„Kein Babysitter“
Die Kindermedienexpertin Louise Carleton-Gertsch sagt: „Eltern sollen ihre Kinder nicht vor dem Tablet oder Smartphone parken“.
Tageszeitung: Frau Carleton-Gertsch, Smartphones und Tablets sind aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Bereits kleine Kinder wissen, wie man durch Fotos wischt oder ein Video startet. Finden Sie das bedenklich?
Louise Carleton-Gertsch: Bedenklich ist das falsche Wort. Dass die Kinder damit aufwachsen und schon wissen, wie man ein Video startet, finde ich nicht bedenklich. Für Kinder ist das heutzutage normal. Was ich aber sehr wohl problematisch finde ist, wenn wir Erwachsene die Kontrolle darüber verlieren, sie damit alleine lassen und solche Geräte quasi als „Babysitter“ einsetzen. Wir kennen alle diese Situation, wo ein Kind quengelt, sei das zu Hause oder im Wartezimmer beim Arzt, und das Kind dann durch ein Tablet oder ein Handy stillgestellt wird. Das ist aber falsch.
Eltern sollten also ihren Nachwuchs nicht vor den Geräten parken…
Ja, dieses Parken macht mir Sorgen. Jüngere Kinder sollen nicht alleine mit dem Tablet spielen. Man sollte Kleinkinder bei der Mediennutzung immer begleiten und sie nicht unkontrolliert einem Gerät überlassen. Eltern sollten mitmachen. Das gilt auch fürs Fernsehen. Nur so können sie zu kompetenten Digitalakteuren werden.
Ab welchem Alter sollten Kinder digitale Medien nutzen dürfen?
Das ist eine schwierige Frage, das sollten die Eltern selbst für sich entscheiden. Wenn Sie ein Alter haben möchten, würde ich sagen, unter zwei Jahren auf gar keinen Fall. Dann in einem geringen Maße. Zehn Minuten können reichen, um sich mit einer kleinen App auseinanderzusetzen, um Reizüberflutungen zu vermeiden. Genauso wie man draußen mit seinen Kindern spielt, sollte man das auch bei den digitalen Medien machen.
Wie bringt man seinen Kindern einen sicheren Umgang mit digitalen Medien bei?
Erstmals müssen sich die Eltern selbst überlegen, was sie mit ihren Geräten machen. Wenn wir als Eltern ständig zum Handy greifen und bei jedem „Bim“ sofort auf das Handy schauen, weil uns jemand geschrieben hat, ist es natürlich klar, dass auch ein dreijähriges Kind so etwas haben möchte. Es denkt sich dann: „Das muss toll sein, weil Mama und Papa das machen.“ Das eigene Verhalten färbt also unweigerlich auf das Kind ab. Das heißt, wir müssen unseren Kindern ein gutes Vorbild sein.
Das ist der erste Schritt, aber was können Eltern konkret tun, um den Kindern einen sinnvollen Umgang mit Medien beizubringen?
Als erstes muss man mit den Kindern reden. Und zwar nicht nur über Gefahren und Probleme, sondern auch über Lieblingssendungen oder die Lieblingsspiele. Kindgerechte Medien wären da Angebote, die Kinder ernst nehmen. Also ein Thema behandeln, das Kinder beschäftigt. Dann ist es wichtig, dass man die Zeiten auch ein wenig begrenzt, also auch als Familie festlegt, wann es medienfreie Zeiten gibt. Wann das ist, sollte jede Familie für sich festlegen. Eine persönliche Grundregel gibt es aber: Handys gehören nachts nicht ins Schlafzimmer. Ich bin immer wieder schockiert, wenn mir Eltern berichten, dass die Kinder ihr Smartphone mit ins Zimmer nehmen dürfen. Das geht nicht. Kinder sollen ungestört schlafen. Und was man nicht vergessen darf, Cybermobbing ist ein großes Problem. Mobbing gab es auch schon früher, es war aber örtlich begrenzt, heutzutage hört das Mobbing gar nicht mehr auf. Es geht in den digitalen Medien weiter. Ich laufe also ständig Gefahr, gemobbt zu werden. Es ist also nicht wichtig, was die Medien mit uns machen, sondern was wir mit ihnen tun. Und umso früher man lernt, damit umzugehen, umso besser.
Sollten dann Kinder in der Kita schon den Umgang mit digitalen Medien lernen?
Ja, eigentlich schon. Denn die Kinder kommen immer früher mit digitalen Medien in Berührung und es darf keine digitale Kluft entstehen. Dafür muss aber das pädagogische Personal geschult sein. Man kann nicht erwarten, dass sie das von sich aus können.
Digitale Medien werden heutzutage auch immer stärker im Unterricht eingesetzt und als sehr vielversprechend bewertet. Doch es gibt viele Studien, die besagen, dass dies nicht der Fall ist. So soll etwa die Aufmerksamkeit am geringsten sein, wenn das Handy in Griffnähe ist. Schüler lernen auch nicht nachhaltiger, wenn sie ihre Mitschrift auf dem Computer machen. Was sagen Sie dazu?
Im Bereich Medien und Lernen sehe ich riesige Chancen, aber ich sehe gleichzeitig auch Probleme, wie das im Moment gehandhabt wird. Die erste Frage, die ich mir beim digitalen Unterricht immer stellen muss, ist, was ist der Mehrwert? Das ist aber eine Frage, die häufig nicht gestellt wird. Es werden oft einfach nur Apps herangezogen, die vielleicht als Motivationsfaktor dienen, aber helfen diese wirklich beim Lernen? Das ist die große Frage. Digitale Medien in den Unterricht nur einzubringen, um zu motivieren, ist schlecht, weil der Sinn ist es ja, dass den Kindern was beigebracht wird. Ein Beispiel, was wirklich Chancen im Unterricht hat, ist „Augmented Reality“. Damit können die Schüler in andere Welten eintauchen, also zum Beispiel sehen, wie es im alten Rom war. Abschließend noch eine Frage zu den sozialen Medien.
Wie sehen Sie eigentlich die massenhafte Nutzung von Instagram, Facebook und Co.?
Was mich ein wenig besorgt, ist, welche Methoden eingesetzt werden, um mich abhängig zu machen. Alleine wenn ich auf das Smartphone schaue, es poppt immer eine rote 1 auf, wenn ich eine neue Nachricht bekomme. Diese Signalfarbe rot zieht sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Man wird fast schon gezwungen da raufzuklicken. Das ist sehr clever gemacht. Dann dreht sich heutzutage alles nur darum, wie viele Follower oder Freunde man hat. Da müssen wir sehr vorsichtig sein. Vielleicht müssen wir den Begriff „Freund“ neu definieren. Man muss einfach die Psychologie hinter diesen Unternehmen verstehen. Denn erst wenn man versteht, wie sie vorgehen, kann man sich dagegen wehren.
Interview: Eva Maria Gapp
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