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Das Experiment


Wie der frühere EU-Kommissar Franz Fischler die neue schwarz-grüne Regierung in Österreich einschätzt. Und warum er nicht glaubt, dass der Doppelpass kommt.

Tageszeitung: Herr Fischler, was bedeutet die neue türkis-grüne Regierungskoalition für Österreich?

Franz Fischler: Diese Regierung ist ein interessantes Projekt, das europaweite Beachtung finden wird und – sollte es funktionieren – durchaus Vorbildcharakter für andere EU-Staaten haben kann. Es ist keine Koalition aus möglichst ähnlichen Parteien, sondern eine Koalition aus Parteien mit sehr unterschiedlichen Positionen, die eine interessante Konsensfindung verspricht. Wenn man sich hier in der Mitte trifft, ist für beide Seiten etwas dabei, dann ist der Kompromiss in der Regel nicht einseitig. Man merkt schon an den Äußerungen der beiden Parteichefs, dass sie ganz offenkundig darauf aus sind, für ihre jeweilige Klientel klarzumachen, dass sie auf der einen Seite die wichtigsten Wahlversprechen eingehalten haben, dass es aber auf der anderen Seite Kompromisse braucht, weil sonst kann eine solche Regierung nicht zustande kommen.

Im Jahr 2002 scheiterten die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen. Was ist dieses Mal anders?

Die Verhandlungen zwischen Wolfgang Schüssel und Alexander van der Bellen sind damals im allerletzten Moment gescheitert. Es war auch alles schon ausverhandelt, dann haben aber einige, vor allem auf der grünen Seite, die Sache blockiert. Das ist hoffentlich dieses Mal nicht der Fall.

Sebastian Kurz wurde für seine Regierung mit der FPÖ scharf kritisiert. Wie ist dieser Schwenk hin zu den Grünen einzustufen, die komplett gegenteilige Positionen vertreten?

Man sollte das nicht im tagespolitischen Sinn bewerten. Da ist ja auch auf der ÖVP-Seite eine lange Entwicklung vorausgegangen. Josef Riegler hat schon 1986 den Begriff der ökosozialen Marktwirtschaft geprägt. Das ist genau das Konzept, das jetzt diese beiden Parteien in der Mitte zusammenführt. Man braucht auf der einen Seite eine soziale Marktwirtschaft, die aber nur mit einer ausreichenden Nachhaltigkeits- und Umweltpolitik erreicht werden kann. Man darf nicht vergessen, dass die Krise von 2008 weitreichende Veränderungen mit sich gebracht. Europa brauchte zehn Jahren, um sich von diesem Rückschlag zu erholen.

Glauben Sie, dass die Grünen im mehrheitlich rechtskonservativen Österreich konsensfähig sind?

Das ist keine Glaubensfrage. Man sollte an diese Sache pragmatisch herangehen. Man sieht europaweit eine Tendenz, dass sich die Grünen wegbewegen von einer linksideologischen Partei hin zu einer mehr pragmatischen Partei. Diese Entwicklung hilft, um solche Kompromisse wie in Österreich eingehen zu können. Wenn man nach Deutschland, nach Baden-Württemberg oder in den Bund, schaut, dann sind die Grünen immer dann erfolgreich, wenn sie sich von den traditionellen Ideologien und von der Kampfrhetorik befreien.

Was sind die Knackpunkte in den kommenden fünf Jahren?

Es wird vor allem jetzt am Anfang schwierig sein. Die müssen sich ja zusammenleben und einen Modus Vivendi finden für die politische Tagesarbeit. In der Folge gibt es eine Reihe von Knackpunkten, etwa was die ökologische Steuerreform, die Bildung oder die Vorbeugehaft betrifft. Zudem gibt es noch jede Menge Probleme im Zusammenhang mit Sicherheit und Verteidigung.

Und in der Einwanderung …

Bei der Einwanderungspolitik wird man sehen, was Frau von der Leyen auf den Tisch legt. Sie hat eine neue Asylpolitik angekündigt, da eine Aufteilung auf die EU-Staaten nicht funktioniert. Man wird sehen, wie sich Österreich hierzu positioniert.

Kurz hat es schon mit der SPÖ und der FPÖ probiert. Die Grünen sind der dritte Versuch. Wird diese Regierung schon deshalb lange halten, da Kurz sonst keine Machtoptionen mehr hat?

(lacht) Da ein Gesetz der Serie abzuleiten, halte ich nicht für gut. Ob das hält oder nicht, kann heute kein Mensch sagen. Ein Experiment kann gut ausgehen oder nicht. Das ist zurzeit völlig offen.

Der Doppelpass hat es nicht ins Programm geschafft. Ist das Projekt damit gestorben?

Ich weiß nicht, ob etwas dazu im Programm steht. Wenn was drinstünde, wäre das eine überflüssige Fleißaufgabe. Die italienische Regierung hat erklärt, einem solchen Projekt nie zuzustimmen, während Österreich betont, nur im Einvernehmen mit Italien vorzugehen. Daher ist das eine ziemlich müßige Frage.

Interview: Matthias Kofler

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