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„Verteilen auf Pump geht nicht“

Stefan Pan

Confindustria-Vizepräsident Stefan Pan lobt Italien für die Bewältigung der sanitären Krise, warnt die Regierung nun aber vor falschen Entscheidungen. Und er betont, dass kleine Kreisläufe alleine nicht die Lösung seien.

Tageszeitung: Herr Pan, Sie scheinen derzeit nicht im künftigen Führungsteam des nationalen Industriellenverbandes Confindustria auf. Wollten Sie nicht mehr oder durften Sie nicht mehr?

Stefan Pan: Das ist noch nicht sicher. Ein paar sehr wichtige Positionen sind noch nicht besetzt worden. Am 20. Mai wird der designierte Präsident Carlo Bonomi endgültig gewählt und dort wird er das komplette Führungsteam vorstellen. Und da lassen wir uns überraschen.

Würden Sie gerne weitermachen?

Lassen wir uns überraschen.

Bonomi fällt durch seine harsche Art gegenüber der italienischen Regierung auf, während der bisherige Präsident Vincenzo Boccia eher eine ruhige Art hat. Was ist zielführender?

Das ist eine gute Frage. Es kommt ja immer darauf an, was man zum Wohle der Unternehmen und der Gesellschaft bewirkt. Zu den Gaben von Carlo Bonomi gehört auf jeden Fall die Fähigkeit zur klaren Formulierung und klaren Darstellung von Zusammenhängen. Was er in den letzten Wochen in aller Deutlichkeit mitgeteilt hat, wird aber voll von Vincenzo Boccia mitgetragen. Sie sprechen sich in allem ab. Die jetzige Gangart, die Kante zeigt, ist auch ein Zeichen der Dramatik der Situation, in der wir uns befinden. Was wir schon vor der Covid-Krise betont haben, gewinnt jetzt noch einmal stark an Bedeutung.

Wie gut oder wie schlecht schlägt sich Italien in der Corona-Krise?

Italien wurde als erstes Land in Europa von Corona getroffen und hatte somit als „Vorreiter“ den Nachteil, nur auf die eigene Erfahrung zählen zu können. Es hat in der ersten, rein sanitären Phase der Krise durchaus bewiesen, sehr viel bewegt zu haben, um mit dieser absoluten Notsituation, mit der niemand rechnen konnte, fertig zu werden. Das war ein Kraftakt. Großbritannien etwa hat nun trotz der Erfahrung sämtlicher anderer Länder mehr Corona-Verstorbene. Italien hat jetzt in der zweiten Phase die doppelte Herausforderung.

Und zwar?

Es muss die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen – und startet ja in einer schon schwachen Situation: Italien hatte bis vor der Krise noch nicht einmal die Zahlen von 2008 erreicht und war mit Griechenland das Schlusslicht des Wachstums im EU-Raum. Und ohne intelligentes Wachstum sind der Schuldenberg und die damit verbundenen Sozialleistungen nicht nachhaltig finanzierbar. Jetzt wird bewusst, was die Unternehmen – auch in Südtirol – gepredigt haben, aber nur bescheidenes Gehör bekommen hat. Die Corona-Krise hat zur Folge, dass etwas, was für uns selbstverständlich war, nicht mehr selbstverständlich ist: Mobilität.

Wie meinen Sie das?

Dass sich im europäischen Wirtschaftsraum Menschen, Waren und Dienstleistungen ohne Grenzen bewegen konnten, war die Grundlage der weltmeisterlichen Leistung Europas: Europa hat das größte Sozialleistungs-Paket der Welt. Seit zwei Monaten gibt es die Mobilität nicht mehr. Die Grenzen sind zu und man kann sich höchstens in der eigenen Region bewegen. Wir sehen, dass jetzt die kleinen Kreisläufe allein nicht imstande sind, das Gesellschaftssystem aufrecht zu erhalten. Es braucht kleine und große Kreisläufe. Hoffentlich erfolgt durch die jetzige Dramatik ein Umdenken: dass man sich nicht auf Klein-Klein konzentriert, sondern die europäische Dimension als Grundvoraussetzung für Frieden, Wohlstand und Sozialleistungen versteht.

Italiens riesiger Schuldenberg wird nun weiter stark steigen…

Ja, die strengen EU-Regeln wurden gelockert, weil es sich um eine außergewöhnliche sanitäre Krise gehandelt hat, die alle Länder Europas in gleichem Maße getroffen hat. Das nennt man eine symmetrische Krise. Aber sobald die sanitäre Krise vorbei sein wird, wird die Krise wieder asymmetrisch. Einige Länder, die ihren Haushalt gut geführt haben – allen voran Deutschland –, tun sich viel leichter, große Geldmittel in infrastrukturelle Programme zu investieren und das Land noch wettbewerbsfähiger zu machen, ohne sich zusätzlich verschulden zu müssen. Italien muss Schulden aufnehmen, um das Gleiche zu tun. Jetzt kann die Diskussion zur Zerreißprobe innerhalb Europas werden, wie man einen gemeinsamen Nenner findet, um Länder mit angespannten Haushalten trotzdem auf Wachstumskurs zu bringen.

Was ist zu tun?

Die wenigen Gelder, die zur Verfügung stehen, nicht verteilen, sondern dort investieren, wo Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist auch innerhalb der italienischen Regierung die große Diskussion, weshalb über das April-Dekret immer noch gestritten wird und es durchaus offen ist, ob die Regierung hält. Die große Frage lautet: Verteile ich die Gelder, indem ich Grundeinkommen ohne Arbeit schaffe – oder verteile ich die Gelder, indem ich Arbeit schaffe, damit nachhaltiges Grundeinkommen entstehen kann? Verteilen auf Pump geht sich nicht aus. Wir werden nach dieser Krise viele Unternehmen verloren haben und Italiens Bruttosozialprodukt wird um zehn Prozent schrumpfen. Das hat es seit dem Weltkrieg nicht gegeben. Um das zu stemmen, braucht es die Einsicht, dass wir alle den Gürtel enger schnallen müssen. Die wenigen Gelder müssen wir sinnvoll ausgeben, indem wir das Sozialnetz neu interpretieren in Form von Investitionen in Unternehmen. Nur Arbeitsplätze werden uns helfen, die Schulden wieder in den Griff zu bekommen.

Unterstützen Sie den Südtiroler Sonderweg mit dem eigenem Corona-Landesgesetz?

Südtirol hat immer schon die Möglichkeit gehabt, als Laboratorium zu gelten, um schwierige Situationen im europäischen Geiste durch Exzellenz und „Best Practice“ in den Griff zu bekommen. Auch jetzt gilt: Jede Maßnahme des Südtiroler Weges muss diesen Anforderungen gerecht werden. Wir haben es auch vorexerziert: Unternehmerverband, lvh und CNA haben mit den Gewerkschaften ein sehr strenges Protokoll unterschrieben, mit dem wir versucht haben, vor der nationalen Regelung zu zeigen, wie Sicherheit am Arbeitsplatz und Absicherung des Arbeitsplatzes im Gleichklang stehen können. Das ist ein vorbildhafter Weg gewesen, den wir auch auf nationaler Ebene als Vorreiter haben vorzeigen können. Wenn wir die Diskussion in diesem Geiste führen, tun wir für das Land und für ganz Italien Gutes.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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