Aus dem Fenster schauen
Guter Voyeurismus mit Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“.
von Renate Mumelter
Gestern Abend beim Blick aus dem Fenster sah mein Innenhof anders aus als üblich. Alle Fenster waren beleuchtet genau wie in Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“.
Im Film ist allerdings Sommer, die Fenster sind geöffnet. Der Innenhof ist im Studio gebaut. Mein Innenhof ist echt, die Fenster sind geschlossen, einige sogar durch Vorhänge privatisiert. Aber genauso wie der Berufsfotograf Jeff (James Stewart) konnte ich gestern einer Frau bei Turnübungen zuschauen. Der Unterschied liegt darin, dass ich anschließend selbst etwas Home-Turnen in meinen Tagesplan nahm, während Hitchcocks Jeff den ganzen spannenden Film hindurch an den Rollstuhl gefesselt ist. Nach einem Arbeitsunfall liegt er nämlich in Gips.
Das Schauen gehört zum Berufs-DNA eines Fotografen. Um diesen Schauen geht es Hitchcock in „The Rear Window“. Jeff schaut in die Hinterhoffenster und entdeckt Lebensgeschichten. Wir, die Zusehenden, schauen mit. Es geht um einen Voyeurismus, der nicht böse gemeint ist, um die Freude am Sehen, die wir Sehenden alle haben. Es ist genau so wie beim nächtlichen Zugfahren, wenn die beleuchteten Fenster vorbeiziehen und sich daraus Geschichten spinnen lassen – eine wunderbare Beschäftigung.
Jeff jedenfalls glaubt, schauend einen Mord entdeckt zu haben, das sorgt für Suspense. Ob’s wirklich ein Mord war, bleibt unerheblich. Wichtiger sind die Lebensentwürfe, die Jeff in den Fenstern sieht, Geschichten von Einsamkeit aber auch von Gelingendem, mögliche Bilder für seine eigene Zukunft. Zu dieser gehört ganz eindeutig Lisa. Er weiß nicht, ob er sie heiraten soll oder doch nicht.
Gespielt wird Lisa wunderbar von der damals 25jährigen Grace Kelly. Solange sie auftreten durfte, war sie Hitchcocks Lieblingsschauspielerin, die beiden harmonierten am Filmset wunderbar.
Die vielfache Oscarpreisträgerin Edith Head kleidete Grace Kelly in diesem und anderen Filmen sehr überlegt ein.
In „Das Fenster zum Hof“ sitzt jede Szene, und es stimmt jeder Ton. Warum Hitchcock nie einen Oscar bekam, versteht die Filmwelt bis heute nicht.
„The Rear Window“ (1954), 112 Min., Regie: Alfred Hitchcock. Zu finden: Im Netz, auf DVD. Bewertung: Beim Zuschauen zuschauen
Zum Mitlesen:
- Thilo Wydra: „Grace. Die Biographie.“ Aufbau-Verlag, Berlin 2014
- François Truffaut: „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ Heyne, München 2003 (auch als Tonfile auf YouTube)
- Cornell Woolrich: „Das Fenster zum Hof: Und vier weitere Kriminalgeschichten“. Diogenes-Verlag 1989
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