Verzweifelter Vater
Canzio Ravasi hat 2016 seine damals 21-jährige Tochter Stefanie bei einem Verkehrsunfall in Sinich verloren. Das Verfahren gegen den Unfalllenker wurde zweimal eingestellt. Doch für den verzweifelten Vater sind noch Fragen offen.
von Karin Gamper
Der Unfall sorgte 2016 für tiefe Betroffenheit.
Am 1. Oktober jenen Jahres kommt es in Sinich kurz nach Mitternacht zu einer Unfalltragödie. Zwei junge Menschen verlieren ihr Leben. Stefanie Ravasi, 21, und ihr Begleiter David Pirhofer, 31. Die junge Frau aus Tscherms und der junge Mann aus der Gemeinde Kastelbell sind in der Reichstraße gemeinsam auf einem Fahrrad stadtauswärts unterwegs. Das Fahrrad hat laut Fotos, die der Familie Ravasi vorliegen, auf der Rückseite ein reflektierendes Katzenauge. In der Zone gilt Tempo 50. Das Fahrrad wird von hinten von einem weißen VW Lupo erfasst. Ravasi und Pirhofer sterben noch an der Unfallstelle. Eine dritte Person – ein junger Mann aus dem Burggrafenamt – der auf einem zweiten Fahrrad unterwegs ist, entfernt sich unter Schock, kann später aber ausgeforscht werden.
Der Unfalllenker, ein 18-jähriger Führerscheinneuling aus dem Bezirk, wird leicht verletzt in das Meraner Krankenhaus gebracht. Gegen ihn wurde keine Anklage erhoben. Das Verfahren gegen den Fahrer wurde am Landesgericht Bozen zweimal eingestellt, zuletzt am Montag dieser Woche. Das Gericht ist in diesem Fall nach Überprüfung der Aktenlage zum Schluss gekommen, dass keine Fahrlässigkeit bzw. Schuld des Unfallfahrers vorliegt. Demnach hat der Unfalllenker das Tempolimit 50 eingehalten. Ein Alkoholtest, der noch am Unfallort durchgeführt wurde, ergab 0,0 Promille.
Canzio Ravasi, der Vater von Stefanie, kann und will sich jedoch damit nicht abfinden. „Es war ein schwerer Unfall mit Todesfolge”, sagt er, „zwei Menschen haben ihr Leben verloren und ich möchte, dass es wie in ähnlich gelagerten Fällen auch hier zu einem regulären Prozess kommt”.
Für ihn sind viele Fragen offen. „Warum wurde der Unfalllenker keinem Bluttest unterzogen, um eventuelle Alkohol- oder Drogenrückstände auszuschließen, was nach einem Unfall mit Todesfolge angebracht wäre?”, fragt er sich. „Und warum wurde kein Gutachten supra partes angefordert, nachdem unser Sachverständiger eine Geschwindigkeit von 96 km/h festgestellt hat?”. Und weiter: „Warum wurde behauptet, dass das Fahrrad ohne reflektierendes Katzenauge unterwegs war, wo unser Gutachter zum gegenteiligen Schluss kommt und dies mit Fotos belegt? Und warum schließlich wurde das beschlagnahmte Unfallauto bereits am Tag nach dem Unfall wieder freigegeben, wodurch unser Gutachter es nicht mehr in Augenschein nehmen konnte?”.
Der verzweifelte Vater hat nach der ersten Archivierung des Falls im November 2017 die von der Ortspolizei sichergestellte Videoaufzeichnung einer Kamera angefordert, die knapp 300 Meter vor der Unfallstelle positioniert war. Darauf ist der Unfall selbst nicht zu sehen. Die Aufzeichnung zeigt jedoch das Unfallauto und die Fahrräder, wie sie sich der Unfallstelle nähern. Der Vater hat das Video einem Professor der Universität Bologna, Mattia Strangi, übergeben. Dieser hat eine neue Expertise angefertigt.„Laut Strangi war der Unfalllenker auf dem Video und somit nur wenige Meter vor der Unfallstelle im Bereich eines Fußgängerübergangs mit 96 km/h unterwegs und das Fahrrad wurde vom Auto vorne rechts in gerader Linie erfasst, wodurch es nicht möglich sein kann, dass die beiden Jugendlichen auf die Fahrbahn ausgeschwenkt sind”, verweist Ravasi auf das Gutachten. Aufgrund dieser neuen Elemente hat Ravasi gemeinsam mit seiner Ehefrau sowie mit Giuseppa Cassaniti Mastrojeni, Präsidentin der „Associazioni Italiana Familiari e Vittime della Strada” 2019 Einspruch gegen die erste Archivierung des Verfahrens erhoben. Der Einspruch wurde am Montag dieser Woche abgewiesen.
Canzio Ravasi ist am Boden zerstört. „Ich möchte Gerechtigkeit und einen regulären Prozess, das bin ich meiner Tochter schuldig”, sagt er, „auch wenn sie nicht mehr zurückkehrt, so möchte ich doch erreichen, dass sich solche Tragödien nicht wiederholen”.
Vergangene Woche hat sich der Vater in einem Anflug von Verzweiflung vor dem Mailänder Gerichtspalast postiert, um auf nationaler Ebene auf seinen Fall aufmerksam zu machen.
Canzio Ravasi möchte es nicht gut sein lassen. Er wartet nun auf ein weiteres Gutachten der Universität Palermo. Und er plant ein Schreiben an den Obersten Richterrat, an den Staatspräsidenten und an den Justizminister.
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Kommentare (18)
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schwarzesschaf
Die anderen Fakten hat der herr nicht erzählt. Bitte alles berichten, und nicht nur die Hälfte
pantone
Ich fühle große Anteilnahme für die Eltern dieses Mädchens. Es ist ein schweres Schicksal, das sie getroffen hat. Der junge Fahrer wird mit Sicherheit auch, er war damals gerade mal über 18 Jahre alt, sehr betroffen sein.
Ich bezweifle jedoch, dass solche Unfälle gänzlich vermieden werden können. Wenn alle unglücklichen Umstände auf einmal zusammen kommen, dann ist es echt Pech.
Ich hoffe schon, dass das Gericht alle Umstände genau überprüft hat. Zumal das Gesetz über den „omicidio stradale“ bereits in Kraft war.
Schließlich ist schon sehr riskant, nach Mitternacht mit einem Fahrrad unterwegs zu sein. Man begegnet immer wieder Fahrrädern, abends, die ohne jegliches Licht unterwegs sind. Man kann da seinen eigenen Augen kaum trauen. Und von 10 Fahrrädern die sich außerorts wagen, sind sicher 8 ohne ausreichendes Licht unterwegs.
Da sollte die Polizei wirklich rigoros durchgreifen.
schwarzesschaf
Du sagst wie es ist. Und oft auch noch schön betrunken oder zugekifft wie auch in diesen fall