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Frische Luft

Die Coronakrise hat Südtirol besonders hart getroffen. Eine einflussreiche Zeitung hat vor drei Wochen noch gemeint, ein Grippele könne uns (Süd-)Tiroler nicht umhauen. Ein Retro-Pressespiegel.

von Artur Oberhofer
 
Es war vor knapp drei Wochen, als diese tiefsinnigen Zeilen im Tagblatt der Südtiroler erschienen.
Am 4. März dieses Jahres schrieb der Kirchenexperte der Tageszeitung „Dolomiten“, Martin Lercher, in einem „Vorausgeschickt“ unter dem Titel: „Der ,Aktenzeichen XY’-Effekt“:
 
„Ich fürchte, wir sind in Sachen Coronavirus auch die Opfer dieses ,Aktenzeichen XY-Effekts’. Da starren zu viele auf einen winzigen Bildschirm, halten den Atem an, fühlen die Panik den Nacken hoch- und die Viren in die Lunge hinunterkriechen.
Ist auch kein Wunder beim wochenlangen Bombardement mit Bildern von Sanitätern in martialischen Schutzanzügen, Menschenmengen mit Schutzmasken, Sperrzonen und verlassenen Touristenstädten!
Aber neben diesem Gucklock ins Grauen gibt es zum Glück die ganz weite und noch völlig normale Welt. Und das gilt besonders für unser Land, wo die allermeisten gesund sind und die weniger Glücklichen auf ein leistungsfähiges Gesundheitssystem zählen dürfen.
Warum also die Panik?“
 
Keine drei Wochen später ist die vermeintlich „völlig normale Welt“ aus den Fugen geraten. Die Viren kriechen nun auch den Südtirolern den Nacken hoch und in die Lunge. Die Menschen tragen Schutzmasken. Südtirol ist eine Sperrzone. Die Städte und Dörfer sind verlassen. Wie ausgestorben. Das öffentliche Leben steht still. Die Menschen sind in Panik.

Wenn es für die Politiker und für die Verantwortlichen im Gesundheitsbereich in Südtirol so schwierig war, den Menschen zu erklären, dass sie daheim bleiben und die Notvorschriften strikt einhalten müssen, damit die absolute Katastrophe noch abgewendet werden kann, dann hat dies auch damit zu tun, dass einflussreiche Medien die Corona-Sache bagatellisiert und heruntergekocht haben.

Das war selbst dann noch der Fall, als bekanntwurde, dass immer mehr deutsche Skifahrer nach ihrem Südtirol-Urlaub positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.

„Dolomiten“-Vizechefredakteur Günther Heidegger machte sich noch am 6. März in einem „Vorausgeschickt“ über die infizierten Piefke lustig.

Er schrieb:

Also das verstehe, wer will: Da bringt ein Südtirol-Urlauber nach dem anderen ein ganz spezielles Mitbringsel namens Covid-19 mit nach Hause, und wir bleiben mit den Nachwehen und einer Frage zurück: Warum kriegen die, was wir nicht haben? Das bekomme ich einfach nicht auf die Reihe. Will ich aber eigentlich auch gar nicht. Weil es nichts ändern würde.“ 

Ja, warum kriegen die, was wir nicht haben?

Diese Frage erübrigt sich jetzt, denn es war wohl doch so, dass wir das, was die Deutschen später als Mitbringsel mit nach Hause genommen hatten, bereits hatten. Zumindest deuten jetzt die hohen Fallzahlen in den Grödner Skigebieten darauf hin, dass das Virus vor den Touristen in Wolkenstein war.

Nicht Corona sei das Problem, schrieb Heidegger in seiner Kolumne, der Hut brenne nicht in Südtirol, sondern ganz woanders.

Ein weiteres Zitat:

„Tatsache ist, dass die ganzen Verordnungen, Maßnahmen und Reaktionen auf diesen Affentanz uns länger beschäftigen und verseuchen werden als alle SARS und Coronas zusammen.

Viel mehr würde ich mir diesen Aktionismus in der Flüchtlingskrise an der EU-Außengrenze zur Türkei wünschen. Dort brennt tatsächlich der Hut …

Wenn Europa nicht schleunigst die richtigen Schritte setzt, wird sich auf dem Kontinent ein ganz anderes Virus ausbreiten. Und das ist dann weit gefährlicher als jede Grippe.“

Corona? Ein Affentanz! Das Virus? Eine Grippe. Ein Grippele. Wennschon sind die Flüchtlinge das Problem. Oder der Bär. Oder der Wolf.

Als die Landesregierung (Gott sei Dank!) die ersten Maßnahmen gegen das Virus setzte, titelte die Tageszeitung „Dolomiten“ polemisch:

„Abgesagt! Überzogenes Dekret legt das halbe Land lahm.“

Überzogenes Dekret?

Heute weiß man:

Die Geldgier der Wintertouristiker war der ideale Wirt für das Coronavirus! Nicht nur in Südtirol.

Wenn es in Südtirol nicht zum Flächenbrand kommen sollte, dann können wir uns beim Landeshauptmann und bei den Zivilschutzbehörden bedanken, die dem HGV und den Liftanlagenbetreibern das Messer an die Brust gesetzt und der toxischen Pistengaudi ein vorzeitiges Ende bereitet haben. Trotz des scharfen medialen Gegenwindes aus dem Weinbergweg.

Denn selbst als das renommierte Robert-Koch-Institut Südtirol zum Risikogebiet erklärte, fuhr die Tageszeitung „Dolomiten“ noch einen trotzigen Kurs.

Chefredakteur Toni Ebner beschwörte den uns SüdtirolerInnen innewohnenden Andreas-Hofer-Trieb und schrieb:

Wir Südtiroler lassen uns nicht unterkriegen! Weder vom Coronavirus noch vom Robert-Koch-Institut.

Unser Land hat in Krisenzeiten immer bewiesen, dass seine Bewohner zusammenhalten.

Wenn wir Südtiroler jetzt auch am Pranger stehen, weil man angeblich bei uns das Coronavirus aufklaubt, werden wir uns nicht demoralisieren lassen.

Wieso ausgerechnet Südtirol-Urlauber positiv auf Coronaviren getestet werden, bleibt schon ein Rätsel.

Bis jetzt haben wir bei uns einen einzigen bestätigten Corona-Kranken und drei Verdachtsfälle. Aber Hunderte Kranke in Deutschland, Holland, England, Island usw. sollen sich bei uns angesteckt haben. Wie soll das gehen?“

Noch einen Tipp gab Toni Ebner seinen LeserInnen am 7. März:

Wer aber nicht das Haus hüten muss, sollte die Gelegenheit ergreifen und unsere einzigartigen Berge und Täler genießen. Unsere Skigebiete bieten beste Voraussetzungen, um an der frischen Luft die Abwehrkräfte zu stärken.“

So frisch und rein, weiß man jetzt, war die Luft in Südtirol zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr.

Toni Ebners Bruder Michl, der auch Tourismusunternehmer ist (Schnalstaler Gletscherbahn), protestierte beim Robert-Koch-Institut gegen die Einstufung des Landes als Risikogebiet. Begehrte eine Gegendarstellung! Und auch Wirtschafts-Landesrat Philipp Achammer bezweifelte die Risikoeinschätzung des Koch-Instituts öffentlich und bekam dafür (im Gegensatz zum LH) viel Platz in den Athesia-Medien.

Nicht genug:

Immer am 7. März erschien in den „Dolomiten“ ein Interview mit dem „Radiodoktor“ und Athesia-Bestseller-Autor Christian Thuile mit dem homöopathischen Titel: „80 Prozent der Infektionen sind harmlos.“ Und noch vor zehn Tagen nannte Thuile das Coronavirus im „Dolomiten-Magazin“, dem viel gelesenen Programmheft für Teletext- und TV-Spielfilm-App-Resistente, ein „Virus wie jedes andere“.

Die Botschaft an uns medizinische Laien:

Viel Lärm um nichts! Eben ein harmloses Grippele, das einen strammen (Süd-)Tiroler schon nicht umhaut.

Keine drei Wochen später brennt in Südtirol wirklich der Hut. Und in Italien sterben 600 und mehr Menschen am Tag.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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