„An Grenzen gestoßen“
Zum Hochfest der Diözesanpatrone Kassian und Vigilius am kommenden Sonntag, 26. April, hat Bischof Ivo Muser einen Hirtenbrief verfasst, in dem die Coronakrise und deren Auswirkungen auf Glauben und Gesellschaft die zentrale Rolle einnehmen.
Bischof Muser weist im Schreiben darauf hin, dass die Pandemie gezeigt habe, wie wichtig die Pflege, das Feiern und das Weitergeben des Glaubens in unseren Häusern und Familien sei.
Die Coronakrise habe außerdem aufgezeigt, wie unsere Gesellschaft an eine Grenze stoße und dass wir uns jetzt fragen müssen, was die „tatsächlich Armen“ unter uns und weltweit brauchen.
Bischof Muser nimmt das Fest der Diözesanpatrone Kassian und Vigilius zum Anlass, um sich mit einem Hirtenbrief, „einem geistlichen Wort“ mit allen Gläubigen zu vernetzen.
Muser versteht den Hirtenbrief als Grundlage für das Gespräch und die Vertiefung zu Hause und in den Familien, „in unseren Hauskirchen“.
Der Hirtenbrief von Bischof Ivo Muser im Wortlaut:
„Liebe Schwestern und Brüder in unserer Diözese Bozen – Brixen! Liebe Familien und Pfarrgemeinden! Liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst und liebe Ordensleute, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den verschiedenen Seelsorgsbereichen, liebe Religionslehrerinnen und Religionslehrer!“
Erstmals seit 1945 keine Kassiansprozession
Wahrscheinlich gibt es ein Wort, das wir alle nicht mehr hören möchten: Coronavirus. In diesen Wochen und Monaten ist das gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche, schulische, musikalische, sportliche, öffentliche Leben sehr eingeschränkt. Abgesagt, nicht möglich, findet nicht statt, geschlossen, verschoben: so oder ähnlich klingen viele Informationen und Gespräche in dieser Zeit. Auch das kirchliche, seelsorgliche Leben ist davon stark betroffen. Seit dem 9. März können die Gottesdienste nicht mehr öffentlich gefeiert werden.
Sitzungen und Planungen sind auf ein Minimum reduziert. Ostern, den Höhepunkt des Kirchenjahres, mussten wir auf ungewohnte Weise begehen. Die Erstkommunionfeiern mussten verschoben werden.
Viele Hochzeiten werden auf spätere Termine verlegt. Besonders belastend und schmerzlich empfinden viele Menschen die Art und Weise, wie Begräbnisfeiern in diesen Wochen stattfinden müssen.
Die Kassiansprozession, die seit 1703 durch die Straßen der Bischofsstadt Brixen führt, muss auch ausfallen. Das letzte Mal war das vor 75 Jahren, beim Kriegsende 1945.
Es braucht weiterhin Demut, Entschiedenheit, Solidarität
„Oft habe ich in den vergangenen Wochen gesagt: Jetzt braucht es Demut, Entschiedenheit, Solidarität. Keine Alleingänge – auch nicht im kirchlichen Bereich. Es braucht eine tiefempfundene Dankbarkeit den vielen Menschen gegenüber, die gerade jetzt ihren Mann und ihre Frau stehen in den Krankenhäusern, in den Senioren – und Pflegeheimen, durch die Pflege von Angehörigen zuhause und in vielen anderen Lebensbereichen.
Es braucht ein Umdenken, wie die biblische Botschaft es meint. Nicht nur, damit dieser Alptraum bald vorbei ist, sondern damit nicht einfach alles weitergeht wie bisher. Hoffentlich nicht! In diesen Tagen warten wir alle auf deutliche Signale für die Zeit nach dem 3. Mai. Aber so manches Ungewohnte und Belastende wird uns noch lange begleiten – als Gesellschaft und als Kirche. Da braucht es weiterhin Demut, Entschiedenheit, Solidarität, viel Wir und weniger Ich!“
Vernetzung am Hochfest der Diözesanpatrone
Das Fest unserer Diözesanpatrone Kassian und Vigilius nehme ich jetzt zum Anlass, um mich mit einem geistlichen Wort mit euch allen zu vernetzen. Viele Formen der menschlichen und geistlichen Verbundenheit hat es in diesen zurückliegenden Wochen gegeben. Für dieses Bemühen danke ich aufrichtig!
Was wissen wir über die Patrone unserer Diözese Bozen – Brixen?
Kassian ist um das Jahr 304 in Imola als christlicher Lehrer den Märtyrertod gestorben. Seine Verehrung und eine Reliquie kamen auf den heiligen Berg Tirols, nach Säben. Dort ist für das Jahr 850 eine Kirche zu seinen Ehren mit Sicherheit bezeugt. 993 werden die auf Säben verehrten Kassiansreliquien in den neuerbauten Dom von Brixen übertragen.
Im Jahre 2004 – also 1700 Jahre nach dem Tod des hl. Kassian – ließ man seine sterblichen Überreste untersuchen, die im Dom von Imola aufbewahrt werden. Diese Untersuchungen, die von wissenschaftlichen Instituten von Bologna, Genua und Miami in den USA durchgeführt wurden, brachten eine Bestätigung für das, was in der Volksfrömmigkeit immer geglaubt wurde: Die Gehirnschale weist Verletzungen auf, die auf Stiche mit Schreibgriffeln zurückzuführen sind, wie man sie zur Zeit des Kaisers Diokletian zum Schreiben auf Wachstäfelchen verwendet hat.
Weiters wurde festgestellt: die Reliquien stammen von einem gut 30jährigen Mann, der 20 bis 30 Tage nach Zufügung der Verletzungen gestorben ist. Bemerkenswert: eine alte Überlieferung, die von vielen Historikern als bloße Legende angesehen wurde, wird durch moderne Untersuchungsmethoden bestätigt.
Vigilius, der Abstammung nach ein Römer, war der dritte Bischof von Trient. Der Kirchenvater Ambrosius von Mailand hat Vigilius in seinem Amt bestätigt und bestärkt und ihm Missionare aus Kleinasien zur Verkündigung des Evangeliums übersandt. Wir kennen ihre Namen: Sisinius, Martyrius und Alexander. Alle drei starben am Nonsberg als Märtyrer im Jahre 397, also zu einer Zeit, als die Christenverfolgungen im römischen Reich schon vorbei waren. Vigilius informierte darüber den Bischof von Mailand und sogar den hl. Johannes Chrysostomus in Konstantinopel. Auch sandte er Reliquien der Nonsberger Märtyrer dorthin. Die Begleitbriefe sind erhalten. In Trient wurde Vigilius seit altersher als Diözesanpatron verehrt. Sein Grab befindet sich unter dem Hauptaltar des dortigen Domes. Seit 1964, dem Jahr der Errichtung unserer Diözese Bozen – Brixen, ist er zusammen mit dem hl. Kassian unser Diözesanpatron.“
Coronakrise zeigt Wichtigkeit der Hauskirche auf
„Zum Festtag der Patrone unserer Ortskirche lege ich uns allen die schlichten Vollzüge des Glaubens ans Herz, die Generationen von glaubenden Menschen vor uns gepflegt haben. Ich bitte euch alle, darüber nachzudenken, was euch möglich ist. Die Erfahrung der vergangenen Wochen hat gezeigt, wie wichtig die Hauskirche ist: die Pflege, das Feiern und das Weitergeben des Glaubens in unseren Häusern und Familien. Früher gab es das Morgengebet, das Abendgebet, das Gebet vor dem Essen und nach dem Essen.
Da beteten Menschen dreimal am Tag den „Engel des Herrn“. Da gab es das Kreuzzeichen und das Weihwasser, den Herrgottswinkel und die Bilder der Mutter Gottes und der Heiligen, die Zeichen und Bräuche der Volksfrömmigkeit, den Rosenkranz, das Einkehren in unsere Kirchen zu einem Gebet vor dem Herrn im Tabernakel, die Beichte, der Sonntag und der Festtag, der seine Mitte hatte im Kirchgang.
In den letzten Jahrzehnten sind viele dieser schlichten, einfachen, regelmäßigen und doch so einprägsamen Rituale bei vielen Menschen aus dem Gebrauch gekommen; nicht selten wurden sie als bloß äußerlich oder als bloß gewohnheitsmäßig verdächtigt. Doch das ist ein gewaltiger Irrtum! Glaube kann sich nicht beschränken auf einige Ausnahmegelegenheiten. Lebendiger Glaube, der mit unserem Leben zu tun hat und der uns hilft, das Leben zu deuten und zu bewältigen, braucht den Alltag und die Regelmäßigkeit!
Entdecken wir wieder neu, wie wichtig es ist, die Heilige Schrift zu kennen, über den Glauben zu reden, den Glauben zu feiern, ihn in Zeichen und Bildern auszudrücken. Wer über den Glauben nichts mehr weiß, kann ihn nicht als Kraftquelle entdecken. Die Weitergabe des Glaubens braucht das Erzählen des Glaubens von einer Generation zur anderen.
Zeichen unseres Glaubens pflegen und zu ihnen stehen
Pflegen wir die sichtbaren und schlichten Zeichen unseres Glaubens! Schämen wir uns nicht vor dem Essen ein Kreuzzeichen zu machen, auch in der Öffentlichkeit und in einem Restaurant. Haben wir immer großen Respekt vor der Glaubensüberzeugung anderer Menschen, aber zeigen wir im persönlichen und genauso im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben, dass wir Christen und Christinnen sind und bleiben wollen; nicht verschämt und mit vorgehaltener Hand, sondern mit Freude und auch mit Stolz!
Liebe Eltern und Großeltern, segnet gerne und oft eure Kinder und Enkelkinder; vermittelt ihnen das Gespür für das Heilige, auch für den heiligen Raum. Kinder sind dafür sehr empfänglich und aufgeschlossen. Redet mit den Kindern über Gott, über Jesus, über die Welt des Glaubens. Sagt und erzählt den Kindern, was euch der Glaube bedeutet!
Lernen wir wieder neu den Sonntag und die Feier des Kirchenjahrs, und entdecken wir, welcher Schatz uns da anvertraut ist! Schämen wir uns nicht für unseren Glauben und haben wir den Mut, darüber zu reden und ihn auch konkret in der Öffentlichkeit zu zeigen!“
Soziale Dimension des christlichen Glaubens
Ganz besonders unterstreichen will ich die soziale Dimension des christlichen Bekenntnisses, ohne die sich der Glaube nicht christlich nennen darf: der Einsatz für den Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod, die Nachbarschaftshilfe, das Ehrenamt, die Bereitschaft, soziale, karitative Projekte mitzutragen und zu unterstützen, das persönliche und strukturelle Teilen mit jenen, die auf Hilfe angewiesen sind, der Einsatz für die Schöpfung. Christen und Christinnen wird man immer auch erkennen müssen als solche, die „keine Gewalt anwenden“ und „die Frieden stiften“ (vgl. Mt 5,5.9).
Coronakrise zeigt Grenzen der Gesellschaft auf
Die Coronakrise hat unter anderem auch deutlich gemacht, wie eine Gesellschaft, die im Gastgewerbe, in der Mobilität, in der Freizeitindustrie, im Handel und in vielen anderen Wirtschafts- und Lebensbereichen auf ständig mehr Wachstum setzt, an eine deutliche Grenze stößt.
Der biblische Glaube mit seiner Option für die „Armen, die wir immer unter uns haben“ (vgl. Joh 12,8), hat uns viel für einen Perspektivenwechsel zu sagen, der uns und unserer ganzen Gesellschaft gut tut. Bemühen wir uns in der Bewältigung dieser weltweiten Krise nicht vor allem darum, dass alles so bleibt oder wieder wird, wie es war. Fragen wir uns, was die tatsächlich Armen brauchen – unter uns und weltweit. Und fragen wir uns von unserem Glauben her, was unsere Schöpfung braucht, damit sie unsere gemeinsame Lebensgrundlage bleiben kann.
In meinem Hirtenbrief „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (15. März 2020) habe ich geschrieben: „Ein Wirtschaftssystem, das auf Egoismus beruht, ist die Wurzel globaler Fehlentwicklungen und Herausforderungen wie soziale Ungleichheit, ökologische Blindheit, Nationalismen und Fundamentalismen“.
Danke für die vielen Zeichen der Verbundenheit und der Vernetzung, die ich in den zurückliegenden Wochen erfahren und erleben durfte – gerade in einer Zeit eingeschränkter Verbindungen und Begegnungen! Danke für den gemeinsamen Weg im Glauben.
Der auferstandene Herr segne den Weg unserer Ortskirche durch die Geschichte.
Maria, Mutter der Kirche, heilige Diözesanpatrone Kassian und Vigilius, alle Heiligen und Seligen unserer Diözese, bittet für uns.
Euer Bischof
+ Ivo Muser
Kassian– und Vigiliussonntag, 26. April 2020“
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Kommentare (7)
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sepp
bells bells so isches mit gscheide reden hom die leute nett gessen und wegen mir kenntas die Kirchen zui gsperrt lossen
sepp
Du dei kriegen schun ihre spenden dei vosprechen woll olten leit sie kemm in himmel vogess mo dei kaste und über haupt des grinssen tuit nett isch wen a die leit auslocht