Film im Kopf
Er widmete sein Leben dem Film. Am Ostersonntag ist der Meraner Filmemacher Mario Deghenghi im Alter von 96 Jahren an Herzschwäche verstorben.
Von Irina Ladurner
Es war sein Fenster in die Vergangenheit: Mario Deghenghi saß im Wohnzimmer seiner Obermaiser Wohnung, gemeinsam schauten wir auf seinen Röhrenfernseher. Das Filmbild zeigte ihn mit Karl Schedereit und Bruno Jori – ein Trio, das Südtiroler Filmgeschichte schrieb. Als ich Deghenghi an diesem Novembertag 2012 für meine Diplomarbeit erstmals besuchte, war er der letzte der drei, der noch von dieser Zeit erzählen konnte. Acht Jahre später, am Ostersonntag 2020 ist auch er verstorben. Damit schließt sich ein Stück weit ein Fenster in Südtirols filmische Vergangenheit.
Deghenghi war 1925 in Baden bei Wien geboren. Nach ersten Aufnahmeversuchen mit Jugendfreund Otto Pammer vertiefte er sein technisches Wissen als Angestellter der Wien-Film, wartete die Kameras und arbeitete als Kameraassistent und Schwenker. 1947 übersiedelte er nach Meran. Seine Eltern hatten das Hotel Astoria gepachtet, das der Sohn führen sollte. Doch es kam anders. In der Passerstadt traf Deghenghi auf Jori und Schedereit. Die drei einte ihre bedingungslose Leidenschaft für den Film. Ab den 1950er-Jahren drehte das Trio Kultur- und Werbefilme ebenso wie Dokumentar- und Spielfilme, darunter erste Farbversuche.
Die Produktionsbedingungen im Südtirol der Nachkriegszeit waren spärlich. Es gab weder ein großes Publikum oder eine Filmkritik im Rahmen von Filmfestivals, noch eine staatliche Förderung. In Deutschland hingegen hatte das Genre des Kulturfilms Konjunktur. So flimmerten Deghenghis frühe Aufnahmen von Venedig, Capri oder die moderne Türkei über deutsche Kinoleinwände. In den 1960er-Jahren dann forderten junge Filmemacher der „Oberhausener Gruppe“ einen Neuen Deutschen Film. Er sollte sich loslösen von „Papas Kino“, zu dem der Kulturfilm zählte. Vertreter der Gruppe arbeiteten an einem Episodenfilm, der diese Forderungen in die Tat umsetzte. Auch Deghenghi wirkte an einer Episode mit.
Mit dem deutschsprachigen Versuchsfernsehen der Rai begann 1966 auch in Südtirol die Zeit des Fernsehens, die Produktionsbedingungen verbesserten sich. Experten wie Deghenghi, der damals der einzige Kameramann im Land war, wurden dringend gebraucht. So realisierte er in den Anfangsjahren der Rai gemeinsam mit Jori Projekte rund um Südtirols Kultur und Geschichte, darunter Tourismus-Folgen, eine Sendereihe über Musikkapellen oder Südtiroler Künstler. Später gründete Deghenghi die Produktionsfirma Telefilm Meran, die heute sein Sohn Gottfried führt.
Im Laufe seiner Karriere arbeitete der Kameramann mit Stars wie Sophia Loren, Johannes Heesters oder James Mason. Er wirkte bei großen Spielfilmproduktionen ebenso mit wie bei Projekten für das deutsche Fernsehen und den ORF. Seine Leidenschaft galt aber dem Kino. „Das Fernsehen kann emotional nichts geben, das Kino schon“, sagte er mir bei meinem Besuch.
Mario Deghenghi widmete sein Leben dem Film. Er wusste, was eine gute Geschichte braucht – und Geschichten konnte er viele erzählen. Sein Kopf war voller Anekdoten. Etwa wie er Luis Trenker bei Dreharbeiten auf einen Anschlussfehler hinwies. Leben kam in ihn, wenn er den Regisseur imitierte: „Wo Sie noch in die Windeln gemacht haben, hab ich schon meinen ersten Pokal in Venedig bekommen!“ „Herr Trenker, das ist möglich, aber die Aufnahme geht nicht“, habe er geantwortet. Oder wie man beim Werbedreh für einen Kochtopf mit Johannes Heesters den Kartoffelklößen Gips beimischte. Am nächsten Tag war ein Teil der Filmcrew krank – man hatte ihnen nicht gesagt, dass die Klöße nicht essbar waren.
Deghenghi, Schedereit und Jori, aber auch Persönlichkeiten wie Joseph Brunner, Hansgeorg Hölzl, Umberto Volante oder Willy Gutweniger haben das kulturelle Leben in Meran und Südtirol entscheidend geprägt. Mit ihrem Tod schließt sich immer auch ein Fenster in Südtirols Vergangenheit. Diese wertvollen Erinnerungen zu konservieren hat sich Kunst Meran Merano arte zur Aufgabe gemacht. Nach der Ausstellung und der dazugehörigen Publikation „Perspektiven der Zukunft“, die 2012 die Meraner Kulturszene der Jahre 1945 bis 1965 aufarbeitete, folgt demnächst die zweite Auflage des Projekts. Diesmal stehen die Jahre 1965 bis 1990 im Fokus. In einem Beitrag über den Film der Zeit findet auch Deghenghis Schaffen Beachtung.
Draußen war es dunkel geworden an diesem Novembertag im Jahr 2012. Deghenghi hatte mehrere Stunden lang lebhaft erzählt. Er ließ ihn gerne abspielen, den Film seines Lebens. Bevor er mich nach draußen begleitete, öffnete er die Tür zu einem Schatz: Ein Zimmer, darin ein Dickicht aus Kabeln, Filmdosen, Kameras und Projektoren, davor der gealterte Kameramann. Es wirkte wie ein sorgfältiges Arrangement von aus der Zeit gefallenen Requisiten. Und Deghenghi war die wertvollste unter ihnen.
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