Eine taktische Meisterleistung
Eine taktische Meisterleistung
Vor 75 Jahren wurde die SVP gegründet: Es hätte auch anders kommen können!
Von Stefan Lechner
Mai 1945: Die alliierten Armeen stehen in Berlin, Deutschland liegt in Trümmern und kapituliert bedingungslos. Zeitgleich wird in Südtirol die Südtiroler Volkspartei aus der Taufe gehoben.
Gerade in jenen Tagen, als das ungeheuerliche Ausmaß der nationalsozialistischen Barbarei der ganzen Welt vor Augen geführt wird, wird hierzulande eine deutsche Partei gegründet. Millionen von Deutschen werden schon seit Monaten aus Osteuropa vertrieben und die Alliierten lassen es zu, dass sich die Südtiroler politisch organisieren: Jene Südtiroler, die in ihrer Mehrheit bis zum bitteren Ende an der Seite des „Dritten Reiches“ gestanden waren, in dessen Wehrmacht und SS an die 25.000 Männer gekämpft hatten. Wie war das möglich?
Es war eine Handvoll couragierter Männer, die noch während des Kriegs initiativ wurde, um Südtirol in eine bessere Zukunft zu führen oder zumindest vor dem Schlimmsten zu bewahren. Die unumstrittene Führungsfigur war der Bozner Unternehmer Erich Amonn (1896–1970). An der Seite von Kanonikus Michael Gamper hatte er sich 1939 gegen die Option engagiert, nach dem deutschen Einmarsch in Italien am 8. September 1943 rückte er an die Spitze des liberalen antinazistischen Widerstands in Südtirol. Durch seine unternehmerische Tätigkeit war es ihm möglich, die Erlaubnis zu Geschäftsreisen in die Schweiz zu erhalten. Mehrmals nahm er dort Fühlung mit alliierten Stellen auf, übergab Memoranden und warb für eine Rückkehr Südtirols zu einem wiedererstandenen Österreich nach Kriegsende. Auch mit Vertretern der italienischen Resistenza stand er in Verbindung, zu einer Zusammenarbeit kam es jedoch nicht, da für diese die Beibehaltung der Brennergrenze oberstes Gebot war.
In den letzten Kriegstagen suchte Amonn auch Kontakt zur Wehrmachtsführung in Bozen. In Italien kapitulierten die Deutschen bereits am 2. Mai, die Übergabe der Zivilverwaltung an die Südtiroler konnte jedoch trotz unermüdlicher Interventionen Amonns nicht erreicht werden. Somit stand das Land beim Einmarsch der Amerikaner zwei Tage später unter italienischer Verwaltung, was für die künftige Entwicklung nicht unerheblich sein sollte.
Dies war ein schwerer Rückschlag, umso notwendiger wurde nun der rasche Aufbau einer politischen Organisation, die die Interessen der deutschen und ladinischen Minderheit vertreten sollte. Es kam zu zahlreichen Gesprächen, an denen neben Amonn etwa Josef Menz-Popp aus Marling, Franz Lösch aus Lana, Otto von Guggenberg aus Brixen, Toni Ebner aus Aldein, Josef Graber-Treyer aus Reischach oder Franz Strobl aus Toblach teilnahmen, allesamt Dableiber. Schnell wurde klar, es sollte eine Sammelpartei gegründet werden, in der sich jeder Südtiroler und jede Südtirolerin, sowohl Dableiber als auch Optanten vertreten sehen könnten. Amonn lud nun zwei Dutzend Vertrauenspersonen – ausschließlich Männer, keine einzige Frau – nach Bozen zum Gründungsakt ein. Die Einladung zum Treffen erwies sich als überaus schwierig, es herrschte Ausgangssperre und die herkömmlichen Kommunikationswege waren unterbrochen. Es war Vertretern des französischen Geheimdienstes in Bozen zu verdanken, dass die Gründungsversammlung überhaupt zustande kam. Sie stellten ein Auto samt Fahrer zur Verfügung, mit dem Günther von Unterrichter als Gesandter Amonns Persönlichkeiten in allen Landesteilen aufsuchte.
Am Sitz der französischen Delegation in der Villa Malfèr in Bozen Gries kamen am 8. Mai 1945 Dableiber und Optanten zusammen und gründeten schließlich die Südtiroler Volkspartei. Erich Amonn wurde zum ersten Obmann gewählt, der Zentralausschuss setzte sich aus Josef Menz-Popp, Leo von Pretz, Franz Lösch, Hans Egarter und Alois Puff zusammen. Erster Generalsekretär wurde Josef Raffeiner. Das schlanke, nur drei Punkte umfassende Parteiprogramm wurde einstimmig angenommen. An oberster Stelle stand, wenn auch als letzter Punkt genannt, die Einforderung des Selbstbestimmungsrechts für Südtirol.
Das Schwierigste sollte aber erst noch kommen. Es galt nämlich, bei der alliierten Militärregierung die Zustimmung zur Parteigründung einzuholen. Ohne diese wäre das Projekt eine Totgeburt geblieben. Die Alliierten waren verständlicherweise keineswegs deutschfreundlich eingestellt, ganz im Gegenteil. Außerdem versuchte das Nationale Italienische Befreiungskomitee (Comitato di Liberazione Nazionale – CLN) mit allen nur erdenklichen Mitteln die Zulassung der SVP zu verhindern. So wurde sie etwa als verkappte Nazi-Partei angeschwärzt.
In dieser Situation war es in erster Line Erich Amonn zu verdanken, dass die Alliierten letztlich ihr Einverständnis gewährten. Er konnte sie von den hehren Zielsetzungen der von Dableibern geführten Partei und deren antinazistischen Grundausrichtung überzeugen. Er selbst hatte seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus in der Vergangenheit eindrucksvoll unter Beweis gestellt und war dabei auch ein persönliches Risiko eingegangen. Amonn vollbrachte hier eine taktische Meisterleistung, wobei ihm die Beherrschung der englischen Sprache und ein gewisser anglophiler Habitus durchaus zum Vorteil gereichten.
Dass in der Partei auch prominente Optanten tätig waren, unterschlug er geflissentlich. Mancherorts erhoben ehemals braune Dorfgrößen bald wieder ihr Haupt, was so manchem versöhnungsbereiten Dableiber zu weit ging. Zu Spannungen kam es auch zwischen der Peripherie und der Bozner Zentrale. Vor allem den Pusterern ging der Organisationsaufbau viel zu langsam und sie verlangten ein forscheres Auftreten sowie öffentliche Kundgebungen. Das wäre jedoch gefährlich gewesen und der Obmann war dafür vorerst nicht zu haben. Die Alliierten hatten die Parteigründung nämlich nur unter der Bedingung der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung erlaubt. Außerdem beobachteten sie das Gebaren der SVP durchaus argwöhnisch, handelte es sich doch um eine deutsche Partei. Die überwältigende Zustimmung der Südtiroler zur Umsiedlung in das Deutsche Reich Adolf Hitlers von 1939 war nicht vergessen. Zum Verhältnis der SVP zum Nationalsozialismus musste sich Erich Amonn wiederholt erklären.
Seit 1948 regiert die SVP in Südtirol ohne Unterbrechung. Eine Erfolgsgeschichte, die zum Zeitpunkt ihrer Gründung wahrlich nicht absehbar war.
Info: Hans Heiss/Stefan Lechner: Erich Amonn. Bürger, Unternehmer, Politiker. Ein Porträt, Edition Raetia, Bozen 2019
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