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Eine Art Freiheit

Erika Wimmer Mazohl (Foto: Kristin Jenny)

Eine Art Freiheit

Von Erika Wimmer Mazohl

Es ist nicht die herkömmlich als Freiheit bezeichnete Freiheit, die ich meine; nicht die selbstverständliche Freiheit, Grenzen zu übertreten, zu überfahren, zu überfliegen; es ist nicht die Freiheit, aufzubrechen, wann immer man möchte, oder geistig angeregt zu werden, wann immer das ins Auge fasst; es ist keine Entscheidungsfreiheit, auch nicht die Freiheit, in fröhlicher Runde die Gläser zu heben, oder die Nähe zu finden, die man sucht. Es ist nicht die fragwürdige Freiheit, das eine Leben zu retten und das andere nicht. Es ist nicht die freie Nation und auch nicht die Freiheit eines Nelson Mandela, der nach 27 Jahren Gefängnis die Welt groll-entleert wiederbetreten hat. Was ich meine, ist keine geläuterte, keine erkämpfte und auch keine geschenkte Freiheit; es ist nicht die mühsam errungene Freiheit einer Frau, die sich endlich dem Mann entwindet, der sie lang genug fesselte und drangsalierte. Die Freiheit, die ich meine, ist keine Befreiung.

Ich verneige mich vor allen denkbaren Freiheiten und Selbstermächtigungen, einige von ihnen sind bedeutend, wieder andere politisch korrekt, oder so. Meine Freiheit ist nichts Großartiges, und doch ist sie grenzenlos; sie beginnt mit nicht mehr als einem leeren Blatt Papier und einem Kugelschreiber, voilà, Blick aus dem Fenster: Auf der gegenüber liegenden Straßenseite nähert sich ein Mädchen mit einer voll beladenen Plastiktasche, aus der das Grün einer Lauchstange ragt; das Mädchen schaut die Fassade kurz hoch, bevor es hinter der Haustür, die ich von meinem Fenster aus sehe, verschwindet. /turning point/ Das Kind schleppt den Sack ein paar Stufen hoch und steht vor der Hintertür, die ins Freie, in den Garten hinaus führt. Dort draußen ist es vor ein paar Tagen heimlich gewesen, dort hat es die kleine Schneiderschere verloren, die der Mutter gehört, sie hat schon fieberhaft danach gesucht. Der Sack wird an die Wand gelehnt, damit er nicht umkippt, denn der Einkauf muss, so der Auftrag, unbeschadet vor der Wohnungstür der Frau Reyer abgestellt werden. Nicht, dass da wieder etwas passiert! Unter den aufmerksamen Blicken der Frau Reyer, die im dritten Stockwerk aus dem Fenster schaut, durchstreift das Kind im Schlängelschritt die Wiese, die Augen durchkämmen das Gras. Plötzlich geht es zu Boden, hebt etwas auf und steckt es in die Jackentasche. /turning/ Es ist wahrscheinlich das Tuch, das ihr neulich, als sie draußen war, aus der Hand gefallen ist. Sie hat das Tuch auf den Stuhl legen wollen, als Sitzunterlage. Dieser Stuhl ist ein erstes Tischlerstück ihres geliebten Otto, der kommt ihr nicht weg! Der Stuhl steht draußen und wartet auf sie, jeden Tag! Aber weil er allen Wettern ausgesetzt ist, ist er grindig geworden, also lieber ein Tuch. Doch jetzt ist es so, dass ihr der Rücken weh tut, sie setzt sich nicht und lässt das Tuch im Gras liegen, bevor ihr wieder etwas einfährt. /turning/ Im Weitergehen begegnet sie Alfred, der sich blitzschnell nach dem Taschentuch bückt, um es ihr mit einer schwungvollen Geste zu reichen. Ach, Herr Alfred! Wie lieb von Ihnen! Sie sitzen in der Konditorei gegenüber und Alfred starrt auf ihren Ausschnitt, was sie einerseits ungehörig, andererseits aber reizvoll findet. Er scheint sich sehr für sie zu interessieren, sie werden einander wiedersehen. Sie winkt ihm zum Abschied und legt sich die Hände auf die Brust, so wild schlägt ihr Herz. Aber… was ist da? Sie hat ihre Schneiderschere im Ausschnitt stecken! Das war es also! Alfred dreht sich noch einmal nach ihr um und zwinkert ihr zu, in diesem Moment wird er von einem Passanten angerempelt, dass er das Gleichgewicht verliert und nach hinten stürzt. Gefährlich sieht das aus, und so hört es sich auch an; als Alfreds Körper auf dem Pflaster aufschlägt, hört sie ein dumpfes Geräusch und das Splittern von Knochen. Dem Passanten fällt vor Schreck die Einkaufstasche aus der Hand, der halbe Inhalt rollt auf die Straße. /turning/ Sie spürt keinerlei Impuls, dem Gestürzten zuzueilen, um ihm zu helfen; ist ja auch alles viel zu lange her. /turning/ Sie starrt auf die Würste, die auf dem Boden liegen, und riecht den herrlichen Duft des geräucherten Fleisches. /turning/ Da klingelt es an der Tür. /turning/ Ob Otto ihr diesmal Würste mitbringt? /turning/ Unsinn. Es ist ihr Einkauf. Den das Kind ihrer Reinigungsfrau… das sich im Garten herumtreibt… sie kennt es nicht, aber… wie gern hätte sie doch selbst… eins gehabt. So ein Kind mit Geheimnissen… /turning?/

 

Zur Person

Erika Wimmer Mazohl, aufgewachsen in Bozen, lebt als Autorin in Innsbruck. Veröffentlichungen in Prosa, Lyrik, Hörspiel und Drama. Mehrere Preise und Stipendien. Zuletzt erschienen: 2014 „Nellys Version der Geschichte“. Roman (Limbus); 2017 „Meran abseits der Pfade. Eine etwas andere Reise durch die Stadt der Villen und Promenaden“ (Braumüller); 2019 „Orte sind“. Gedichte (Edition Laurin).  Im Februar 2020 ist ein neuer Roman „Löwin auf einem Bein“ (Limbus) herausgekommen. www.erikawimmer.net

Info

Die Sammlung der Texte, die Südtiroler Schriftsteller*innen zu und während der Quarantäne verfassen und als Reihe in der Südtiroler Tageszeitung publiziert werden, mündet in ein Lesefest von Literatur Lana. Zu Beginn des Sommers, hoffentlich, sollen die Kurzerzählungen, Essays, Gedichte oder Notizen in einem langen Reigen gelesen und mit ihnen ein Wiedersehen gefeiert werden. Das Projekt unterstützt Schriftsteller*innen in Zeiten von Corona.

,www.literaturlana.com,

 

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