Grauner ohne Corona
Grauner ohne Corona
Von Lenz Koppelstätter
Es ist schon erschreckend, wie sehr dieses blöde Virus uns durchdringt. Selbst meine Krimifiguren. Ich schreibe gerade an einem neuen Fall. Stoppe immer wieder mitten im Satz. Händeschütteln? Aber die dürfen doch nicht … Ach, doch dürfen sie wohl. Mein neuer Fall ist frei von Corona. Das ist das Privileg des Geschichtenschreibers. Das gönne ich mir, Grauner, Saltapepe und den Lesern.
Bevor das losging mit Corona, war ich ein paar Tage in St. Moritz. Recherche für ein deutsches Magazin. Hotel, Skifahren, Skihütte, Galerien, gut essen gehen. Zusammensitzen, sich umarmen, lachen. Es scheint ewig her. Wie aus einer anderen Zeit. Mir macht das Zuhause bleiben nicht viel aus. Grundsätzlich. Wenn ich nicht auf Reisen bin, arbeite ich von Zuhause aus. Großraumbüro, Konferenzen, Streit um die Urlaubsplanung mit den Kollegen, das habe ich alles vor ein paar Jahren hinter mir gelassen. Es war mir ein Graus. Ich habe ein kleines Büro, schaue beim Schreiben auf die Berge. Ich brauche keine Massen. Ich beobachte sie gerne von etwas aus der Ferne. Ich bin gerne alleine. Mit meinen Figuren. Dem Grauner. Dem Saltapepe. Aber ich verstehe in diesen Tagen schmerzlich den Unterschied, zwischen dem Dürfen und dem Müssen. Das eine ist die Freiheit, Zuhause bleiben zu dürfen. Das andere die Unfreiheit, Zuhause bleiben zu müssen.
Wenn ich’s nicht mehr aushalte, denke ich an Familien, die mit Kindern in einer kleine Stadtwohnung sitzen. Kein Blick auf die Berge. Ich denke an Hubert Messner, meinen Freund, mit dem ich gerade seine Biografie veröffentlicht habe. Er arbeitet wieder im Spital in Bozen – in der Covit-19-Station. Freiwillig. Da ist es mir dann ganz schnell zu blöd, das Herumsitzen Zuhause nicht mehr auszuhalten. Welchen Mut Hubert zeigt! Den Mut, zu helfen! Den Mut, die Unfreiheit beim Schopf zu packen. Gegen die Angst. Für die Freiheit.
Es ist mir ein bisschen peinlich, aber ich verrate es: Ich schaue seit Jahren „The Walking Dead“. Wenn ich jetzt aus dem Haus gehe, denke ich immer, schau, es könnte ja alles viel schlimmer sein. Zumindest warten keine Untoten um die Ecke. Nur Grüffelo – oben im Wald. Sagt mein Sohn. Er ist drei Jahre alt und liebt Grüffelo. Wenn ich mit ihm spazieren gehe, will er ihn besuchen. Also gehen wir zum Grüffelo. In den Wald. Mein Sohn weiß ganz genau, wo er wohnt. Dort, wo der Waldweg eine Biegung macht, hinter einem Zaun, bei der Kuhle im Gebüsch. Wir schauen uns um, suchen ihn. „Nicht da“, sagt mein Sohn traurig. Und fügt hinzu: „Grüffelo arbeiten!“ Ich glaube nicht an Grüffelo, aber was weiß ich schon.
Manchmal treffen wir ein paar Jugendliche im Wald, Jungs und Mädchen. Sie schleichen zwischen den Bäumen umher. Verstohlene Blick. Sie treffen sich heimlich. Zum Knutschen. Ich müsste wohl mit ihnen schimpfen, aber das bekomme ich nicht übers Herz. Die junge Liebe ist stärker als alles. Wahrscheinlich muss es so sein. In meinem neuen Krimi geht es wieder blutig zu. Blutiger als sonst. Ich schaue wahrscheinlich zu viel „The Walking Dead.“ Aber ich habe beschlossen, dass es diesmal auch um die Liebe gehen soll.
Zur Person
Lenz Koppelstätter, 1982 in Bozen geboren ist Bestsellerautor und Reporter. Über zehn Jahre lang arbeitete er in Berlin, heute lebt er wieder in Südtirol. Zuletzt erschien „Das Leuchten über dem Gipfel – Ein Fall für Commissario Grauner“ und als Co-Autor die Biografie „Der schmale Grat“ des ehemaligen Chefarztes und Neonatologen am Bozner Krankenhaus Hubert Messner.
Info
Die Sammlung der Texte, die Südtiroler Schriftsteller*innen zu und während der Quarantäne verfassen und als Reihe in der Südtiroler Tageszeitung publiziert werden, mündet in ein Lesefest von Literatur Lana. Zu Beginn des Sommers, hoffentlich, sollen die Kurzerzählungen, Essays, Gedichte oder Notizen in einem langen Reigen gelesen und mit ihnen ein Wiedersehen gefeiert werden. Das Projekt unterstützt Schriftsteller*innen in Zeiten von Corona.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.