Flucht vor der Realität
Mischkonsum, Angst- und Essstörungen: Der Leiter von Bad Bachgart Martin Fronthaler über die neuen Störungsbilder.
Tageszeitung: Herr Fronthaler, Sie sind also der neue Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart und treten damit in die Fußstapfen von Helmut Zingerle. Was glauben Sie, würde er jetzt sagen, dass Sie sein Nachfolger sind?
Martin Fronthaler: (lacht) So wie ich ihn kenne, würde er mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht anschauen und sagen: „Viel Glück und mach’s gut.“ Ich denke also, dass er damit einverstanden ist und auch zufrieden, dass es jemand aus seinem Team ist, der diese Position übernimmt. Der auch das Haus, die Patienten und die Tücken kennt – und viel Erfahrung mitbringt. Das war ihm immer ein großes Anliegen.
Es wird auch gesagt, dass Sie sein Wunschnachfolger waren…
Das kann ich so nicht sagen, das ist nur eine Munkelei (lacht).
Helmut Zingerle hat damals im Abschiedsinterview gesagt: „Ich würde mir einen Nachfolger wünschen, der die fachliche Kompetenz hat, der ideenreich und kreativ ist und der nicht in eine Routine wechselt.“ Trifft das auf Sie zu?
Ich werde mich sehr bemühen. Ich weiß, dass er dies über die ganzen Jahre hinweg gepredigt hat, und zwar für sein gesamtes Team. Das war ihm immer schon sehr wichtig, innovativ zu sein, unter Spannung die Dinge voranzubringen und nicht in eine Routine zu verfallen. Das kann aber eh nicht passieren, weil wir vor immer neuen Herausforderungen stehen. Ich bin mir aber sicher, dass ich das nötige Rüstzeug besitze.
Und wie würden Sie sich selbst beschreiben? Was sind Sie für ein Mensch?
Ich bin ein unglaublich neugieriger Mensch. Ich versuche immer die Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Das heißt auch, dass ich mich nicht in irgendeine Meinung verliebe und dann ewig daran hängen bleibe. Das ist so ein Markenzeichen von mir, wenn man es so sagen möchte. Ich mag es unter Spannung zu stehen. Ich finde es sehr bereichernd, wenn es neue Herausforderungen gibt. Ich brauche auch diesen gewissen Nervenkitzel.
Warum haben Sie sich überhaupt für diesen Posten beworben?
Weil mir das Konzept von Bad Bachgart, also diese Idee der stationären Psychotherapie einfach sehr gut gefällt. Und ich hatte schon länger den Wunsch, noch mehr Verantwortung zu übernehmen, noch mehr mitzumischen…
Für Sie war das also ein lang gehegter Wunsch…
Ja, das kann man so sagen. Ich war über die Jahre hinweg ein wenig der Berater von Herrn Zingerle, er hat mich auch sehr in die Entscheidungsfindung eingebunden, aber es war dann auch mein Wunsch, autonom zu entscheiden. Ich wusste, wenn Herr Zingerle in Pension geht, werde ich mich bewerben.
Was möchten Sie dann in den nächsten Jahren vor allem voranbringen? Was sind Ihre Pläne?
Eine neue Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist sicherlich die zunehmende Anzahl an jungen Erwachsenen, die immer häufiger stationär behandelt werden müssen. Sie kommen zu uns, weil sie von mehreren Substanzen abhängig sind. Sie trinken nicht nur Alkohol, sondern konsumieren zeitgleich auch Cannabis oder andere harte Drogen, wie Kokain. Dahinter stecken aber sehr häufig Angststörungen oder andere depressive Symptome, welche die jungen Erwachsenen mit diesen Drogen nur versuchen zu übertünchen. Diese Substanzen werden also als Selbsttherapie verwendet. Häufig driften sie dann auch in eine Kaufsucht oder Spielsucht hinein. Sie kommen also mit verschiedenen Störungsbildern. Und wir als Therapiezentrum müssen uns dahingehend verändern, dass wir neue Therapiemöglichkeiten bereitstellen, die den Bedürfnissen dieser Zielgruppe gerecht werden. Weil einfach auch diese Patientengruppe zugenommen hat. Es gibt ja mittlerweile nahezu keinen jungen Erwachsenen mehr, der keinen Beikonsum hat. Das ist ein großes Problem.
Von welchem Alter sprechen wir hier?
Wir sprechen hier von jungen Erwachsenen zwischen 18 und Ende 20, die eben eine affektive Erkrankung (zum Beispiel Angststörung) haben und nebenbei substanzabhängig (Alkohol, Cannabis) sind. Und eine weitere große Herausforderung sind sicherlich die Patientinnen mit Essstörungen, die schwer motivierbar sind, sich in eine Behandlung zu begeben. Weil sie nicht von der Arbeit fern bleiben möchten oder von der Schule, oder weil sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht einsehen können, dass sie stationäre Hilfe benötigen. Und ein weiteres Anliegen ist mir, dass die Menschen die Angst und das Schamgefühl gegenüber psychotherapeutischen Behandlungen verlieren. Um das zu erreichen, wird Bad Bachgart sicherlich mehr Aufklärungsarbeit betreiben. Es muss offener mit Suchterkrankungen und affektiven Störungen umgegangen werden.
Und warum sind es gerade diese jungen Erwachsenen, die das Angebot einer stationären Therapie aufsuchen?
Ich denke, dass heutzutage einfach die Auswahl an Drogen enorm groß ist. Mittlerweile kann man sich eigentlich alles besorgen – und das überall und jederzeit. Weil es viele praktizieren und die Idee heutzutage vorherrscht, dass Drogen ein „Problemlöser“ sind. Und da der Druck, der auf ihnen lastet, immer größer wird, suchen sie ein Ventil, um der Realität wenigstens ein Stück weit zu entfliehen. Und das machen sie dann mithilfe der Drogen.
Und wenn Sie jetzt an Ihre Anfangszeit in Bad Bachgart zurückdenken, das war 2003, was hat sich dann über die Jahre verändert?
Das was uns auffällt, ist, dass es diesen klassischen Alkoholiker, der nur Alkohol trinkt und sonst nichts, nicht mehr wirklich gibt. Was früher nicht üblich war, nämlich neben dem Alkohol auch noch Cannabis zu rauchen, oder Medikamente einzuwerfen, oder Rubbellose zu spielen, ist heute Gang und Gebe. Und das betrifft nicht nur die Jungen. Den Menschen reicht wohl nicht mehr nur ein Suchtmittel. Das stellt uns natürlich auch als Team vor großen Herausforderungen.
Wie sind Sie eigentlich 2003 zum Therapiezentrum Bad Bachgart gekommen?
Ich war damals in Innsbruck in einer Familienberatungsstelle tätig und da hat mich dann ein Kollege darauf hingewiesen, dass in Bad Bachgart eine Psychosomatik-Abteilung eröffnet wird, und sie noch Psychologen und Psychotherapeuten suchen. Das hat mich sofort angesprochen. Ich habe mich dann beim Herrn Zingerle gemeldet, ein Vorstellungsgespräch gemacht und so kam das dann zustande.
Was hat Ihnen bislang an Ihrer Arbeit gefallen?
Mir gefällt es, mit Patienten zu arbeiten und herauszufinden, welche Persönlichkeiten hinter den Störungsbildern verstecken. Denn wenn ich es etwa schaffe, hinter die Depression, hinter die Ängste oder die Abhängigkeit zu schauen, kommen immer sehr interessante Persönlichkeiten zutage. Für mich als Psychologe ist es dann unglaublich schön zu sehen, wenn die Menschen dann wieder zu sich selbst finden können.
War es eigentlich immer schon Ihr Berufswunsch Psychologe zu werden?
Ja, schon als Volksschüler hatte ich den Wunsch, Psychologe zu werden. Mir kam vor, das Beste ist es, wenn die Leute miteinander reden und sich dafür interessieren, wie es einem selbst und den Anderen geht. Eine Alternative wäre Geometer gewesen, weil ich recht gut war beim Häuser zeichnen. Im ersten Studienjahr hab ich zunächst Jus Inskribiert, habe mich dann aber doch der alten Pläne besonnen und so bin ich im zweiten Jahr auf Psychologie umgestiegen.
Jetzt noch abschließend: Was würden Sie sagen, sind die größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit? Auf was müssen wir uns einstellen?
Die größten Herausforderungen sind sicherlich der Umgang mit diesen neuen Abhängigkeiten, dann die Tendenz der sozialen Isolation, die häufig in ein depressives Erleben führt, weil sich die Menschen immer mehr zurückziehen. Ein Thema ist sicherlich auch die Neuzuwanderung von anderen Bevölkerungsgruppen, wie diese mit unserer Gesellschaft zurechtkommen, und welche Störungsbilder sie selbst entwickeln, wenn sie auf neue Kulturen treffen. Und zu guter Letzt müssen wir uns auch als Gesellschaft fragen, wie wir mit diesem Leistungsdruck umgehen, der enorm zugenommen hat. Denn dieser ist eben auch verantwortlich für verschiedenste Störungsbilder, wie etwa Depressionen und dergleichen.
Interview: Eva Maria Gapp
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