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„… dann sperre ich nicht mehr auf“

Norbert Kier, Besitzer des Restaurants Italia & Amore in Bozen, zeichnet ein düsteres Bild für die Gastronomen. Warum er davon überzeugt ist, dass die Corona-Krise über 40 Prozent der Restaurants in den Konkurs treibt.

Tageszeitung: Herr Kier, sind von der Corona-Krise wohl am schlimmsten betroffen. Glauben Sie, dass die Gastronomen aus dieser Krise einen Weg finden?

Norbert Kier: Am Anfang hieß es, dass der Lockdown 30 bis 40 Prozent der Betriebe den Kopf kostet. Ich habe das nicht geglaubt. Wenn man aber jetzt hört, wie lange das weiter gehen soll und welche Maßnahmen dabei gelten, kann ich mir vorstellen, dass diese Zahl sogar überboten wird. Das Problem ist, dass alle Kosten weitzerlaufen. Stand heute haben wir alle kein Geld gesehen. Wenn man danach aufsperren darf, dann wird uns Gastronomen nicht geholfen. Denn alles, was man gestundet hat, ist dann fällig. Es ist aber unmöglich, Geld zu verdienen, wenn sich– wie angekündigt – nur ein Gast pro 20 Quadratmeter im Restaurant befinden darf.

Wie würde diese Regelung bei Ihnen aussehen? Wie viele Gäste könnten Sie noch bewirtschaften?

Wir haben mehrere Stockwerke mit 80 Quadratmetern. Das heißt, ich dürfte nur vier Gäste in ein Stockwerk lassen. Das wäre sogar schlimmer als eine Betriebsschließung, denn die Kosten werden wieder hochgefahren. Sobald man aber öffnet, werden Banken, Zulieferer und Vermieter wieder ihr Geld verlangen. Wenn man dann nur mit einer begrenzten Anzahl an Gästen arbeiten darf, dann kommt es zu einem Massaker.  In dieser Phase 2 wird in Sachen Gastronomie sehr einseitig gedacht.

Sie meinen, derzeit wird die Lage nur von medizinischer Seite aus bewertet?

Ja, genau. Ich verstehe, dass die Situation sehr schwierig ist, ich versteh auch den Landeshauptmann, der sich auf Experten verlassen muss. Aber so wie ich als Unternehmer keinen Plan dafür habe, wie man im Krankenhaus arbeiten muss, so kann ein Virologe nicht sagen, wie ich mich als Unternehmer verhalten soll. Er kann vom Sicherheitsaspekt her vielleicht sagen, wie die Verbreitung des Virus gestoppt wird, damit können wir aber nicht aufsperren.

Ist die 20-Quadratmeter-Regelung für kleinere Betriebe tragbarer?

Grundsätzlich ist es so, dass je größer der Betrieb ist, desto schlimmer ist es. In einer kleinen Bar, wo nur ich arbeite und der Vermieter Kulant ist, habe ich mit diesen Maßnahmen einen kleinen Lichtblick. Auf der anderen Seite sind für einen kleinen Betrieb 3.000 Euro minus pro Monat deutlich mehr als für einen großen Betrieb. Letztendlich wird es für alle Betriebe gleich sein. Tatsache ist, dass die 20-Quadratmeter-Regelung nur sehr wenigen Gastronomen nutzen wird. Jeder Gastronom hat Panik.

Sind Abstandsregeln in Bars und Restaurants also unmöglich umzusetzen?

Nein, wenn sich ein Gast pro zehn Quadratmeter im Restaurant aufhalten dürfte, ist es tragbar. Aber auch das bringt Probleme. Wenn eine Gruppe von Mitarbeitern in meinem Restaurant essen will, dann dürften sie nicht an einem Tisch sitzen, weil sie nicht den gleichen Wohnsitz haben. Danach dürfen die Mitarbeiter wieder in einem Büro sitzen, bei mir im Restaurant aber nicht. Das ist widersprüchlich und wirkt, als hätte es weder Hand noch Fuß.

Glauben Sie, eine einfache Abstandsregelung von einem Meter reicht aus, um die Verbreitung des Virus zu stoppen?

Dass wir nicht die Deppen sind, denen es egal ist, wenn Leute sterben, ist klar. Trotzdem: Wenn ein Restaurant nur unter den Umständen öffnen kann, die jetzt im Raum stehen, da ansonsten eine zweite Welle ausbricht, dann gibt es für uns zwei Möglichkeiten: Entweder Staat und Land finanzieren unsere Fixkosten, oder wir hausen auf. Momentan sieht man nur eine einzige Problematik. Das stimmt aber nicht. Daher habe ich auch einen offenen Brief an die Landesregierung geschrieben. Es gibt nicht nur ein Modell, dass zur Überwindung der Krise führt.

Wie bedroht sehen Sie sich selbst durch diese Regelung?

Wenn diese 20-Quadratmeter-Regelung kommt, dann sperre ich nicht mehr auf, weil ich mich ansonsten selbst schlachte. Ich kann von einem Unternehmer nicht erwarten, dass er freiwillig ins Minus geht.. Ich habe 3,5 Millionen Euro in das Restaurant investiert und habe eine Hypothek auf mein Elternhaus. Ich müsste dann meiner 82-jährigen Mutter erklären, dass sie nicht mehr im Haus wohnen darf. So wird es jedem ergehen, der umgebaut oder neu eröffnet hat. Das ist ein Genickbruch für uns.

Was könnte man Ihrer Ansicht nach dagegen unternehmen?

Alle sind der Meinung, dass der Lockdown nötig war und viel gebracht hat. So ganz stimmt das aber nicht, denn in vielen Ländern gingen die Infektionen unmittelbar nach dem Lockdown zurück. Also war das Verhalten vor dem Lockdown auch ausschlaggebend. Die Leute sind in Sachen Körperkontakt vorsichtiger geworden, haben mehr Abstand gehalten und ihre Hände desinfiziert. Ich glaube, das hat mehr gebracht. Für einen Betrieb sind einige Maßnahmen leicht umsetzbar: Ein Mundschutz für die Mitarbeiter, die gründliche Desinfektion des Bestecks und der Räumlichkeiten oder auch eine leichte Reduzierung der Gäste ist umsetzbar. Die Gästeanzahl wird sich ohnehin verringern, denn es fehlen die Touristen, es wird aber auch Personen geben, die sich nicht mehr in das Restaurant getrauen.  Aber irgendwann sind diese Maßnahmen so extrem, dass ich den Betrieb nicht mehr aufsperren kann. Wenn ich zuvor 200 Essen am Tag ausgegeben habe, dann kann ich durch die diskutierte Regelung nur noch 20 Mahlzeiten am Tag verkaufen. Da ist der Unterschied einfach zu krass.

Wie bewerten Sie das Verhalten des HGV in dieser Krise?

Das Verhalten der Verbände verstehe ich nicht. Wenn der HGV glaubt, dass die Öffnung unter diesen Umständen einen Sinn ergibt, dann haben sie nicht mit uns Gastronomen gesprochen. Wenn der Gedanke jener ist, zunächst die Betriebe aufzusperren und danach die Maßnahmen zu kippen, dann mag das zwar eine Logik sein die funktioniert, aber nicht ehrlich ist. Eine Öffnung unter diesen Umständen bringt jedenfalls keinen Gastronomen weiter. Er kommt endgültig in den Konkurs, das müsste eigentlich jedem klar sein.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (33)

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  • andreas

    Ich denke mit einem Schild „Ave Achammer, die Todgeweihten grüßen Dich“, könnte man eine Menge Geld machen. 🙂

    Wenn sie die 20 qm Regelung nicht sofort kippen und andere Lösungen zulassen, wars das wohl für viele.
    Dann könnten sie beim Konkursrichter schon mal vorsorglich eine Vorrichtung, wo man Nummern ziehen kann, einrichten, damit es sich nicht so staut.

    Warum ist es nicht möglich bei 50.000 Landesangestellten für jede Branche 2-3 vom Land und 2-3 von der Privatwirtschaft zu nehmen, um individuelle Lösungen zu finden?
    Ein Restaurant hat anderen Anforderungen als eine Bar, als ein Hotel oder als eine Alm.

    Zusätzlich zu den Betrieben, bringt es auch Vermieter in Schwierigkeiten, da sie auch nicht viele Möglichkeiten haben.
    Muss der Mieter die Miete komplett zahlen, wird dies fast unmöglich mit der geringeren Auslastung, also kann er sie stunden, was das Problem nur nach hinten verschiebt oder kürzen, was das Sinnvollste wäre.
    Wenn er auf die Miete besteht, schließt der Betrieb, viel bekommt er dann nicht mehr und er wird auch mittelfristig keinen neuen Mieter finden und wenn, dann gewiss nicht zu den derzeitigen Mietpreisen.

  • bernhart

    Herr Kier, Sie haben mit Ihren Aussagen vollkommen Recht und alle Gastronomen denken das selbe,es passt auf keine Kuhhaut was die Vorschriften angeht, es wird viele Gastwirte in den Ruin treiben, das mit harter Arbeit geschaffene ist verloren, schade für unser Land und Bürger. In dieser Hinsicht hat das Land und der Staat total versagt, es muss auch andere Möglichkeiten geben, Fieber messen wäre eine Oppition. Die Fixkosten fressen die Betriebe auf,das sollte auch die Politik einsehen,aber leider verschwenden diese nur unsere Steuergelder. In Deutschland wird zur Zeit diskutiert allen Familien Wertgutscheine in höhe von 250 Euro zugeben zum einkaufen.das wäre auch für uns eine Möglichkeit lokale Geschäfte und restaurants zu unterstützen.

  • murega

    Ich denke, es wird an der Steuergrundlage fehlen, um Steuern zahlen zu müssen.

  • murega

    … ich finde die Preise bei uns nicht überzogen.

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