Tram oder Nicht-Tram
Am kommenden Sonntag stimmen 70.000 Bozner über die geplante Tram zwischen dem Bahnhof und dem Krankenhaus bzw. Sigmundskron ab. Was passiert, wenn das Nein gewinnt? Und ist eine Straßenbahn überhaupt finanzierbar? Die TAGESZEITUNG gibt Antworten auf zehn wichtige Fragen.
Von Thomas Vikoler
- Warum eine Tram?
In Bozen bzw. den damaligen Nachbargemeinden Gries und Zwölfmalgreien gab es bereits einmal eine Straßenbahn mit zwei Linien. Sie wurde 1909 in Betrieb genommen und am 24. Dezember 1948 eingestellt. Das aktuelle Tram-Projekt ist eine Folge der in den 2000er Jahren aufgekommenen Idee einer Wiedererrichtung der Überetscher Bahn zur Entlastung Bozens vom Pendlerverkehr. Die aktuelle Stadtverwaltung entschied, aufgrund einer Studie des Zürcher Verkehrsplaners Willi Hüsler, zunächst auf eine interstädtische Straßenbahn zu setzen. Erst in einem zweiten Moment sollte von Sigmundskron eine Anbindung nach Kaltern errichtet werden.
Die Vorteile einer Tram werden im Info-Blatt der Gemeinde zur Volksabstimmung am Sonntag so beschrieben: „Die Tram führt zu weniger Autoverkehr, weniger Lärm und weniger Schadstoffen und sorgt für eine bessere Luft in der Stadt“. Und: „Die Tram kann im Vergleich zum Bus mehr Menschen befördern und dies bei einer kürzeren Fahrzeit. Straßen, auf denen gerade zu den Hauptverkehrszeiten starker Verkehr herrscht, werden durch die Tram entlastet. Schüler kommen pünktlich und sicher zur Schule“.
Das wird von den Tram-Gegnern bestritten. Sie werfen der Gemeindeverwaltung vor, Alternativen zur Tram (Filobus, Seilbahn) nicht geprüft zu haben.
- Was ist genau geplant?
Die Landesgesellschaft STA hat für das Referendum, das von einer kleinen Bürgerinitiative um Gemeinderat Davide Costa (Ex-5S) angestoßen wurde, in aller Eile ein Vorprojekt für eine Tram erarbeitet. Geplant sind zwei Linien, die, vom Zugbahnhof ausgehend, auf dem Großteil der Strecke (7,2 Kilometer) auf einem gemeinsamen Gleis verlaufen. An der Meraner Kreuzung gibt es eine Gabelung: Eine Linie fährt zum Krankenhaus, die zweite zum Bahnhof Sigmundskron, wo ein Mobilitätszentrum errichtet werden soll. Vorgesehen sind 17 Haltestellen mit einer Haltezeit der Zuggarnituren von gerade 20 Sekunden. In der Altstadt soll die Straßenbahn ohne Oberleitung fahren, um das Ortsbild nicht zu stören. Die Transportkapazität einer Garnitur liegt bei bis zu 260 Fahrgästen, die STA verspricht ein geräusch- und vibrationsarmes Gleisbett.
- Warum plötzlich die hohen Kosten?
Bis vor wenigen Wochen sprachen die Vertreter von Land und Gemeinde Bozen von Kosten für eine Tram um die 120 Millionen Euro. Dann, bei der Vorstellung des STA-Projekts, tauchte eine neue Zahl auf: 210 Millionen Euro, beinahe doppelt so viel. Die Kosten für die Bauarbeiten werden auf 125 Millionen Euro geschätzt, dazu kommen – bisher unterschlagene – 25 Millionen Euro für Rollmaterial, 13 für Enteignungen/Entschädigungen, 14 für Technische Spesen und 15 für Unvorhergesehenes, dazu 19 Millionen Euro an Mehrwertsteuer. In der Kostenschätzung einbegriffen ist auch der notwendige Bau einer Remise (wahrscheinlich in Sigmundskron), die um die sechs Millionen Euro kosten soll.
Die Bozner Lega, die auf einer Pressekonferenz die Gründe für ihr Nein zur Tram aufzeigte, hält die veranschlagten Kosten für völlig überzogen. Und warnt vor einer weiteren Kostenexplosion: „In Florenz haben sich die geschätzten Baukosten verdoppelt, außerdem steht im STA-Vorprojekt nichts über die Führungskosten“, erklärte Lega-Fraktionssprecher Kurt Pancheri. Paradox ist allerdings, dass die beiden Vertreter der Lega in der Landesregierung, Giuliano Vettorato und Massimo Bessone, im Sinne eines Regierungsbeschlusses für eine Tram in Bozen sind.
Rudi Benedikter, Ex-Tram-Beauftrager des Bozner Gemeinderates, stuft die veranschlagten 210 Millionen Euro Kosten als „billig“ ein. Und zwar im Vergleich zu den zwei Milliarden Euro, welche seit 2003 für Straßen- und Tunnelprojekte um Bozen ausgegeben wurden bzw. eingeplant sind.
- Wer soll die Tram bezahlen?
Das ist das derzeit wohl größte Rätsel zum Vorhaben. Nach der ursprünglichen Finanzplanung sollten die Gemeinde Bozen und das Land maximal jeweils 40 Millionen Euro für die Tram aufbringen. Das restliche Drittel sollte über ein Sonderprogramm des Staates zur Errichtung von innerstädtischen Straßenbahnen finanziert werden. Durch den plötzlichen Anstieg der geschätzten Kosten verändert sich die Kostenrechnung: Demnach müssten knapp zwei Drittel vom Staat kommen, was einer ziemlichen Lotterie gleicht.
Auch wenn die Ja-Stimmen am Sonntag überwiegen sollten, ist es unklar, ob die Tram jemals gebaut wird. Die Gemeindeverwaltung will innerhalb 31. Dezember beim Transportministerium das entsprechende Ansuchen stellen. Das Gesamtbudget des Staates für Tram-Projekte beläuft sich auf 3,5 Milliarden Euro, für heuer stehen 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Wie viel Geld aus Rom kommt, hängt auch davon ab, wie viele andere Städte entsprechende Ansuchen stellen. Die Bearbeitungszeit für diese beträgt rund ein Jahr. Bozen wird also erst Ende 2020 erfahren, mit wie viel Mittel aus Rom zu rechnen ist. Und dann stellt sich gegebenenfalls die Frage, ob das Land und die Stadtverwaltung bereit sind, weitere Eigenmittel bereitzustellen.
Die Liste 5 Stelle war eigentlich eine Befürworterin einer Tram für Bozen, empfiehlt für die Volksabstimmung am Sonntag aber ein Nein. Einer der Gründe: Die Grillini sind für eine private Finanzierung des Vorhabens, so wie es der französische Staatskonzern RAPTDEV nach dem Vorbild Florenz der Landeshauptstadt angeboten hat. Doch das Land lehnte den PPP-Vorschlag, der Bau und Führung durch die Einbringer vorsah, ab. Der entsprechende Beschluss des Landes wurde von RAPTDEV vor dem Verwaltungsgericht angefochten.
- Wie schnell fährt die Tram?
Darüber ist in den vergangenen Wochen ein Streit zwischen Befürwortern und Gegnern entbrannt. Laut STA-Studie wird die Linie 1 vom Bahnhof zum Spital 19 Minuten Fahrzeug benötigen, die Linie 2 nach Sigmundskron 21 Minuten. Die Lega, die größte Oppositionspartei in Bozen, geht von einer Fahrzeit bis zum Krankenhaus von nicht weniger als 46 Minuten aus. Mehr als das Doppelte. „Die 20 Sekunden Haltezeit ist viel zu kurz bemessen, außerdem fährt die Tram entlang der Drususallee auf einer gemeinsamen Fahrspur mit Autos und Bussen. Da wird es zu Verzögerungen kommen“, sagt Fraktionssprecher Kurt Pancheri. Das Verkehrskomitee gegen die Tram hat die Strecke mit einem PKW abgefahren und geht wegen der zahlreichen Kreuzungen und Fußgängerübergängen von einer Fahrzeit zwischen Sigmundskron und Bahnhof von 40 Minuten aus. STA-Direktor Joachim Dejaco zeigt sich dagegen davon überzeugt, dass sich die angenommene Fahrzeit einhalten lässt: Die Tram erhalte an allen Kreuzungen eine Vorzugs-Ampel.
- Wer ist für die Tram, wer dagegen?
Erste Promotoren einer innerstädtischen Tram sind die Bozner Grünen um Verkehrsstadträtin Maria Laura Lorenzini. Sie haben das Projekt zu ihrer Bedingung für eine Regierungsbeteiligung in Bozen gemacht, die Regierungspartner PD und SVP sind da weniger enthusiastisch, haben aber Wahlempfehlungen für ein Ja bei der Abstimmung am Sonntag ausgesprochen. Bürgermeister Renzo Caramaschi wirbt seit Wochen für die Tram, auch weil ihm bewusst ist, dass die von ihm angestrebte Wiederwahl im kommenden Jahr auch vom Ausgang des Referendums abhängt.
Gewinnt das Nein, könnte es zu einer Regierungskrise in Bozen kommen. Mit den Grünen, die dem Bürgermeister die Unterstützung für die Wiederwahl verweigern. Die Landesregierung unterstützt das Tram-Projekt, ihre Vertreter haben bisher aber nicht auffallend aktiv für ein Ja beim Referendum geworben. Es besteht der Eindruck, dass die Tram-Befürworter auf eine niedrige Wahlbeteiligung am Sonntag hoffen. Die „Youth for Tram“, ein Zusammenschluss von Jugendorganisationen und Partei-Jugendgruppen, mobilisiert hingegen für ein Ja zur Tram.
Die Bozner Ratsopposition wirbt entschlossen für ein Nein, allen voran die Lega, die insbesondere die hohen Kosten ins Treffen führt. Letztlich ist das Referendum am Sonntag eine potentielle Gelegenheit, die aktuelle Stadtverwaltung im Hinblick auf die Gemeinderatswahlen im Frühjahr zu schwächen. Die Lega rechnet insbesondere mit Nein-Stimmen aus den bevölkerungsreichen Stadtvierteln wie Don Bosco oder Oberau-Haslach, die kaum von einer Tram profitieren würden.
- Was passiert, wenn das Nein gewinnt?
Auch darüber gibt es, wenige Tage vor der Abstimmung, angeregte Diskussionen: Ursprünglich hatte Bürgermeister Renzo Caramaschi erklärt, er werde das Ergebnis der Abstimmung auf jedem Fall respektieren, auch wenn es sich um ein beratendes (nicht bindendes) Referendum handelt. Am vergangenen Montag relativierte er seine Position etwas: Wenn die Wahlbeteiligung niedrig sei und das Nein lediglich knapp gewinne, müsse dies berücksichtigt werden. Die Stadtverwaltung könnte dann weiter an dem Tram-Projekt festhalten. Wenn das Nein bei hoher Wahlbeteiligung gewinne, sei das Vorhaben „für die nächsten Jahrzehnte“ gestorben, so Caramaschi. Die Tram-Gegner fordern hingegen die strikte Einhaltung des Abstimmungsergebnisses und werfen dem Bürgermeister „Arroganz“ in dieser Frage vor.
- Welche Rolle spielt das Quorum?
Am Sonntag sind knapp 70.000 Bozner, darunter auch alle Über-16-Jährigen, zur Abstimmung über das Tram-Projekt aufgerufen. Laut Referendumsgesetz aus dem Jahre 2018 gilt für ein beratendes Referendum ein Quorum von 25 Prozent. Das Ergebnis ist also allein offiziell gültig, wenn 25 Prozent der Wahlberechtigten abstimmen. Ob sich die Stadtverwaltung daran hält, ist allerdings eine andere Frage. Rein rechtlich ist sie dazu, weil es sich um ein beratendes Referendum handelt, nicht verpflichtet, politisch lässt sich das Ergebnis aber kaum ignorieren.
- Was passiert mit der geplanten Überetscher Bahn?
Gewinnt am Sonntag eindeutig das Nein, dürfte auch das Projekt gestorben sein, das den Bozner Tram-Bemühungen zugrunde liegt: Die Überetscher Bahn. Zwar versicherten Landeshauptmann Arno Kompatscher und Verkehrslandesrat Daniel Alfreider, dass die Planung dieses Vorhabens in das Bozner Projekt mit einbezogen werde. Einen Zeitplan für eine Verbindung von Sigmundskron und Kaltern gibt es bisher aber nicht. Das dürfte alles hinfällig werden, wenn die Bozner am Sonntag eindeutig gegen die Tram stimmen.
- Wo wird abgestimmt?
Die Volksabstimmung am Sonntag kostet die Gemeinde Bozen stattliche 200.000 Euro, 10.000 Euro davon allein für einen privaten Sicherheitsdienst, weil Finanzer und Carabinieri diesmal für die Bewachung der Wahllokale nicht bereitstehen. Demokratie kostet eben. Laut Gesetz muss das Referendum so abgehalten werden wie eine Gemeinderats-, Landtags-, oder Parlamentswahl. Deshalb werden am Sonntag alle üblichen 23 Wahllokale in den Schulen von 7.00 bis 22.00 Uhr für die Abstimmung bereitstehen. Die Wahlberechtigten müssen, wie üblich, ihren Wahlausweis mitbringen. Ausgezählt werden die Stimmen direkt nach Schließung der Wahllokale.
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