„Es fehlen 30-40 Meter“
Karlheinz Tschenett vom Hotel Baita Ortler am Stilfserjoch beobachtet seit Jahrzehnten den Rückgang der Gletscher rundum. Wann das große Schmelzen begonnen hat und wie es sich auf das Sommerskigebiet auswirkt.
von Karin Gamper
Umweltschützer haben am vergangenen Samstag am Stilfserjoch das Sterben der Gletscher betrauert. Mit Bannern, Gedichten und einem Requiem-Jodler.
„Davon habe ich gar nichts mitbekommen“, kommentiert Karlheinz Tschenett die Aktion „Requiem auf einen Gletscher“. Dabei kennt der Chef im Hotel Baita Ortler, gelegen auf rund 3.000 Meter Meereshöhe – die Situation wohl besser als jeder anderer. Seit mittlerweile fast vier Jahrzehnten verbringt Tschenett seine Sommer im Baita Ortler inmitten einer faszinierenden Gletscherwelt am Joch. Eine lange Zeit, in der er den Rückzug des Madatschgletschers aus nächster Nähe beobachten konnte. „Es war in den 1980er Jahren, als man erstmals eine Veränderung bemerken konnte“, sagt Tschenett. Im Laufe der Jahre sei die Eisdecke kontunuierlich geschmolzen. „Um 30 bis 40 Meter in der Höhe“, wie er sagt. Derzeit sei die Eisdecke im oberen Teil des Gletschers noch 60 bis 70 Meter dick. Im unteren Bereich etwa 20 Meter. Doch auch rundum seien die Gletscher sichtbar zurückgegangen. „Und die Trafoier Eiswand ist fast ganz verschwunden“, bedauert er. Auch seien vermehrt Felsstürze zu verzeichnen. „Es ist weltweit dasselbe Problem“, so der Wirt.
Doch welche Auswirkungen hat dies auf das Sommerskigebiet, das als eines von wenigen überhaupt noch offen hält und in dem jedes Jahr zahlreiche Skiprofis ihr Training absolvieren? „Es funktioniert noch“, sagt Karlheinz Tschenett, „auch wenn kein Mensch versteht, weshalb wir im Winter als einziges Gletscherskigebiet Europas trotz bester Schneeverhältnisse zusperren“.
Dabei gibt es nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels seit längerem Bestrebungen, die Stilfser Fraktion Trafoi und das Sommerskigebiet mit einer Seilbahn zu verbinden. „Trafoi würde aufgewertet und das Stilfserjoch sommers wie winters umweltschonenend und von der Passstraße unabhängig erreichbar sein“, betont Karlheinz Tschenett. Dadurch könnte die bekannte Serpentinenstraße mit Baujahr 1820-1825 auch häufiger für Veranstaltungen wie Radrennen gesperrt werden. „Dies alles wäre ökologisch und ohne großen Eingriff zu bewerkstelligen, da bereits Strommasten über das Joch führen und die Trasse daneben verlaufen könnte“, erklärt Tschenett. Die Terna-Leitung werde ohnehin demnächst potenziert, um die grenzüberschreitende Verbindung nach Mailand zu realisieren.
Doch so weit ist man noch nicht. Und im Nationalpark gibt es Widerstand gegen ein weiteres Bahnprojekt. Was Tschenett wiederum nicht verstehen kann: „Was bitte ist denn umweltfreundlicher als eine Seilbahn?“.
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Kommentare (2)
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vogelweider
Umweltschonender als ein Lift ist k e i n Lift.