„Einmischung von außen“
Die italienischen Rechtspolitiker Alessandro Urzì und Michaela Biancofiore kritisieren den Südtirol-Passus im türkis-grünen Koalitionsabkommen scharf: Kanzler Sebastian Kurz wolle damit nur vom gebrochenen Doppelpass-Versprechen ablenken.
von Matthias Kofler
Hat Bundeskanzler Sebastian Kurz mit seiner – O-Ton Philipp Achammer – „starken Botschaft für Südtirols Autonomie“ schlafende Hunde geweckt? Steht den italienisch-österreichischen Beziehungen eine neue Eiszeit bevor? Im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen ist im Kapitel „Regionale Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik“ ein drei Absätze umfassender Südtirol-Passus enthalten.
Dort heißt es wörtlich:
„Österreich wird auch in Zukunft an der Seite Südtirols stehen und weiterhin seine Schutzfunktion wahrnehmen. (…) Es ist die gemeinsame Verantwortung Österreichs und Italiens, die eigenständige Entwicklung zu garantieren und in enger Abstimmung mit den Vertretern der deutsch- und ladinischsprachigen Volksgruppen in Südtirol die Autonomie weiterzuentwickeln. Besondere Bedeutung kommt dabei der Wiederherstellung der seit Abgabe der Streitbeilegungserklärung 1992 verloren gegangenen Zuständigkeiten zu, sofern die Einschränkungen nicht auf Unionsrecht zurückzuführen sind.“
Sowohl SVP-Obmann Achammer als auch LH Arno Kompatscher schreiben sich auf die Fahne, an der Ausformulierung der Passagen aktiv mitgewirkt zu haben. Seit Abgabe der Streitbeilegungserklärung 1992 wurden die damals bestehenden Zuständigkeiten des Landes in einer Reihe von Sachbereichen beschränkt, insbesondere durch die übergreifenden staatlichen Kompetenzen, die mit der Verfassungsreform 2001 eingeführt wurden. Eingeschränkt wurden Kompetenzen in den Bereichen Raumordnung und Landschaftsschutz, öffentliche Fürsorge und Wohlfahrt, Jagd, Handwerk und Handel, Ämterordnung und Personal oder etwa Zivilschutz. Der damalige österreichische Außenminister Kurz hatte bereits im Juni 2015 und im April 2017 ein Schreiben an die italienische Regierung gerichtet, in dem er die Erwartung zum Ausdruck brachte, dass die eingeschränkten Kompetenzen wiederhergestellt werden sollten.
„Nun bekräftigt die österreichische Regierung, dass sie auf die Wiederherstellung und Sicherung dieser autonomen Kompetenzen pochen wird. Das ist eine starke Unterstützung für die Verhandlungen, die mit der italienischen Regierung zu führen sind“, zeigen sich Achammer und Kompatscher überzeugt. Alessandro Urzì will in den Jubelgesang nicht miteinsteigen. Er sieht in den Ausführungen im türkis-grünen Programm eine unerhörte Einmischung in inneritalienischen Angelegenheiten. Die österreichische Exekutive will praktisch festlegen, welche Kompetenzen der italienische Staat Südtirol zu übertragen hat. Die Urteile des italienischen Verfassungsgerichts, die zu Ungunsten des Landes ausgefallen sind, werden unter den Tisch gekehrt. „Mit Sicherheit ist es nicht die Regierung Kurz, die die Verfassung der Republik Italien schreibt“, ärgert sich Urzì.
Der Landtagsabgeordnete hat einen guten Draht zu Giorgia Melonis Fratelli d’Italia im römischen Parlament. Schon bei der „Alto-Adige“-Polemik ist es Urzì dank seiner Kontakte gelungen, einen nationalen Sturm der Entrüstung loszutreten. „Nach einiger Zeit werden sie auch bei diesen Aussagen einen Rückzieher machen müssen“, prognostiziert Urzì. Er bezweifelt, dass Österreich nun auf Italien einreden wird, damit Südtirol mit einer Fülle an neuen Kompetenzen ausgestattet wird: „Mit dem Südtirol-Passus wollen sie nur die Leere überdecken, die nach der Rücknahme des Projekts zur Ausweitung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf die Südtiroler entstanden ist. Doch sie machen es in der schlechtmöglichen Art und Weise. Aber in der Zwischenzeit reden alle davon und vergessen den Pass“, meint der Abgeordnete.
In dieselbe Kerbe schlägt Michaela Biancofiore: Der Südtirol-Passus sei „eindeutig“ eine Einmischung Österreichs in die Angelegenheiten Italiens, ist die Kammerabgeordnete der Gemischten Fraktion überzeugt.
Aus ihrem Umfeld ist zu vernehmen, dass Biancofiore in Rom gegen die Passagen intervenieren will. „Es gibt eine Streitbeilegungserklärung vor der UNO, in der sich Österreich dazu verpflichtet, die Souveränität Italiens zu respektieren und im Zusammenhang mit Südtirol nichts mehr einzufordern“, giftet Biancofiore. Doch Österreich breche diese Verpflichtung ständig. „Mich hätte es auch nicht gewundert, wenn sie den Doppelpass wieder ins Koalitionsprogramm aufgenommen hätten“, so die Ex-FI-Politikerin.
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Kommentare (26)
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leser
Ja
Das mit den primärkompetenzen sind halt schon grosse märchen die man den tiroler wahkschafen vorgaukelt eine tatsache die man nicht wahrhaben will und den schafen
tiroler
Botoxfiore und Furzi nimmt niemand ernst
pingoballino1955
Die sogenannte vorgelogene heilige Autonomie der SVP. Gut dass die Querelen zutage kommen,dass auch die Wahlschafe mal aufwachen was „Sache“ und Wahrheit ist. Autonomiebeschneidungen sind an der Tagesordnung ,angeordnet aus ROM von fratelli dítalia und LEGA. Da hat sich die SVP einen tollen LEGA Partner ausgesucht-BRAVO????
george
Nur Wiederholung der vorigen Woche. Wie lange wollt ihr das noch breittreten? Habt ihr sonst nichts Neues zu berichten? Oder wollt ihr nur all die polemischen Kommentare hier ermöglichen?
noando
na bravo … mit urzi in bozen und meloni/biancofiore in rom besteht jetzt also eine permanente hotline … sozusagen stille post für populisten-geschrei … was in südtirol als autonomiefreundlich startet, endet in rom als pläne zum staatsstreich? … für urzi und biancofiore gilt also: südtirol muss italienischer werden – besser wäre es umgekehrt, aber dann gäbe es urzi und biancofiore nicht mehr in einem tageszeitungs-artikel …