„Es wird eine natürliche Auslese geben“
Wie kommen die Kunstgalerien durch den Lockdown und die Krise? Ein Gespräch mit der Galeristin Antonella Cattani von der gleichnamigen Galerie in Bozen.
Tageszeitung: Frau Cattani, die Corona-Pandemie hat die Kunstgalerien mit derselben Wucht wie die meisten anderen Branchen getroffen. Wie ist die Stimmung unter den Privatgalerien in Italien?
Antonella Cattani: Sich dem Unbekannten zu stellen, ist für jeden eine Herausforderung. Es braucht Zeit, die Veränderungen zu verstehen, die gerade im Gange sind. Mit Sicherheit erfordert die neue Situation notwendige und unerlässliche Anpassungen, um sich einer „anderen“ Zukunft zu stellen.
Wie gehen Sie mit der Zwangspause um?
Der Lockdown liegt hinter uns, jetzt bereiten wir uns auf einen Neustart vor. Wichtig scheint mir, dass dabei die Lehren, die wir aus dieser außergewöhnlichen Situation gezogen haben, nicht vergessen werden. Ich denke, wir sollten uns auf Werte besinnen, die für eine zukünftige „gesunde“ Entwicklung unabdingbar sind, um neue Wege zu gehen, die vor der Krise vielleicht durch eine Unzahl von hysterisch sich überschlagenden Ereignissen verhindert wurden.
In Frankreich schätzt man, dass bis zu 40 Prozent der Galerien die Krise nicht überleben werden, da die Kunden im Augenblick und wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit keine Kunst kaufen werden. Wie schätzen Sie die Lage in Italien ein?
In jeder Krise gibt es welche, die nicht darauf vorbereitet sind und nicht genügend Ressourcen haben, um zu überleben. Das ist ein universelles Gesetz des Marktes, zu dem die Realitäten in unterschiedlichen Ländern hinzukommen. Die Kunst ist ein primäres Gut, das uns seit der Zeit der Felszeichnungen begleitet, und ich bin sicher, dass sie dies auch weiterhin tun wird. Die entscheidende Frage wird sein, wie jede Galerie mit den Besuchern sei es in ihren Räumen, sei es mit dem Publikum im Netz zu kommunizieren imstande sein wird. Der Markt wird auf jeden Fall darauf reagieren, wenn auch nicht sofort.
Kunstmessen, auf denen ein Großteil des Umsatzes erzielt wird, sind abgesagt oder verschoben worden. Welche Auswirkungen hat das?
Ganz unmittelbar steckt das System in einer Sackgasse, in der es zu einem Stau von Projekten kommt, der auch die Künstler betrifft. Die Kunstmessen werden sich verändern müssen, doch das war schon vor dem Ausbruch der Epidemie spürbar.
Im Moment lautet die Devise für alle: Durchhalten. Aber wie lange kann eine kleine Galerie durchhalten?
Kunstgalerien sind wie alle anderen unternehmerischen Aktivitäten gefährdet, wenn sie schlecht gewirtschaftet haben. Wir werden in naher Zukunft eine natürliche Auslese erleben.
Alle Branchen bekommen Unterstützung vom Staat. Auch die Galerien?
Der Kulturbereich, ob Kunst, Kino, Musik oder Theater, braucht Unterstützung und muss unterstützt werden. Ich hoffe, die zuständigen Stellen bringen das nötige Verständnis dafür auf.
Sammler sind in der Regel treu. Aber wer kauft, wenn die Galerie geschlossen ist und die Werke nicht im Original gesehen werden können? Denken Sie, dass sich der Kunstmarkt maßgeblich in Digitale verlagern lässt? Viele bezweifeln das.
Das Netz bietet viele Möglichkeiten mit dem Publikum und den Sammlern in Kontakt zu bleiben und die Werke der Künstler zu bewerben. Aber keine Technologie kann den direkten und persönlichen Kontakt mit einem Kunstwerk ersetzen. Daran werden wir auch unter den neuen Voraussetzungen arbeiten. Das Digitale schafft viele neue Möglichkeiten und Kontakte, es ersetzt aber nicht den realen Markt. Momentan befinden wir uns in einer Übergangssituation und das System muss sich erst an die neuen Anforderungen anpassen.
Wie ist die Stimmung unter Ihren Künstler*innen, denen eine wesentliche Geschäftsgrundlage entzogen ist, weil sie ihre Werke nicht ausstellen können?
Die neuen Szenarien erfordern Entschlossenheit und ein Bewusstsein für die eigene Rolle. Mit der Initiative „Life, live 2020”, die auf der Website meiner Galerie aktiviert ist, wollte ich eine erste Antwort geben und die Künstler wieder mit der Öffentlichkeit in Kontakt bringen. Die Webseite zeigt Werke, die in dieser Zeit entstanden sind, Fotos aus den Ateliers der Künstler*innen und Statements. www.antonellacattaniart.com
Glauben Sie, dass danach wieder alles so sein wird wie vor der Krise?
Das wäre sehr kurzsichtig gedacht.
Krisen haben, so heißt es, immer auch etwas Positives. Ist das nur eine Floskel oder könnte etwas Gutes dabei herauskommen?
Das ist ganz meine Meinung.
Interview: Heinrich Schwazer
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