„Gewisse Skepsis“
Was Stefan Pan, Vizepräsident des mächtigen Industriellenverbandes Confindustria, von der neuen italienischen Regierung hält, welche Chancen er für Südtirol sieht – und was er zur Enthaltung der SVP sagt.
Tageszeitung: Herr Pan, was halten Sie von der neuen italienischen Regierung?
Stefan Pan: Nachdem die Mittel beschränkt sind und man nicht alles gleichzeitig machen kann, muss Italien mehr denn je Prioritäten setzen und – im wahrsten Sinne des Wortes – haushalten. Daran wird die Regierung gemessen werden. Confindustria hat ganz klar die Prioritäten beschrieben, die notwendig sind, um das Land wieder aus der Stagnation herauszuführen. Das ist an erster Stelle die Entlastung bei Steuern auf Arbeit, damit Arbeitsplätze entstehen. Vor allem der Süden Italiens leidet chronisch unter Jugendarbeitslosigkeit. Weiters der Ausbau der Infrastrukturen. Italien hat die Investitionen in Infrastrukturen in den letzten zehn Jahren um 60 bis 70 Prozent zurückgefahren. Infrastrukturen sind der Garant für die Verbindung nach Europa – und ohne Anbindung haben wir nicht nur wirtschaftliche, sondern hinsichtlich der europäischen Integration auch politische Probleme. Zudem muss die Jugend in den Mittelpunkt gestellt werden, damit Jugendliche wieder an die Zukunft glauben können. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir ein riesengroßes gesellschaftspolitisches Problem. Beim vorgestellten Regierungsprogramm besteht eine gewisse Skepsis.
Inwiefern?
Die meisten Maßnahmen konzentrieren sich auf die Belebung des Südens. Zusammenhalt und Kohäsionspolitik sind wichtig, aber man muss versuchen, Stärken zu stärken. Der Motor Italiens sind die Unternehmen in Zentrum-Nord. Die geplanten Maßnahmen stärken nicht die Unternehmen, sondern sind sehr zentralistisch – etwa die angedachte Wiedereinführung einer Bank für den Mezzogiorno. Zentralistische Maßnahmen haben der Wirtschaft in Italien nie gut getan. Der Süden hat durchaus eine Chance, sich zu entwickeln, aber das geht nur, wenn man die Unternehmen in den Mittelpunkt stellt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das wird die große ideologische Glaubensfrage im Regierungsprogramm: Erkennt man, dass man nur verteilen kann, was man vorher erwirtschaftet hat – oder legt man den Fokus auf Dirigismus und Verteilungspolitik? Es gibt aber durchaus positive Ansätze.
Und zwar?
Wie durchsickert, soll etwa die Quote 100, die sehr viel kostet, in einem Jahr schon eingestellt werden. Positiv ist auch die Öffnung und das Bekenntnis zu Europa. Die letzte Regierung sorgte für großes Bauchweh und Sorgen nicht nur wirtschaftlicher Natur. Im europäischen Geiste eine Reformpolitik zu betreiben, die wieder den Fokus auf nachhaltige Arbeitsplätze setzt und vor allem der Jugend Perspektiven gibt, ist die große Herausforderung. Daran wird alles gemessen werden.
Glauben Sie, dass die Erzfeinde PD und 5-Stelle tatsächlich etwas zustande bringen?
Confindustria wird sehr wachsam sein, damit nicht etwas verteilt wird, was nicht vorhanden ist. Das würde in Europa große Bedenken schaffen. Es geht um Vertrauen. Kann man einer Regierung PD-5-Stelle Vertrauen schenken? Die erste Reaktion der Märkte war überaus positiv. Der Spread – der Fiebermesser, die Vertrauensskala – ist so tief wie seit langem nicht und lässt allein zwischen heuer und nächstem Jahr zehn Milliarden Euro an Zinsen einsparen. Das schafft etwas Luft in der Haushaltspolitik. Bleibt abzuwarten, ob die Regierung diesen Vertrauensbonus zu nutzen weiß. Bei den Unternehmen gibt es ein enormes Investitionspotenzial. Confindustria hat eine Studie dazu gemacht.
Das Ergebnis?
Man weiß, dass Unternehmen dann gern investieren, wenn Vertrauen vorhanden ist. Wenn das Vertrauen da wäre, dass es wieder aufwärts geht und nicht alle paar Monate bestehende Gesetze abgeändert werden, dann wäre das Investitionspotenzial der italienischen Unternehmen bei sage und schreibe 100 Milliarden Euro angesiedelt, ohne dass das Kreditprofil der Unternehmen verschlechtert würde. Wenn zudem endlich die Umsetzung des „Sblocca cantieri“-Dekretes erfolgen würde – das Starten der Infrastruktur-Baustellen –, würde das auf Anhieb 400.000 Arbeitsplätze generieren und die Verbindung zu Europa stärken. Das Potenzial ist also groß. Und die Prioritäten zu erkennen, ist nicht kompliziert. Es braucht nur den politischen Willen dazu. In den Wochen bevor die Regierung platzte, gab es Zusammenkünfte mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, und – das hat es noch nie gegeben – bei drei Punkten bestand vollkommene Übereinstimmung: die Reduktion der Steuern auf Arbeit, Investitionen in europäische Infrastrukturen sowie die Regelung des Mindestlohnes, die die Sozialpartner untereinander ausmachen sollen – und nicht über eine Intervention der Regierung.
Bei welchen wichtigen Themen sehen Sie die größten Schwierigkeiten, dass die Koalitionspartner auf einen gemeinsamen Nenner kommen?
Die schwierigste Herausforderung ist eine ideologische. So wie es auch in der Vorgängerregierung war, hat die 5-Sterne-Bewegung eine große Skepsis gegenüber Infrastrukturen und gegenüber der Leistung der Unternehmen. Es geht ihr eher um dirigistische Maßnahmen und die Stärkung des öffentlichen Bereiches. Was stimmt: Ein Land ist dann stark, wenn sich private und öffentliche Bereiche beidseitig ergänzen und stärken. Die Gretchenfrage lautet: Schafft man es, Italien durch Vertrauen auf Vordermann zu bringen, indem man die Kräfte stärkt, die durchaus gegeben sind – oder glaubt man, das dirigistisch machen zu können?
Was kann Südtirol mit dieser Regierung erreichen?
Südtirol hat die Chance, wieder einmal als Laboratorium dienen zu können. Wir haben etwa in der dualen Ausbildung ein sehr gut funktionierendes Modell. Nicht nur zufällig hat Südtirol die höchste Beschäftigungsrate von Jugendlichen – nicht nur italienweit, sondern wir bewegen uns im europäischen Spitzenfeld. Südtirol kann in ganz Italien Modellcharakter haben. In diesem Sinne ist die Südtiroler Politik gefordert, in der Haushaltspolitik weiter Freiraum für Investitionen zu schaffen und die laufenden Kosten nicht zunehmend steigen zu lassen. In diesem Laboratorium wird es mehr denn je wichtig werden, dass sich Autonomie nicht nur durch die unangetastete Funktion des Minderheitenschutzes kennzeichnet, sondern auch als Gesellschaftsmodell dient, indem gut verwaltet wird. Dafür ist der Fokus in besonderer Art und Weise auf Südtirol gerichtet. Die Autonomiediskussion ist noch voll im Gange und hat in Italien sehr großen sozialen Zündstoff. Als Confindustria-Koordinator der 20 Regionen spüre ich jeden Tag, wie viel Aufklärungsarbeit noch nötig ist, um zu erklären, dass eine Autonomie sehr gut funktionieren kann. Mehr denn je müssen wir aber auch zeigen, dass wir richtig gut haushalten, um auch in Zukunft investieren zu können.
Würden Sie als Südtiroler Parlamentarier für diese Regierung stimmen?
Der Ansatz, dass man sich postideologisch bewegt und Maßnahme für Maßnahme abwägt und bewertet, ist sicher ein gangbarer Weg von großem Pragmatismus. Bei der Komplexität der bestehenden Aufgaben kann das den konstruktiven Beitrag, den das Parlament geben kann, durchaus verstärken.
Die Enthaltung der SVP finden Sie also in Ordnung?
Sie ist durchaus nachvollziehbar.
Interview: Heinrich Schwarz
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