versuchen, wissen wir auch nicht, ob die Idee gut oder schlecht ist. Die Neugier ist aber auch hier groß Neues zu versuchen.

Wie, glauben Sie, geht Südtirol aus dieser Krise hervor?

Ich glaube vor allem, mit etwas weniger von der Haltung „Alles ist selbstverständlich“. Aber ganz ehrlich, etwas bodenständiger, etwas mehr regionales Bewusstsein, etwas mehr Achtung und Wertschätzung kann keinem Menschen schaden.  Daher, nach jedem Fallen kommt auch neues Aufstehen.

Letzte Frage: Sie bewirtschaften seit einiger Zeit auch einen Bauernhof. Wie ist das Leben als Bauer?

Ganz ehrlich, das Leben als Bauer erfüllt mich sehr. Es schenkt mir Freude, es ist ein tägliches neues Lernen und weckt auch Tag für Tag frische Neugier. Dazu kommt der mir vom „Zimmern“ bekannte, geregelte Tagesablauf zurück, den ich mir irgendwie schon jahrelang zurückgewünscht habe. Auch finde ich es super, dass mir manchmal meine Bandkollegen zur Seite stehen und mit anpacken. Ich stehe wirklich um 5:30 Uhr auf, obwohl ich keine Melkkühe habe. Ich habe Mutterkuhhaltung, Pferde, Schafe und Hühner. Daher ist der zeitliche Aufwand überschaubar und lässt mir noch genügend Zeit für die Musik, Sport und andere Dinge.

Interview: Heinrich Schwazer

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