Einsames Sterben
Wie fühlen sich jene Menschen, die sich um die Toten kümmern? Wird die Corona-Krise die Trauerkultur nachhaltig verändern? Die Bestatterin Magdalena Schwienbacher erklärt, was Abschiednehmen ohne menschliche Nähe bedeutet.
von Eva Maria Gapp
Magdalena Schwienbacher arbeitet seit rund zehn Jahren als Bestatterin in Meran und Umgebung. Sie sagt: „Das Schöne an meinen Beruf ist, dass man den Menschen helfen und beistehen kann, wenn es ihnen schlecht geht.“ Doch die Corona-Krise und das Kontaktverbot haben die Arbeit in ihrer Branche radikal verändert.
Eine halbe Stunde vor dem Termin für das Telefon-Interview schreibt sie: „Ich verspäte mich. Ich muss noch ein paar Dokumente für laufende Sterbefälle organisieren.“
Tageszeitung: Frau Schwienbacher, hätten Sie sich vor zwei Monaten gedacht, dass irgendwann mal keine Begräbnisse in der uns bekannten Form stattfinden werden?
Magdalena Schwienbacher: Ich glaube, damit hat wirklich keiner gerechnet. Es ist nach wie vor schwer zu begreifen. Eine Sache ist, wenn Angehörige sich selbst dafür entscheiden, aber dass es wirklich vorgeschrieben wird, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht. Das ist unglaublich schwierig für uns alle.
Wie hat sich jetzt aufgrund der Corona-Krise Ihr Arbeitsalltag verändert?
Durch die Corona-Krise hat sich der Alltag stark verändert. Noch bevor ich ins Büro gehe ziehe ich einen Mundschutz und Handschuhe an. Wenn wir wissen, dass Angehörige kommen, lüften wir erstmals den Raum und wenn sie dann weg sind, desinfizieren wir alle Oberflächen und lüften erneut. Wir sagen auch den Angehörigen, dass sie mit Mundschutz und Handschuhe kommen sollen. Was mir sehr komisch vorkommt ist, dass man den Menschen nicht mehr die Hand geben darf, wenn man das Beileid ausspricht. Jetzt macht man dies durch ein Kopfnicken. Manchmal hat man auch Angehörige umarmt, das ist jetzt auch nicht mehr möglich. Dann gibt es auch einige, die alles per E-Mail abwickeln möchten, weil sie nicht ins Büro kommen wollen.
Und wie hat sich der Umgang mit den Toten geändert?
Die Regeln schreiben vor, dass wir alle Verstorbenen so behandeln müssen, als wären sie an einer Covid-19-Infektion gestorben. Das heißt, bei einer Abholung (vom Alters- oder Pflegeheim oder von zu Hause) müssen wir den Verstorbenen in ein Laken wickeln, das mit Desinfektionsmittel getränkt wurde und ihn in einen Leichensack geben. Erst dann kommt der Leichnam in den Sarg. Wir tragen dabei einen Schutzanzug, eine Schutzbrille, einen dichten Mundschutz und zweifach dicke Handschuhe. Vor Ort wird dann auch noch ein Schuhschutz angezogen. Und wir dürfen die Verstorbenen, egal ob Covid-19-Patient oder nicht, nicht mehr anziehen, auch wenn es die Angehörigen gerne hätten. Was wir aber sehr wohl dürfen und auch nach wie vor tun, ist, den Verstorbenen in den Sarg legen. Bei uns muss das kein Angehöriger übernehmen.
Sonst hat sich auch einiges geändert: Die Feierlichkeiten dürfen nicht mehr in der Kirche stattfinden, sondern nur mehr am Friedhof. Es darf kein Weihwasser benutzt werden. Bei der Beerdigung dürfen maximal zehn Personen teilnehmen, und sie müssen einen Sicherheitsabstand von einem Meter einhalten. Man darf also einen Menschen, der trauert, der einem nahe steht, nicht in den Arm nehmen, ihm die Hand halten oder trösten. Es fällt auch sonst einiges von den Ritualen weg: Kein Rosenkranz, keine Sargträger, keine Live-Musik, die spielt, kein Chor, der singt usw. Und wir sind nun in der Situation, den Angehörigen mitteilen zu müssen, dass sie vor der Entscheidung stehen: Wer darf mit auf den Friedhof und wer nicht? Das ist natürlich auch für uns nicht immer ganz leicht.
Was bedeutet das für die Hinterbliebenen? Abstand halten, wenn man sich am meisten braucht…
Es ist für die Familien unglaublich schwierig, in diesem Moment der Trauer so alleine zu sein und dann auch noch auf Distanz bleiben zu müssen – gerade in einem Augenblick, wo man körperliche Nähe vielleicht dringend benötigt. Man muss sich das so vorstellen: Die Familienmitglieder stehen sehr weit auseinander und haben quasi nur Blickkontakt. Das ist sehr schmerzhaft. Ganz schlimm ist für die Angehörigen aber auch, dass sie den Verstorbenen nicht mehr sehen und berühren dürfen. Stirbt etwa ein Angehöriger im Krankenhaus oder im Altersheim, bekommen ihn die Hinterbliebenen nicht mehr zu Gesicht. Aber auch schon davor können sie nicht mehr für die Person da sein, die Hand halten, wenn es dem Ende zugeht. Das ist das Schlimme. Krankenhäuser, Pflege- und Seniorenheime sind für Angehörige und Freunde quasi zum Sperrgebiet geworden. Auch am offenen Sarg ist kein Abschied mehr möglich. Vor Corona konnten Angehörige dem Verstorbenen noch einmal über das Gesicht streichen. Das geht jetzt nicht mehr. Und auch zu begreifen, dass diese Person jetzt nicht mehr da ist, ist dadurch viel schwieriger. Man kann sagen: Das Sterben ist einsamer geworden.
Das wird auch für Sie nicht immer ganz einfach sein…
Es ist natürlich nicht immer ganz einfach damit umzugehen, wenn ich sehe, wie Angehörige darunter leiden, dass sie sich nicht verabschieden können. Das geht natürlich nicht spurlos an mir vorbei. Das kann auch psychisch sehr belastend sein. Man möchte diesen Menschen ja helfen und beistehen, wenn es ihnen schlecht geht, aber wir können das nicht mehr in der Form, wie wir es gewohnt sind. Uns sind ein Stückweit die Hände gebunden. Ich versuche dann aber immer mit Worten für die Angehörigen da zu sein, ihnen Mut zuzusprechen. Wir merken, dass dies den Angehörigen sehr hilft. Wir lassen sie erzählen und hören ihnen zu. Wir machen auch Fotobücher für die Angehörigen, damit sie auch eine Erinnerung haben von der Beerdigung und dies später den Lieben zeigen können, die nicht dabei sein konnten.
In Österreich, aber auch in Südtirol bieten einige Bestattungsunternehmen nun an, Begräbnisse zu filmen oder via Livestream zu verfolgen. Machen Sie das auch?
Wir haben diesbezüglich noch keine Anfragen erhalten. Das kann vielleicht auch daran liegen, dass dies für die Angehörigen befremdlich ist, wenn man so etwas Intimes mit der Kamera filmt. Aber wenn dies gewünscht ist, werden wir das sicherlich auch anbieten.
Gibt es auch Menschen, die eine Beerdigung verschieben, weil sie warten wollen, bis sich die Lage normalisiert?
Ja, es ist schon mal vorgekommen, dass Familien mit den Gedanken gespielt haben, die Beerdigung zu verschieben. Aber Wochen zu warten, bis man endgültig Abschied nehmen kann, ist emotional hart. Trauer ist auch ein Prozess, und das Begräbnis ist wichtig, um akzeptieren zu können, dass der geliebte Mensch nicht mehr da ist.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen, mit denen Sie konfrontiert sind?
Den Spagat zu schaffen: Auf der einen Seite für die Hinterbliebenen da zu sein, sie in ihrer Trauer irgendwie aufzufangen, auf der anderen Seite die neuen Corona-Maßnahmen so umzusetzen, dass man sich auch wirklich sicher fühlt. Und am Anfang war es schwierig, die ganze Schutzausrüstung zu bekommen. Das möchte ich auch betonen. Nicht nur das Sanitätspersonal hatte Schwierigkeiten, sondern auch wir. Wir hatten aber Glück, dass wir bereits frühzeitig bestellt haben.
Wie gehen Sie eigentlich mit der Ansteckungsgefahr um? Haben Sie Angst, sich anzustecken?
Wir halten uns sehr streng an die Vorschriften und haben uns eigene gemacht. Dennoch muss man sagen: Man darf die Gefahr nicht unterschätzen. So habe ich zum Beispiel, um auch wirklich kein Risiko einzugehen, eine Haus- und Arbeitskleidung, die ich streng einhalte.
Jetzt abschließend noch: Wird die Corona-Krise die Trauerkultur nachhaltig verändern?
Ich denke, das kann heute noch niemand sagen. Ich hoffe, dass dadurch nicht zu viele unserer Bräuche und Traditionen verloren gehen. Denn diese geben den Menschen auch Kraft und Halt. Auch wenn es oft im ersten Moment nicht so wirkt.
Interview: Eva Maria Gapp
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