„Hat es das wirklich gebraucht?“
Nach Wochen der Schockstarre ist auch in Südtirol die Stimmung gekippt. In Bozen und Meran gehen die Corona-Wutbürger auf die Straße. Kommt es auch bei uns zur toxischen Umarmung von besorgten Bürgern und Verschwörungstheoretikern?
von Artur Oberhofer
Die „Demo für Freiheit“ soll am heutigen Samstag stattfinden. Ab 10.00 Uhr auf dem Magnagoplatz in Bozen.
Das Motto der Kundgebung lautet: „Nie wieder!“
Nach vielen Wochen der Schockstarre, der Verunsicherung und des Ausharrens ist auch in Südtirol die Stimmung gekippt. „Für viele Menschen“, sagt die Grundschullehrerin Karin Kerschbaumer, eine der Mitorganisatorinnen der Samstag-Demo, „waren die Maßnahmen und Freiheitsbeschränkungen völlig übertrieben.“ Fliegt jetzt der Topf vom Deckel?
Das Dilemma der Politik: Der Erfolg und die Fallzahlen geben den Regierenden zwar Recht, er macht sie aber zugleich auch angreifbar. Denn immer mehr Menschen , auch in Südtirol, fragen sich: „Hätte es das wirklich gebraucht?“ „War die Corona-Sache vielleicht doch nicht so schlimm?“ „Waren die Maßnahmen schlimmer als die Krankheit selbst?“
Vor allem in Deutschland waren die Zweifel vieler Menschen und deren kritische, aber durchaus berechtigten Reflexionen über Sinn und Unsinn des Lockdowns der Auslöser einer gefährlichen Welle.
Wenn man sieht, was sich beispielsweise in der Bundesrepublik zusammenbraut, wird einem angst und bange: Da marschieren jetzt Rechtsextremisten, Antisemiten und Holocaust-Leugner, antikapitalistische Linke, durch Fake-News aufgegeilte Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Pegida-Nostalgiker, Populisten, C-Promis, verwirrte Reichsbürger, Wissenschaftsskeptiker und linksalternativ geprägte Impfgegner Hand in Hand und grölen und brüllen gegen eine angebliche Virus- oder Hygiene-Diktatur.
Der gemeinsame Nenner dieser neuen Wutbürger ist der Hass auf eine angeblich korrupte Machtelite, auf die „Corona-Diktatur“.
Besteht jetzt die Gefahr, dass diese toxische Umarmung zwischen biederen und besorgten, teilweise auch nur konfusen Bürgern mit skrupellosen rechtsextremen Trittbetrettfahrern und Berufszündlern auch Nachahmer in Südtirol findet? Schwappt diese Welle des Hasses jetzt auch auf unser Land über?
Karin Kerschbaumer sieht diese Gefahr nicht und grenzt sich klar von der bundesdeutschen „Hygienedemo-Philosophie“ ab: „Wir sind keine Verschwörungstheoretiker, wir haben mit unserer Art von Impfkritik beweisen, dass wir uns auf einer seriösen Ebene bewegen.“
Karin Kerschbaumer war auch seinerzeit Mitorganisatorin der Südtiroler Impfproteste, zusammen mit Andreas Pöder, der auch jetzt wieder im Hintergrund mitmischt, wie er der TAGESZEITUNG gegenüber bestätigte.
Die Demo vor dem Südtiroler Landtag am Samstag ist regulär angemeldet worden. Allerdings fehlt noch das Okay der Behörden. „Sollten uns die Genehmigung verwehrt werden“, sagt Karin Kerschbaumer, „haben wir einen Plan B.“ Wie dieser Plan B aussieht, verrät sie wohlweislich nicht.
Grundsätzlich sagt die Lehrerin zur Stoßrichtung ihrer Protest-Aktion: Sie sei nicht prinzipiell gegen den Lockdown gewesen. „Ich sage nicht, dass wir den Lockdown nicht gebraucht hätten, aber auf keinen Fall so extrem und über einen so langen Zeitraum.“
Sie persönlich tendiert mehr zum niederländischen und zum schwedischen Modell. „Ich würde mehr auf Eigenverantwortung setzen“, so Karin Kerschbaumer.
Ihr selbst gehe es um „menschenwürdigere Maßnahmen“, sagt die Bozner Grundschullehrerin. „Ich merke, dass es vielen Kindern nicht gut geht, weil der Lockdown viel zu lange gedauert hat, den Kindern fehlt die Schule, Kinder brauchen sozialen Austausch.“
Auch in Meran „brodelt“ es. Dort hat eine Gruppe um die Wellnesstrainerin Sarah Maria Lechner für 30. Mai eine Demo angemeldet. Das Motto: „Wir fordern Beweise!“
Für Sarah Maria Lechner besteht das Grundproblem darin, dass „zu wenig Transparenz“ herrsche.
Mit anderen Worten: Einer der Folgeschäden der Coronakrise seien grundsätzliche Zweifel an der Politik bzw. an der Demokratie.
Sarah Maria Lechner: „Die Politik hat zu uns einfach nur gesagt: ,Ihr macht, was wir euch sagen!’ Das Warum wird uns nicht erklärt.“
Die Politik habe nur geschaut, was die Asiaten machen. „Die Maßnahmen, die die Asiaten getroffen haben, sind dann einfach auf uns drübergestülpt worden“, so die Wellnesstrainerin, die ebenfalls für einen Weg der Eigenverantwortlichkeit plädiert.
Als Wellnesstrainerin gehört Sarah Maria Lechner selbst zu den wirtschaftlichen Corona-Opfern. Sie ist (wie die Saunawarte und die Fitnesstrainer) zum Nichtstun verurteilt. „Dabei“, sagt sie, „soll mir bitteschön ein Politiker erklären, was passieren soll, wenn ich sechs Leute auf einem Fußballplatz trainiere.“
Auch Sarah Maria Lechner will sich gegenüber der den Verschwörungstheoretikern und den Corona-Leugnern abgrenzen. „Bei uns zählen nur Fakten und persönliche Erfahrungsberichte“, so die aus Österreich stammende Wellnesstrainerin, die verstehen kann, dass viele Menschen durch den Lockdown traumatisiert sind. „Viele fangen erst jetzt an, darüber nachzudenken, was passiert ist“, sagst sie.
Sarah Maria Lechner, die das Masken-Tragen als Nötigung empfindet, wundert sich eh, dass die SüdtirolerInnen so lange so brav waren. „Die SüdtirolerInnen waren vorbildhaft, demütig und brav“, sagt sie, um dann einen Tipp nachzuschieben: „Vielleicht sollten die SüdtirolerInnen manchmal etwas mutiger sein, ich habe das Gefühl, sie sind oft schnell meinungstot.“
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