„Wurde die Gefährlichkeit unterschätzt?“
Nach dem Frauenmord in Eppan ist die systemische Psychotherapeutin Sonja Prinoth überzeugt: „Die Frau wurde nicht ausreichend geschützt.“
von Eva Maria Gapp
„Ich bin fassungslos und wütend zugleich“, sagt Sonja Prinoth, systemische Psychotherapeutin aus Bozen, „wie kann es sein, dass eine junge Frau so allein gelassen wurde, obwohl sie von einem Mann über ein Jahr lang gestalkt und belästigt wurde, und bereits einige Anzeigen gegen dem Mann vorlagen. Er stand sogar unter Polizeibeobachtung und eine Zeitlang unter Hausarrest. Das heißt für mich, die Frau wurde nicht ausreichend geschützt. Sie war dem Mann ausgeliefert.“
Denn für Prinoth ist klar: „Wenn sich ein Mensch, trotz dieser ganzen Maßnahmen nicht abschrecken lässt, dann ist dieser gefährlich.“ Er habe keine Einsicht gezeigt.
„Der 25-Jährige hat ja mehr als deutlich gemacht, dass er sich von diesen Anzeigen nicht abschrecken lässt, dass er weitermachen wird. Diese Maßnahmen haben bei ihm keine Bewusstseinsveränderung und kein Umdenken bewirkt. Deshalb muss man sich die Frage stellen: Wurde die Gefährlichkeit dieses Mannes unterschätzt?“, fragt sich die systemische Psychotherapeutin.
Diese Frage stellt sie sich auch deswegen, weil die Frau in der Tatnacht ganz allein im Lokal gewesen war. „Vielleicht wurde die Situation, aber auch die Besessenheit des Stalkers unterschätzt, und dadurch wurde der Frau zu wenig Schutz gewährt.“ Laut Prinoth sei es aber generell nicht leicht, die Situation richtig einzuschätzen. „Deshalb plädiere ich dafür, immer etwas übervorsichtig zu sein.“ Zudem müsse eine Frau, die den Mut zur Anzeige hat, immer sicher sein, dass sie auch geschützt werde.
Auch das gerichtliche Annäherungsverbot gegenüber dem Opfer wurde letzthin wieder aufgehoben. „Das kann ich nicht verstehen“, sagt Prinoth.
Zumal der Mann ein schwerwiegendes psychologisches Problem gehabt habe. „Er war krankhaft fixiert auf diese Frau und hat total den Sinn zur Realität verloren. Man kann sagen, er war fast schon besessen von ihr.“ Er hat sie mit Telefonanrufen, SMS, WhatsApp-Nachrichten und Geschenken immer wieder belästigt. Der mutmaßliche Täter dürfte unsterblich verliebt in das Opfer gewesen sein.
Weil das Opfer diese Liebe aber nicht erwiderte habe Lukas Oberhauser schließlich zum Messer gegriffen. Davon ist Prinoth überzeugt: „Das ist ein typisches Muster, das man auch von früheren Frauenmorden kennt. Der junge Mann hat das Opfer als seinen Besitz gesehen. Er hat sich gedacht: „Wenn du nicht mir gehörst, sollst du niemanden gehören.“ Deshalb hat er sie getötet.“
Diese Kultur des Besitzanspruchs ist ein sehr häufiges Motiv für geschlechtsspezifische Gewalt, die Vorstellung, dass die Frau, egal ob Freundin, Ex-Frau, Mutter oder Ehefrau, dem Mann gehört.
Zudem sollte dieser Mord auch zum Nachdenken anregen: „Wir müssen uns wirklich darüber Gedanken machen, welches Frauenbild manche Männer haben. Es kann nicht sein, dass eine Frau immer noch als Besitz gesehen wird.“
Abschließend möchte Prinoth auch einen Appell an die Öffentlichkeit richten: „Es ist wichtig, dass wir Frauen, die gestalkt werden, nicht alleine lassen. Wir müssen ihnen beistehen und auf sie aufpassen. Das ist auch unserer Pflicht als Bürgerinnen und Bürger. Denn das Thema geht uns alle an. Es kann jede Frau treffen.“
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