„Ich hoffe, mich zu irren“
Der Schauspieler, Kabarettist, Autor und Regisseur Dietmar Gamper greift in der Quarantäne zum Zeichenstift. Seine Zeichnungen haben die glühende Düsternis eines Totentanzes. Makaber, grotesk und voller apokalyptischer Ahnungen lässt er den Sensenmann durch leergefegte Straßen gehen.
Tageszeitung: Herr Gamper, wie geht es Ihnen mit dem Ausgangsverbot und dem Abstandhalten?
Dietmar Gamper: Das Mobilitätsverbot ist für mich, wie für viele, eine enorme Einschränkung, da ich sehr gerne unterwegs bin, ob zu Fuß, mit dem Auto oder dem Fahrrad. Den vorgeschriebenen Abstand von mindestens einem Meter hingegen begrüße ich sehr. Kein Gedränge mehr an den Supermarktkassen oder vor den Regalen und ich hoffe, dass dieser Abstand und somit auch Anstand der Menschen untereinander auch nach der Krise noch anhält und die Leute es sich endlich abgewöhnen, einem in öffentlichen Lokalen und Räumen auf die Pelle zu rücken.
Tragen Sie brav eine Maske wie alle?
Selbstverständlich trage ich eine Maske. Aber nur außer Haus und ich ziehe sie mir erst über Mund und Nase, wenn ich anderen Leuten begegne, da sie mich in Atemnot bringt.
Die Theater sind auf unabsehbare Zeit geschlossen. Für viele freischaffende Künstler ist das ein existenzielles Problem. Wie überleben Sie die erzwungene Arbeitslosigkeit?
Ich bin im Moment nicht arbeitslos, sondern im Gegenteil, sehr beschäftigt, weil ich an einem neuen Stück schreibe, das ich bereits vor der Krise begonnen habe, in dem es, erschreckenderweise, als hätte ich es geahnt, genau um das geht, was nun passiert, nämlich die Epidemie einer seltsamen Krankheit, die die Gesellschaft und Wissenschaft vor ein Rätsel stellt und spaltet und deren Folgen. Zudem habe ich wieder mit dem Zeichnen und Malen begonnen, da das Aufführungsverbot, das nun ja bis zum 31. Juli anhalten soll, tatsächlich für mich ein existenzielles Problem darstellt, da dadurch mehrere geplante Produktionen abgesagt werden. Und ich damit hoffe, außer dass es ein alternatives Ausdrucksmittel für mich ist, mir etwas dazu zu verdienen. Die aktuellen Ereignisse und Umstände liefern mir sehr viel Stoff für Gedanken und Inspiration zum Schreiben, Malen und Zeichnen, weshalb ich sehr beschäftigt bin und mich lebhaft fühle.
Viele Künstler weichen aus dem analogen Abstand in die digitale Nähe aus. Ist das etwas für Sie?
Nein.
Sie sind Schauspieler, Kabarettist, Autor und Regisseur. Die Coronakrise hat Sie zum Zeichenstift greifen lassen. Aus Langeweile oder wie kam das?
Ich kenne, wie gesagt, Langeweile nicht. Zur Zeit noch weniger als sonst. Ich hatte mir bereits im letzten Jahr vorgenommen, wieder mehr zu malen und zeichnen. Weil ich aber bis im Sommer des nächsten Jahres mit Theaterarbeit ausgebucht war und auch nicht wirklich eine Notwendigkeit dafür bestand, habe ich wenig Gelegenheit für diesen „Berufswechsel“, oder „–erweiterung“ gefunden. Diese Krise und auch die daraus entstandene existenzielle Not haben mich zu dem gezwungen, was ich eigentlich schon lange vorhatte.
Ihre Schraffuren sind sehr gekonnt. Seit wann zeichnen Sie schon?
Danke. Ich zeichne eigentlich schon seit immer. Das heißt, schon im Kindergarten habe ich mich am liebsten in die Malecke verkrochen, weil bei den Legoklötzen und Spielplätzen immer großer Andrang und Wettkampf herrschte. Ich habe die Kunstschule in St. Ulrich besucht und es war mein ursprünglicher Berufswunsch, Graphiker und Zeichner zu werden. Leider aber habe ich festgestellt, dass Zeichner noch weniger gebraucht werden als Theatermacher, und Graphiker heute Computerexperten sind, die in ihren Studios wahrscheinlich so etwas wie Papier Tusche und Feder gar nicht mehr führen. Ich merke aber, dass es, damit einem das Zeichnen zufriedenstellend gelingt, enorm auf die Übung ankommt. Und zur Zeit übe ich recht viel.
Ihre Zeichnungen haben die glühende Düsternis eines Totentanzes. Der Sensenmann geht durch leergefegte Straßen. Haben Sie apokalyptische Ahnungen?
Ich mag, so wie auch in meinen Stücken auch, das Düstere und Makabre, Groteske, ich bin kein Autor für Liebeskomödien. Ich weiß nicht, ob ich eine apokalyptische Ahnung habe, bin mir aber sicher, dass nach der Krise die Welt ganz anders sein wird, als sie es davor war. Das Stück, das ich bereits im Dezember begonnen habe, und mit dem ich zufällig das vorhergesehen hatte, was dann im Februar eingetroffen ist, endet apokalyptisch, indem ein Polizeichef, der durch die Krise mit seinem diktatorischen und totalitären Maßnahmen an die Macht kommt, an der Macht bleibt und das Land in den Untergang treibt.
Eine Fiktion, der die Wirklichkeit momentan bedenklich nahe kommt.
Ich liebe es düstere, satirische Geschichten zu schreiben und Happy Ends sind nicht meine Sache. Was mich in Hinsicht auf die Zukunft aber sehr beunruhigt, ist nicht nur mit welcher Selbstverständlichkeit Grundrechte gebrochen und totalitäre Maßnahmen, Kontrollen und Überwachungen eingeführt werden, sondern mehr noch die Tatsache, dass die Gesellschaft stark gespalten wird. Denunziantentum kommt auf, Neid und Missgunst werden in gehässiger Weise und Wortwahl öffentlich geäußert, und Menschen, die sich gegen diese grundrechtsverletzenden Maßnahmen äußern oder sie gar missachten, werden geächtet. Diese Tendenzen der Gesellschaft bestanden schon vor der Krise und haben mich sehr irritiert, nun aber kommen sie grausam zutage. In der Wirklichkeit, im Gegensatz zu meiner Geschichte, aber wünsche ich mir ein Happy End und zwar ein solches, in dem es, durch diesen radikalen Wandel danach besser wird, als es davor war.
Wie denn?
Es wurde bereits seit Jahrzehnten prognostiziert und gewarnt, dass wir mit diesem grenzenlosen Wachstum, das Ausbeutung von Natur und Umwelt, Klimawandel etc. zur Folge hat, gegen die Wand fahren werden, aber nichts, oder kaum etwas ist geschehen. Nun ist eine Generalpause eingetreten, ein absoluter Stillstand und Ruhe, der uns vielleicht zum Nachdenken bringt und dazu zwingt, neue Wege zu gehen, weil diese beschrittenen nicht mehr möglich sind. So wie ich endlich zu zeichnen und malen begonnen habe, weil Theater im Moment nicht mehr möglich ist. Vielleicht passiert wirklich der Umschwung, der vorher nicht möglich war, weil alles sich in dem Hamsterrad weitergedreht hat, das niemand anhalten konnte. König Corona konnte es! Die lang ersehnte Ruhe und Stille sind bereits eingetreten, die Natur hat sich bereits in dieser kurzen Zeit sichtlich erholt. Ich hoffe also, mit meinem apokalyptischen Stück nicht Recht zu behalten und sehe auch eine Chance, mich zu irren.
Corona ist nicht witzig, an dem Virus sterben Tausende. Ist das Sujet ein Ziel für Witz und Ironie nach dem Motto: Etwas Humor schadet nicht?
Gewiss, ist Corona nicht witzig, aber bei etwas Witzigem braucht es auch keinen Humor. Humor ist die einzige mir bekannte Einstellung, mit der man eine schwere Zeit und Umstände überstehen kann, die man so nicht ohne weiteres ändern kann und ich glaube sogar, dass man mit Humor etwas ändern kann.
Als Kabarettist sind Sie ein unbestechlicher Meister satirischer Gesellschafts- und Machtkritik. Corona-Karikaturen könnten leicht als zynisch missverstanden werden. Gibt es da eine rote Linie für Sie?
Ich kann nicht anders, als mich über Dinge, die mich ärgern, die ich als Missstand oder Ungerechtigkeit empfinde, in irgendeiner Kunstform zu äußern. Wenn man es als zynisch betrachten will, dann ist der Zynismus gegen das gerichtet, was mich stört. Wie beispielsmäßig das Denunziantentum oder übertriebene Panikmache. Der Karikaturist ist der Kabarettist in der bildenden Kunst. Mich interessieren auch seriöse Zeichnungen und Malerei — aber immer grotesk oder düster.
Kommt Ihre Leidenschaft für das Düstere und Groteske daher, dass es gesellschaftlich marginalisiert ist, am Rand des Normalen steht und sich jede Frechheit erlauben darf?
Das ist nach meiner Anschauung Geschmacksache, der eine mag´s, der andere nicht, manche Leute verstehen das Absurde einfach nicht, ich hingegen mag es, wenn mir etwas nicht logisch, offensichtlich und eindeutig gezeigt und gesagt wird, dann kann ich mich mehr damit beschäftigen, mir meine eigenen Gedanken machen. In Gärten stehen schöne Pflanzen, Blumen blühende Sträucher, aber es wurden früher auch hässliche dunkle Grotten angelegt mit kleinen Figuren von Monstern, um der schönen Idylle einen Kontrast zu bieten, weil die Leute immer auch das Schaurige mochten. Daher kommt das Wort grotesk.
Grotesken Humor hat man oder man hat ihn nicht. Sind Sie mit dieser Gabe schon zur Welt gekommen oder haben Sie sich diese angeeignet?
Es ist wohl Veranlagung, zum Teil auch das eigene Wesen. Der eine trägt gerne bunte Kleider der andere schwarze. Sicher eignet man sich im Laufe der Jahre eine Fähigkeit, einen Stil an. Und man lässt sich von entsprechender Kunst inspirieren, hört entsprechende Musik. Ich verehre Schostakowitsch, aber auch Bruckner oder Tom Waits, und ich habe zum Beispiel gerade jetzt in dieser „Kronenzeit“ Edgar Allen Poe wiederentdeckt, den ich in meiner Jugend mit Leidenschaft gelesen habe.
Interview: Heinrich Schwazer
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