„Man versucht sein Bestes“
Martin Maffei, Direktor der onkologischen Strahlentherapie Bozen, erklärt, wie sich das Coronavirus auf die Krebstherapie auswirkt, wie sich seine Arbeit verändert hat – und was seine größte Angst ist.
Tageszeitung: Herr Dr. Maffei, sind Krebspatienten stärker gefährdet an Covid-19 zu erkranken?
Martin Maffei: Ja, Krebspatienten sind gefährdeter an Coronavirus zu erkranken. Das liegt daran, dass sie immunsupprimiert sind. Das heißt, deren Immunsystem ist sowohl durch die Erkrankung als auch durch die Therapie (Krebstherapie, Chemotherapie) geschwächt. Sie sind anfälliger für Infektionen. Krebspatienten erkranken somit schneller und möglicherweise auch schwerer als Gesunde.
Was heißt das konkret?
Es kommt deutlich häufiger zu Atemwegsversagen als bei Nicht-Krebspatienten. Es kommt auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einem Multiorganversagen. Dazu gibt es bereits Studien, die auch publiziert wurden.
Und welche Krebspatienten sind besonders gefährdet?
Laut Daten aus China sind Menschen mit Lungenkrebs einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Grundsätzlich ist es aber noch zu früh zu sagen, welcher Krebspatient stärker gefährdet ist und welcher weniger. Es hängt auch davon ab, wie alt der Patient ist und welche Therapie er gerade macht. Patienten, die zum Beispiel eine Chemotherapie oder eine Radiochemotherapie machen müssen, sind gefährdeter. Grundsätzlich haben aber alle Krebspatienten ein erhöhtes Risiko.
Und haben Menschen, bei denen die Krebserkrankung schon länger zurückliegt, auch ein erhöhtes Risiko?
Es kann sein, das auch Langzeitüberleber ein erhöhtes Risiko haben sich anzustecken oder für Komplikationen. Dies kann mit einer verminderten Immunität zusammenhängen. Auch hier gilt vorsichtig zu sein und die Verhaltensmaßnahmen zu beachten.
Besteht eine höhere Ansteckungsgefahr für junge Menschen mit oder nach einer Krebserkrankung?
Ja, auch junge Menschen mit einer Krebserkrankung haben eine höhere Ansteckungsgefahr. Deshalb gelten unsere Bemühungen dahingehend, dass wir die Krebspatienten besonders schützen. Das heißt, wir lassen keine Besucher in unsere Abteilung und symptomatische Patienten nur auf Anweisung des betreuenden Arztes. Wir kontrollieren das bereits vorab, messen die Körpertemperatur usw. Auch wir Mitarbeiter werden laufend kontrolliert, wir arbeiten nur mit Schutzmaske und bei Bedarf mit Schutzkleidung. Es ist derzeit auch weniger Personal in der Abteilung der Strahlentherapie, damit die Infektionsgefahr so gering wie möglich gehalten wird. Wir haben auch ein Reserveteam, das sich derzeit zu Hause befindet. Denn sollten auf einmal viele Ärzte, Röntgentechniker und Pfleger in Quarantäne gehen müssen, haben wir noch Mitarbeiter, die einspringen können. Weil wir sonst einfach riskieren, dass der Betrieb stehen bleibt und das wäre katastrophal. Dadurch steigt aber natürlich die Arbeitslast für all jene, die jetzt vor Ort arbeiten. Wir müssen aber die Sicherheit der Patienten gewährleisten. Derzeit bestrahlen wir 90 bis 110 Patienten pro Tag. Ich hoffe, dass dies auch in Zukunft so bleibt.
Viele fragen sich auch, sollte man seine Krebstherapie wegen des Coronavirus besser verschieben?
Man sollte eine geplante Krebstherapie grundsätzlich nicht verschieben. Da sonst die Gesundheit des Patienten in Gefahr ist. Es gibt aber einige Therapien, die man ein wenig nach hinten verschieben kann. Das wäre zum Beispiel die Therapie bei Prostatakrebs. Denn diese Patienten machen neben der Bestrahlung auch noch eine Anti-Hormon-Therapie. Dadurch ist es möglich, den Bestrahlungstermin bis zu sechs Monate hinauszuzögern, ohne dass den Patienten etwas passiert.
Und was passiert, wenn der Krebspatient Coronavirus-positiv ist?
Dann führt das unter Umständen zu einem Stopp der Therapien. Das kann sich natürlich nachteilig auf den Krankheitsverlauf auswirken. Deshalb gilt dies zu vermeiden. Sollte man sich aber dennoch entscheiden, die Therapie fortzusetzen, und das haben wir bereits gemacht, müssen wir uns an einen genauen Plan halten. Wir Mitarbeiter dürfen den Patienten nur mit Vollschutz behandeln, der Patient kommt auch nur zu gewissen Uhrzeiten zu uns, wo wir auch sicherstellen können, dass das Bestrahlungsgerät danach frei ist. Denn das muss dann besonders desinfiziert werden, auch der Raum wird anschließend einer Reinigung unterzogen.
Was muss man jetzt mit oder nach einer Krebserkrankung im Alltag beachten?
Krebspatienten müssen sich strikt an die Hygieneregeln halten. Wichtig ist auch, dass man die Enkelkinder nicht mehr besucht. Dann sage ich meinen Krebspatienten immer, dass sie sich gesund ernähren und auch Sonnenlicht genießen sollten. Es hat keinen Sinn, sich daheim einzusperren. Man sollte schon auf den Balkon gehen oder eine Runde um das Haus machen. Denn man darf nicht vergessen, wenn man den ganzen Tag nur zu Hause im Dunkeln ist, ist das auch schlecht fürs Immunsystem. Wenn man rausgeht, sollte man immer eine Atemschutzmaske tragen, und auch auf das Einkaufen gehen würde ich verzichten.
Wie hat sich eigentlich Ihre Arbeit durch das Coronavirus verändert?
Ich könnte es bildlich beschreiben: Mir kommt vor, man hält jeden Tag ein Kartenhaus zusammen. Immer dann wenn eine Karte rausgezogen wird, versucht man alles dafür zu tun, dass es nicht zusammenbricht. Zurzeit gibt es ganz gute Tage, aber auch schlechte. Man versucht jeden Tag sein Bestes, versucht die Mitarbeiter zu motivieren, die jeden Tag Hervorragendes leisten und hauptsächlich nicht um sich, sondern um die Patienten und ihre Lieben besorgt sind. Gleichzeitig versucht man Ruhe und Gelassenheit zu vermitteln. Jeder Tag ist aufs Neue eine Gratwanderung. Denn durch diese ganzen Maßnahmen ist auch das Stresslevel höher. Die Arbeitstage sind länger geworden. Ich mache zurzeit zehn bis zwölf Stunden pro Tag. Dann muss man sich auch tagtäglich um die Ängste der Patienten kümmern, da viele Krebspatienten Angst haben ihre Strahlentherapie oder Chemotherapie zu machen. Sie haben Sorge sich anzustecken. Wir müssen sie dann immer wieder beruhigen und aufklären.
Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um? Haben Sie Angst, sich anzustecken?
Meine größte Angst ist, dass ich nicht gewährleisten kann, dass meine Patienten und meine Mitarbeiter maximal geschützt sind. Dann habe ich auch Sorge meine Lebensgefährtin anzustecken.
Interview: Eva Maria Gapp
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