Q-Stories
Der Meraner Filmemacher David Pichler plant eine Filmreihe mit Geschichten aus dem weltweiten Quarantäne-Alltag.
Tageszeitung: Herr Pichler, das Coronavirus sperrt Sie wie alle im Haus ein. Womit haben Sie sich eingedeckt und wie schaut Ihr Tag aus?
David Pichler: Ehrlich gesagt, habe ich mich kaum mit etwas eingedeckt. Zwei Packerl mehr Nudeln und zwei Dosen mehr Thunfisch als sonst. Aber das wars dann auch schon. Mein Tag hat sich, bis auf die fehlenden Dreharbeiten, nicht großartig verändert. Ich verbringe wie sonst auch viel Zeit zu Hause und arbeite an Drehbüchern, versuch mich an einem Roman und beschäftige mich mit Projekten wie zum Beispiel gerade vorwiegend mit meinem aktuellen: Q-Stories.
Abstand halten ist das Gebot der Stunde. Wie gehen Sie damit um, was tut das mit Ihnen und haben Sie Angst?
Ich finde es, auch wenn die ganze Situation irgendwie für uns alle sehr undurchsichtig ist, wichtig prinzipiell den angeordneten Regeln Folge zu leisten um die Gefährdung von Menschen, die Risikogruppen angehören, zu vermeiden. Trotzdem ist es so, dass ich, wenn ich noch Freunde treffe, wir uns weiterhin auf althergebrachte Weise begrüßen und miteinander umgehen. Angst habe ich im Moment keine. Ein klein wenig Sorge manchmal, da meine gesamte Familie in Südtirol lebt und ich hier in München festsitze. Wenn zum Beispile mein Tata, Franz Pichler, jetzt krank würde, wüsste ich erst mal nicht, wie nach Meran kommen. Aber in so einem Fall würde ich sicher einen Weg über die Berge finden.
Als Filmemacher arbeiten Sie vorwiegend im Bereich des Werbe- und Imagefilms. Steht diese Arbeit momentan still wie fast die gesamte Kreativbranche?
Ja, das ist tatsächlich so. Ich hatte gerade drei Projekte in der Pipeline. Und alle drei (zwei davon wirklich besonders tolle Arbeiten) liegen jetzt erst mal auf Halde. Auch in meiner Branche ist zu befürchten, dass nach der Krise dieses Geschäft erst mal schleppend anlaufen wird. Die Prioritäten von Unternehmen werden dann erst mal nicht wirklich auf der Produktion von Werbung liegen.
Die Quarantäne mag hart sein, sie ist aber auch ein Geschichtengenerator. Ein Franzose ist auf seinem sieben Meter langen Balkon einen Marathon gelaufen, in Italien singen die Menschen auf ihren Balkonen, man leiht sich Haustiere aus, um einen Spaziergang zu machen. Die hässliche Seite der Ausnahmesituation sind ein Anstieg häuslicher Gewalt, Vereinsammung, Isolation und Angststörungen. Welche Geschichten berühren Sie am meisten?
Meine Mama, Solveig Freericks Pichler, ist vor einem Jahr sehr überraschend von uns gegangen. Aber wir hatten eine kurze Zeit, in der wir uns alle, Familie und Freunde, von ihr verabschieden konnten. Und das war für uns alle eine unglaublich wichtige Zeit. Wenn ich nun die Bilder von den Konvois sehe, die Menschen in Särgen zu Krematorien bringen, von denen sich Angehörige und Freunde nie wirklich verabschieden konnten, dann berührt mich das zur Zeit wohl am meisten.
Als Filmemacher sammeln Sie solche Quarantäne-Geschichten und wollen eine Filmreihe daraus machen. Was genau planen Sie?
Da muss ich jetzt ein bisschen ausholen. Also, die Idee ist die, weltweit kurze episodenhafte Geschichten zu sammeln, die Menschen während der aktuellen Ausgangssperre erleben. Die Episoden sollten unterschiedlichster Natur sein und von Alltäglichem bis zu Außergewöhnlichem, von Tragischem bis Lustigem, kurz alle Facetten des menschlichen Daseins in dieser neuen Situation darstellen. Die Texte müssen dabei keinesfalls ein literarisches Meisterwerk sein.
Aus diesen Geschichten sollen dann kurze Filme entstehen.
Mittlerweile ist auch die Umsetzung in Form eines Buches in Planung. Für das Buch sind nebst den Texten auch alle anderen formen kreativen Ausdrucks wie zum Beispiel Linolschnitte, Zeichnungen, Gemälde, Collagen usw. sehr willkommen. Ich denke auch, dass das Projekt perfekt für Schüler jeden Alters geeignet ist (also liebe Eltern, Lehrer, Erzieher – teilen!) Und kurz am Rande bemerkt, es sind auch bereits Arbeiten in meinem digitalen Postkasten eingegangen. Das ganze nimmt schon Fahrt auf.
Wie wollen Sie das Projekt von zuhause aus umsetzen?
Der Plan ist folgender: Für die filmische Umsetzung werden aus den eingegangenen Geschichten als erstes Drehbücher generiert. Diese Episoden inszeniere ich dann via Videotelefonie mit Schauspielern, die auch von der Ausgangssperre betroffen sind. Gedreht wird mit dem bei dem jeweiligen Schauspieler vorhandenem technischen Equipment wie Laptops, Webcams, Handys, Camcorder usw. Visuell sollen die Filme sich im Stile an zB. Searching, Profile oder Open Windows orientieren. Sprich, die Geschichten spielen sich auf Laptops, Rechnern, mobilen Geräten innerhalb moderner Kommunikationstechnologien wie Skype und sozialen Netzwerken ab. Diese Umsetzungsart ist eine Idee aber kein Muss. Weitere kreative Arten der Darstellung wie zum Beispiel durch Animationen, Stopmotion u.v.a.m. sind durchaus denkbar. Es geht mir erst mal nicht darum rigide Vorgaben zu schaffen, sondern ganz im Gegenteil darum, Kreativität in all seinen Formen walten zu lassen.
Wie finden Sie die Menschen, die Ihnen ihre Geschichten erzählen?
Erstmal hab ich ein Projekt-pdf in drei Sprachen (DE, It und EN) erstellt. Dieses habe ich dann, mit in drei sprachen „vorgefertigten“ mails, an viele Freunde und Kollegen zum Teilen und Weiterleiten verschickt. So hoffe ich, dass es über Mail und alle gängigen soziale Netzwerke Verbreitung findet. Meine Schwester Zita (Bühnenbildnerin in Meran) und mein Bruder Nikolaus (Leiter der Werbefirma Tagraum in Meran) stehen mir dabei unterstützend zur Seite. Das wichtigste dabei ist im Moment, dass das Projekt geteilt und verbreitet wird. Hier denk ich gerade auch noch an die Kontaktaufnahme mit allen möglichen Schreibwerkstätten, Autoren- und Filmforen usw. Weiters bette ich das Projekt als eigene Seite auf meiner Homepage pichlerdavid.de ein. Man kann mich auch direkt über mein Postfach [email protected] erreichen und mir die Arbeiten sehr gerne dorthin senden.Zusätzlich werde ich meinen vor langer zeit stillgelegten Facebookaccount (brienner48) für dieses Projekt wiederbeleben.
Soll das Projekt eine Art filmischer Decamerone oder eher ein Zeitdokument werden?
Ich denke, dass es irgendwie beides werden wird. Einerseits war mein Traum immer schon inszenierte Filme zu produzieren. Somit ja, ein filmischer Decamerone klingt ganz gut. Ein Ausdruck, der heute in der Filmbranche geläufig ist wäre die „Anthologie-Serie“.Andererseits wären die Filme dann aber, auch wenn inszeniert, unweigerlich ein Zeitdokument dessen, was Menschen weltweit in dieser eigenartigen Zeit erleben.
Was soll oder könnte am Ende aus den einzelnen Episoden werden? Ein Spielfilm?
Ja, wie fast jeder Filmemacher träume auch ich von der Königsklasse Spielfilm. Somit wär das für mich das Traumziel schlechthin: Nebst der Anthologie-Serie einen Episodenfilm als Spielfilm. Ja, das wärs.
Interview: Heinrich Schwazer
https://www.pichlerdavid.de/q-stories
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