Pistazien
Pistazien
Von Matthias Vieider
Kapitel 1: Oboen
Der Himmel voller Oboen. Auf der Erde ein spärlicher Dachs. Er räumte das Feld. Ohne Dachs nun konnte man gut erkennen. In diesem Feld schliefen die Zwiebeln von Tulpen. Man konnte die Zwiebeln jetzt erspähen. So gesehen handelte es sich um einen Augenschmaus. Lange hielten es die Augen dort jedoch nicht aus. Sie wollten wieder nach oben schielen. Sie sahen: Einen Himmel voll von Möwen. Es waren Oboen. Sie surrsurrten ein Lied.
Kapitel 2: Zurück ins Leben
„Ich hasse Zwiebeln, es sei denn es sind die Zwiebeln von zukünftigen Tulpen“, erklärte der eine Freund. Er hatte sich dazu gesetzt. „Klar und normal“, antwortete ich, „da bist du nicht allein.“ „Danke, ich weiß.“ Wir schwiegen ein wenig. Viel zu erzählen hatten wir uns nicht. „Was das Wetter betrifft können wir heute zufrieden sein“, sagte er schließlich. Da hatte er wohl recht. Der Wind war beinahe unmerkbar. Ins Gesicht fielen uns tausend Sonnenstrahlen. Die Temperatur war lau und es gab kaum Nebel. „Gehen wir zurück“, sagte ich, „es ist Zeit.“
Kapitel 3: Unglaublich
Die Behausung des einen Freundes stand auf einem Hügel inmitten von Fliedern. Ein Betonklotz mit wenigen Fenstern. Dort lebte er schon lange. Dorthin gingen wir zurück. Es musste eine lange Zeit verstrichen sein, seit wir von dort aufgebrochen waren. Die Sonne, die beim Aufbruch gelb gewirkt hatte, war nun rot. Wir hatten Oboen gesehen. Unglaublich schöne Oboen im Himmel.
Kapitel 4: Die guten Tage
Die Tage waren wirklich gut um diese Zeit. Kaum ein Tag verging ohne den Eindruck eines guten Tags. Sei es was das Wetter betrifft, als auch die anderen Umstände. Der eine Freund und ich verstanden uns besonders gut. Wenn er etwas dachte, dachte ich das genauso. Wenn ich etwas liebte und deshalb Empfindungen hatte tat er es mir gleich. „Ich schätze dich sehr, mein Lieber“, sagte ich zu ihm, „gerne verbringe ich mit dir meine Tage.“ Anstatt zu antworten spielte der eine Freund auf einem Fagott. Das Lied hieß: Pistazien. In Pistazien machten wir es uns gemütlich.
Kapitel 5: Bis dahin
Das alles war allerdings keineswegs selbstverständlich. Menschen in anderen Gegenden durften um diese Zeit ihre Behausungen nicht mehr verlassen. Eine Pandemie war ausgebrochen. Es gab Tote. Der eine Freund und ich durften noch. Es waren gute Tage, aber auch eigenartig. „Bald werden auch wir uns einschließen müssen“, sagte ich. „Bis dahin werde ich dich unter der Sonne küssen“, entgegnete er. Und so war es.
Kapitel 6: Ein Witz
Am anderen Tag ging ich allein hinaus. Ich musste nachdenken. Ich wusste nicht, was das alles bedeuten sollte. Sorgen traten auf. Ich machte viele Schritten und Gedanken. Unter einer Weide war eine Bank. Da kam der eine Freund herangestakselt. Er wollte mir einen Witz erzählen. „Na gut“, sagte ich, „von mir aus.“ Der Witz war sehr gut. Ich fand ihn nicht witzig, aber musste kurz lachen. Der Witz ging so: Ein Elefant trinkt mit seinem Rüssel Wasser an einem Fluss. Ein Krokodil schnappt nach dem Rüssel und zwickt ihn ab. Mit nasaler Stimme fragt der Elefant: „Finden Sie das wirklich lustig?“ Diese Geschichte erzählt ein Herr einer Gruppe von Herren. Er fängt an mit „Ein Elefant trinkt mit seinem Rüssel Wasser aus einem Fluss“, vergisst aber wie es weitergeht. Mehrmals versucht er anzuschließen, bricht aber immer wieder ab. Da räuspert sich einer der Herren mit nasaler Stimme: „Finden Sie das wirklich lustig?“
Kapitel 7: Nichts Neues
Eine lange Zeit lang passierte nicht viel Neues, eigentlich nichts. Dann kamen die Tage der verschärften Maßnahmen. Der eine Freund und ich mussten uns in seiner Behausung einschließen. „Weißt du“, sagte der eine Freund, „ich koche gerne. Heute werde ich Bärlauchpesto zubereiten.“ Statt Pinienkernen verwendete er Pistazien. Das Pesto schmeckte wirklich gut. Wir taten es in Nudeln. Dann aßen wir es und frohlockten.
Kapitel 8: Rehe
Nach der Pandemie war alles wieder wie vor der Pandemie. Von den Umständen her. Die Luft war trocken. Die Flieder blühten. Im Umkreis der Behausung hatten sich Rehe angesiedelt. Samtene Tiere, zudem ein Hirsch. Wir versorgten sie mit Wasser. Über uns breitete sich ein Himmel aus. Voller Möwen. Es waren Oboen. Sie surrsurrten ein Lied.
Zur Person
Matthias Vieider, *1990, aufgewachsen in Südtirol, lebt als freier Schriftsteller, Musiker und Performancekünstler in Wien. Seine Texte und Textchen veröffentlichte er in Literaturzeitschriften und Anthologien, u.a. in Idiome, JENNY, Lyrik von Jetzt 3. Zusammen mit Arno Dejaco koordiniert er das Übersetzungsprojekt Lyrischer Wille, das 2018 als Buch im Folio Verlag erschien. www.matthiasvieider.net
Info
Die Sammlung der Texte, die Südtiroler Schriftsteller*innen zu und während der Quarantäne verfassen und als Reihe in der Südtiroler Tageszeitung publiziert werden, mündet in ein Lesefest von Literatur Lana. Zu Beginn des Sommers, hoffentlich, sollen die Kurzerzählungen, Essays, Gedichte oder Notizen in einem langen Reigen gelesen und mit ihnen ein Wiedersehen gefeiert werden. Das Projekt unterstützt Schriftsteller*innen in Zeiten von Corona.
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