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„Südtirol ist nicht Österreich“

Senatorin Julia Unterberger lobt die Arbeit der Regierung Conte, warnt vor falschen Vergleichen mit Deutschland und Österreich – und wirft Salvini und Co. „hirnrissige Volksverhetzung“ vor.

Tageszeitung: Frau Unterberger, Ministerpräsident Giuseppe Conte hat dem römischen Parlament seine Pläne im Kampf gegen die Corona-Pandemie offengelegt. Wann wird Italien aus dem Lockdown aussteigen?

Julia Unterberger: Wie es ausschaut, ist die Regierung nicht bereit, vor dem 4. Mai Öffnungen zuzulassen. In Rom ist man weiterhin extrem vorsichtig. Das geht vor allem von Gesundheitsminister Roberto Speranza aus, der sich auf die Aussagen der Gesundheitsexperten stützt und vor den Gefahren einer zweiten, noch viel schlimmeren Infektionswelle warnt. Auf der anderen Seite ist  Giuseppe Conte dem wachsenden Druck der Wirtschaft und der Präsidenten der Regionen ausgesetzt. Das Ergebnis dieses Tauziehens ist der ausverhandelte Kompromiss, dass ab dem 4. Mai stufenweise Lockerungen vorgenommen werden.

Die richtige Entscheidung?

Das wird man wahrscheinlich erst im Nachhinein sagen können, wenn man die erzielten Ergebnisse zwischen Ländern, die früher geöffnet haben, mit denen, die vorsichtiger waren, vergleichen kann. Ich verstehe den Unmut der Wirtschaftstreibenden. Mich beeindruckt  aber auch, wie durchdacht und planend  die Regierung an diese Krise herangeht. Die Italiener haben den Ruf, oberflächlich und leichtsinnig zu sein. Diese Regierung bestätigt die Vorurteile jedoch nicht, ihre Planungen gehen bis ins kleinste Detail. So wird genau darauf geachtet, wie die zwischenmenschlichen Kontakte auch nach dem 4. Mai möglichst vermieden werden können. In den Restaurants sollen Plexiglasabdeckungen zum Einsatz kommen, die Erwerbsarbeit soll auf sieben Tage und mehr als acht Stunden aufgeteilt werden, um die üblichen Stoßzeiten zuvermeiden, in den Museen sollen Eintrittsschichten vorgesehen werden, eine App soll alle warnen, die mit Menschen, die sich nachträglich als positiv herausgestellt haben, in Kontakt waren usw.

Südtirol und andere Regionen drängen seit Wochen darauf, autonom Lockerungen an den Corona-Vorschriften vornehmen zu dürfen. Diesem Wunsch hat Conte nun eine klare Absage erteilt …

Eine klare Absage würde ich es nicht nennen, eine kleine Hoffnung auf differenzierte, regionale Lösungen  besteht schon noch. Aber ja, es ist lästig, dass die Regierung darauf besteht, dass in allen Regionen die gleichen Regeln gelten. Ich glaube aber, dass wir es im Notfall auch schaffen diese, 10 Tage bis zur entscheidenden Lockerung noch auszuhalten. Auf lange Sicht ist die Vorsicht sicher der bessere Ratgeber, als überhastete Entscheidungen, die zu vielen Toten führen könnten.

Einen Südtiroler Alleingang wird es aber vorerst nicht geben?

Ich will nicht ausschließen, dass der LH mit dieser Forderung Erfolg haben wird. Derzeit ist es so, dass die Richtlinien für das gesamte Staatsgebiet gelten sollen. Die Regionen können zwar strengere Regeln erlassen als der Staat, sie können jedoch keine größeren Freiheiten gewähren. Es schaut folglich nicht so gut für einen Südtiroler Sonderweg aus.

Die Ungeduld der Menschen steigt. Viele fragen sich, wann sie wieder zum Friseur gehen dürfen und ob sie heuer in den Urlaub fahren können. Was ist der Stand der Dinge?

Noch gibt es kein offizielles Dekret der Regierung. Es handelt sich also nur um Hypothesen, die zirkulieren. Man geht davon aus, dass am 4. Mai das produzierende Gewerbe, die Bauwirtschaft und der Großhandel ihre Tätigkeit wieder aufnehmen können. Das wäre aus meiner Sicht auch schon früher möglich gewesen – vorausgesetzt, die Sicherheitsstandards werden eingehalten. Als nächstes, ungefähr Mitte Mai, können die Geschäfte geöffnet werden, auch Friseurinnen und Kosmetikerinnen dürfen unter Einhaltung der Hygienevorschriften wieder arbeiten. In einem dritten Moment dürfen die Bars und Restaurants wieder aufsperren. Ich rechne damit, dass dann im Sommer auch die Hotels öffnen können und glaube, dass die Italiener ihren Urlaub heuer in Italien verbringen werden.

Darf man die Region nach dem 4. Mai wieder verlassen?

An den Mobilitätsbeschränkungen für die Menschen wird sich voraussichtlich bis Juni nicht viel ändern. Ohne trifftigen Grund und ohne Eigenerklärung dürfen sie die Region nicht verlassen und diese Einschränkung wird penibel kontrolliert. Am Bahnhof in Rom waren heute (Mittwoch, A.d.R.) mehr Polizisten als Reisende. Etwas übertrieben, so als wäre ein Krieg ausgebrochen. Zurzeit bin ich oft allein im Zugabteil, wenn ich von Bozen nach Rom und zurück fahre. Ansonsten trifft man fast ausschließlich andere Parlamentarier, der Zug nach Rom und zurück fährt nur ein Mal täglich.

Wie erklären Sie sich, dass vor allem in Südtirol der Ruf nach Lockerungen immer lauter wird?

Mein Eindruck ist, dass insbesondere die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol, die ihren Blick nach Deutschland und Österreich richtet, wo schon jetzt viel größere Freiheiten herrschen, ungeduldig ist. Bei der italienischen Bevölkerung ist die Ungeduld nicht so groß. Beim Vergleich mit Deutschland und Österreich darf man jedoch die Zahlen nicht vergessen: Die Epidemie hat Italien und auch Südtirol viel härter getroffen. Die Infektionszahlen und Sterberaten sind höher – und wenn diese Zahlen nicht so aussagekräftig sind, weil man die Dunkelziffern der Infizierten nicht kennt, dann braucht man nur die Sterberaten auf den Intensivstationen zu vergleichen. Auch da steht Südtirol nicht so super da. Deshalb riskieren auch wir den Zusammenbruch des Gesundheitssystems, sollte uns eine zweite, noch heftigere Welle überrollen.

Sie haben in Ihrer Rede im Parlament die Arbeit von Ministerpräsident Giuseppe Conte gelobt und gleichzeitig kritisiert. Warum?

Ich habe vor allem gelobt, dass er sich in Europa Respekt verschafft hat und dort eine gute Arbeit leistet. Seine Charmeoffensive mit Interviews in den ausländischen Medien hat sicher dazu beigetragen. Kritisiert habe ich, dass er sich manchmal zu wenig von den Populisten abgrenzt, wie zum Beispiel bei seiner voreiligen Ablehnung der Mittel aus dem ESF, immerhin 37 Milliarden Euro zum Niedrigzins und ohne Auflagen! Bei solchen Aussagen von ihm muss man aber auch berücksichtigen, in welch schwieriger Situation er ist. Seine Mehrheit stützt sich inzwischen auf fünf Gruppierungen und die Grillini sind leider in manchen Fragen sehr ideologisch und wenig rational. Wenn der Ministerpräsident in solchen Fällen also das sagen würde, was er, wie ich mir sicher bin,  wirklich denkt, würden die halben Grillini wegbrechen und die Regierung hätte keine Mehrheit mehr. Wenn man bedenkt, dass diese zerbrechliche Regierung von der grössten Krise seit dem zweiten Weltkrieg heimgesucht wurde, muss man sagen, dass sie sich bis jetzt gut gehalten hat. Entgegen vielen  Unkenrufen gehe ich davon aus, dass die Regierung bis 2023 halten wird. Die Kritik der Opposition, die Conte zuerst vorgeworfen hat, zu spät agiert und die Italiener zu wenig informiert zu haben, um ihm danach vorzuwerfen, zu umsichtig und ständig in den Medien präsent zu sein, ist an den Haaren herbeigezogen. Ob er seine Reden an die Staatsbürger zu früh oder zu spät abhält, ist vor dem Hintergrund dieser Krise, ein Luxus-Problemchen.

Mit der Rechtsopposition sind Sie in Ihrer Rede hart ins Gericht gegangen…

Ja , mich regt diese hirnrissige Volksverhetzung, wie wir sie am Beispiel ESF sehen, einfach auf. Und diese Widersprüchlichkeit: einerseits ziehen Salvini und Meloni dauernd über Europa, die Deutschen und „die Merkel“ her, andererseits verlangen sie ein Höchstmaß an Solidarität von ihnen. Am besten sollte Deutschland noch  einen Teil der Schulden Italiens übernehmen. Und wenn ein Journalist, der aus dem gleichen rechten Lager wie sie, nur eben aus Deutschland kommt, dort ebenfalls nationalistische Töne anschlägt, dann geht ein Aufschrei durch ihre Reihen. Deswegen habe ich sie daran erinnert, dass  dem „ prima gli Italiani“ in Italien das „prima i tedeschi“ in Deutschland entspricht, und das noch dazu aus dem Dunstkreis jener Parteien kommt, mit denen sie ja verbündet sind. Nationalisten bzw. Sovranisten und Europa sind ein Widerspruch in sich und wir Südtiroler tun gut daran, uns von solchen politischen Zeitgenossen fern zu halten.

Interview: Matthias Kofler

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (46)

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  • leser

    Grundsätzlich ist dieser inhalt nichts anderes als bilateraler meinungsaustausch auf diplomatischer ebene
    Genau betrachtet worthūlsen
    Italien wird seine benötigte billion von der EU nicht kriegen ohne unter den esm schirm zu gehen und sich kontrollen wie griechenland sie hatte zu unterwerfen

    • andreas

      Du weißt aber schon, dass „bilateral“ eine der unsinnigsten Worthülsen ist, welche erfunden wurden?
      Jedes Gespräch ist bilateral, sonst wäre es ein Monolog.

      Natürlich wir sich Italien finanzieren können, die gestern beschlossenen 500 Milliarden, welche am 1. Juni zur Verfügung stehen, sind lächerlich. Eurobonds oder EZB, durch eines von den beiden finanziert sich Italien.
      Auch die Deutschen werden noch einsehen, dass sie Italien und den Süden brauchen, spätestens dann, wenn ihre Autoindustrie vor dem Kollabieren ist.
      Verkaufen sie kaum mehr ihre Kübel in Europa, können sie ihre Werke in Europa schließen und sich für Millionen Leute eine Beschäftigung suchen.
      Die Franzosen kaufen sie ihnen auch nicht ab, da diese patriotisch sind und bei den Briten, wird es einen Zoll geben. Damit hätten sie die 3 größten Märkte nach ihnen in Europa verloren.

      • leser

        Anderle
        Der Absatzmarkt der deutschen Autos nach Italien ist nicht einmal 4%, wobei ein grosser Teil der italienischen Produktion ja deutsch ist
        Wo lebst du
        Umgekehrt ist es so dass Deutschland für Italien ein grosser zulieferermarkt ist,
        Spanien beispielsweise baut Autos aus Deutschland, hätten diese nicht schon vor Jahren diese Produktionen übernommen, Gäbe es sie vermutlich schon lange nicht mehr
        Genauso wie Tschechien, ach das hört nicht auf, aber was soll ich mit dir reden
        Du vergisst Deutschland hat kein Problem mit einer Verschuldung die. Innerhalb 60% liegt eine billionenschwere Neuverschuldung selber zu tragen und würde nicht mehr als auf 80% steigen ( immer noch knapp die Hälfte als Italien)
        Italien , Frankreich , der Rest bis auf wenige können das eben nicht sogar England ist das nicht in der Lage
        Daher wäre zumindest ein wenig Demut und Anstand dieser Länder gefragt und nicht vom Bittsteller zum Herren mutieren
        Helfen und Solidarität ist gut aber es sollte klar sein wer Bittsteller und Helfer ist

  • tiroler

    Julia Unterblablabla.

  • bettina75

    Meiner Meinung fehlen dieser Regierung nicht die Ideen, doch die Umsetzung dieser Ideen lässt zu wünschen übrig !
    Speranza: „Siamo preparati“.

  • heinz

    Die Marktschreier Salvini und Meloni sind nicht einmal imstande, die Zusammenhänge zu verstehen. Und solche wollen den Staat leiten.
    Die Chaoten von der Fpö im Nachbarstaat sind kein bisschen besser und wurden zurecht abgewählt. Mit Rechtspopulisten ist kein Staat zu machen.

  • sepp

    Julia Maske aufsetzen und still sein

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