Die Corona-Fragen
Was unterscheidet das Corona-Virus von einer normalen Grippe? Und wie gefährlich ist das Virus wirklich? Der Infektiologe an der Med-Uni Wien, Christoph Steininger, gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Tageszeitung: Herr Dr. Steininger, Italien wird von einem Coronavirus-Ausbruch überraschenden Ausmaßes erfasst. Die Zahl der Toten und Infektionen steigt immer weiter an. Angst macht sich breit – auch hierzulande. Wie ernst ist die Lage mittlerweile?
Christoph Steininger (Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien): Aus klinischer Sicht ist die Lage nicht sehr ernst. Weil die Infektion selbst fast immer mild verläuft. Und was man nicht vergessen darf: Bei den Todesfällen in Italien handelt es sich um ältere Menschen, die auch Vorerkrankungen hatten. An und für sich ist die Situation aber schon besorgniserregend, weil man nicht mehr einen guten Überblick hat. Wer hatte hier mit wem Kontakt? Wer ist der „Patient Null“? Das bedeutet, dass es nun viel schwieriger ist, dass man alle Kontaktpersonen findet und sie unter Quarantäne stellt.
Müssen sich die Menschen angesichts der zunehmenden Ausbreitung Sorgen machen?
Nicht mehr als bei einer Grippe. Und da machen sich die Menschen viel zu wenig Sorgen. Wir haben immer noch junge Patienten auf unseren Intensivstationen mit einer Grippe, und trotzdem lässt sich die Mehrheit der Menschen nicht impfen.
Wie gefährlich ist das Coronavirus im Vergleich zur Grippe?
Das Coronavirus ist mit einer Grippe vergleichbar, es ist auch gleich gefährlich. Was die Häufigkeit, die Sterblichkeit und die Symptomatik anbelangt sind sie vergleichbar. Was man aber dazu sagen muss, ist: Es ist viel realer, dass man sich mit Grippeviren ansteckt als mit dem neuen Coranavirus. Wir haben derzeit eine starke Grippewelle in Europa und pro Woche gibt es Tausende Infizierte. Die Influenza zum Beispiel führt in Österreich jährlich zu 1.000 bis 1.500 Todesfällen, und das bei einer Gesamtbevölkerung von etwa acht Millionen Menschen. Das ist nicht vergleichbar mit dem Coronavirus.
Und wie hoch ist die Sterberate beim Coronavirus?
Die Sterberate liegt im Moment bei ein Prozent. Vor einer Woche ging man noch von einer Sterblichkeit von zwei bis drei Prozent aus. Das wurde aber widerlegt. Und derzeit geht man davon aus, dass ein Erkrankter im Schnitt zwei bis drei Personen mit der Krankheit ansteckt. Das Coronavirus und die Influenza sind ähnlich infektiös. Es gibt also keinen Grund zur Panik.
Für wen ist das Coronavirus besonders gefährlich?
Das Coronavirus kann ähnlich wie die Grippe vor allem für ältere oder kranke Menschen lebensgefährlich sein. Auch Schwangere sind für einen schweren Verlauf gefährdet, für sich und auch für das ungeborene Kind.
Warum gibt es aber dennoch Menschen, die mit jungen Jahren am Coronavirus sterben? Wie etwa der chinesische Arzt Li Wenliang, er wurde nur 34 Jahre alt.
Ja, es ist nicht so, dass junge Menschen davor geschützt sind. Wir reden immer nur von Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein älterer Mensch einen schweren Verlauf erleidet, ist viel höher als bei einem jungen Menschen. Weil der Organismus und das Immunsystem einfach altern und sich das Immunsystem dann nicht mehr so effektiv gegen neue Eindringlinge wehren kann. Das heißt aber nicht, dass junge Menschen nicht davon betroffen sein können.
Was sich jetzt auch viele fragen, ist, wie ist es möglich, dass sich das Coronavirus innerhalb so kürzester Zeit in Norditalien so schnell ausbreiten konnte?
Gute Frage. So wie ich das erfahren habe, hat man lange Zeit nicht erkannt, dass der 38-jährige Mann, mit dem der Ausbruch begonnen hat, mit dem Coronavirus infiziert war. In der Zwischenzeit gab es Kontakte mit dem Pflegepersonal, mit Ärzten und vielen anderen Menschen, die auch nicht sofort unter Quarantäne gestellt worden sind. Und so konnte sich das Virus rasch verbreiten. Was man hier aber auch dazu sagen muss, ist, es war zu erwarten, dass es soweit kommen wird. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es auch ein Land in Europa „erwischt“.
Müssen wir uns in weiterer Folge auch auf eine Pandemie, also auf eine globale Ausbreitung einstellen?
Die Pandemie ist ja schon angekommen. Wir haben in dutzenden Ländern des Erdballs Infektionen, und damit sind die Kriterien einer Pandemie erfüllt. Eine Pandemie ist damit nicht mehr vermeidbar.
Wurde die Situation bislang unterschätzt? Ist die ganze Angelegenheit größer, als sie anfänglich schien?
Nein, sicher nicht. Es war immer klar, dass man die Situation sorgfältig beobachten und immer wieder neu beurteilen muss. Es war klar, dass sich etwas Neues entwickelt. Es war nicht klar, in welche Richtung es sich entwickelt. Und was man weder den Behörden noch den Behörden in China vorwerfen kann, ist, dass sie zu wenig reagiert haben. Manchmal hat man sehr konsequent und vielleicht überschießend reagiert, aber sicher nie nachlässig.
Jetzt würde ich gerne über die Symptome sprechen: Wie lässt sich das Coronavirus von einer gewöhnlichen Grippe unterscheiden?
Das lässt sich nur mit einem mikrobiologischen Test feststellen. Denn die typischen Symptome des Coronavirus sind auch jene, die wir von einer Grippe kennen, wie etwa Husten, Fieber, Schlappheit und Gliederschmerzen. Bei schweren Fällen kann es zu einer Lungenentzündung kommen. Sie kann aber auch symptomfrei verlaufen. Das ist auch das Tückische.
Und wie wird das neue Coronavirus übertragen?
Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion, also beispielsweise durch Husten oder Niesen. Ein Händedruck kann aber auch gefährlich sein, wenn man sich mit der Hand nachher selbst in das Gesicht greift. Saubere Hände gehört deshalb zu den obersten Geboten. Und größere Ansteckungsgefahr herrscht überall dort, wo viele Menschen auf engem Raum sind, wie in öffentlichen Verkehrsmitteln, Kreuzfahrtschiffen usw. Überall dort, wo es viel Körperkontakt gibt.
Für das Coronavirus gibt es derzeit keine Impfung. Wann können wir mit einem Impfstoff rechnen?
Das ist nicht absehbar. Im Idealfall in einigen Monaten.
Ist es auch möglich, dass das Virus ähnlich wie Sars mit der warmen Jahreszeit verschwindet?
Das müssen wir abwarten. Das ist derzeit nicht abzuschätzen.
Wie wird es nun weitergehen? Rechnen Sie damit, dass in den nächsten Tagen oder Wochen auch in anderen Teilen der EU Fälle geben wird?
Es wird sicher noch weitere Fälle geben. Das ist gar keine Frage. Die Frage, die sich eher stellt, ist, schafft man es, dass es bei einzelnen Ausbrüchen bleibt, die lokal beschränkt sind, wo alle Kontaktpersonen gefunden und unter Quarantäne gestellt werden, oder kommt es zu einer Infektionskette, die man nicht mehr kontrollieren kann.
Was würde dann passieren?
Dass es immer mehr Patienten gibt, die sich infizieren und das Virus weitergeben. Und irgendwann kommt der Punkt, wo es nicht mehr möglich ist, ganz Italien unter Quarantäne zu stellen.
Und was glauben Sie, wie wird es sich weiterentwickeln?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das meistern werden. Die Behörden in Italien gehen sehr konsequent vor, weshalb ich nicht glaube, dass dieses Szenario eintreten wird. Es wird sicherlich mal wieder einzelne Fälle geben, aber die Behörden in Europa sind sehr gut vorbereitet.
Jetzt noch die letzte Frage: Müssen wir uns angesichts der Globalisierung darauf einstellen, dass es in Zukunft häufiger zu solchen Vorfällen kommen wird?
Selbstverständlich und das tun wir ja auch. Ich muss sagen, dass wir diesmal viel besser darauf vorbereitet sind, als es damals bei SARS der Fall war. Wir sind besser vernetzt, wir spüren also auch die positiven Seiten der Globalisierung, und die Behörden sind wesentlich besser vorbereitet.
Interview: Eva Maria Gapp
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