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„Einer Gehirnwäsche unterzogen“

Julia Unterberger mit Giuseppe Conte

Jetzt geht Julia Unterberger in die Offensive: Die Senatorin attackiert die Arbeitnehmer und verrät erstmals, wie Staatspräsident Sergio Mattarella und Ministerpräsident Giuseppe Conte um die Stimmen der SVP geworben haben.

Tageszeitung: Frau Senatorin, laut der Landtagsabgeordneten Magdalena Amhof konnte die SVP nicht für die Regierung Conte stimmen, da man – anders als bei den PD-Regierungen – im Vorfeld kein Abkommen mit autonomiepolitischen Zusicherungen abgeschlossen habe. Warum also ein unnötiges Risiko eingehen?

Julia Unterberger: Die Aussagen von Magdalena Amhof sind leider von A bis Z falsch. Bei den Konsultationen mit Sergio Mattarella und Giuseppe Conte war ich – im Gegensatz zu anderen persönlich – anwesend. Das Gegenteil von dem, was Amhof sagt, ist richtig.

Und zwar?

Mattarella hat unmissverständlich durchklingen lassen, dass es für ihn äußerst wichtig wäre, wenn die gesamte Autonomiegruppe einschließlich der SVP bei der Mehrheit wäre. Dies allein schon, um die Mitte zu stärken und ein Gegengewicht gegen die Linkspartei Liberi e Uguali darzustellen. Der Ministerpräsident Conte hat uns bei den Konsultationen gefragt, was er uns anbieten kann, damit wir das Vertrauen aussprechen. Wir hätten also ohne Probleme eine Wunschliste mit zehn Punkten vorlegen und ein Abkommen abschließen können. Wir mussten jedoch ablehnen und erklären, dass unsere Partei bereits entschieden hatte, sich zu enthalten. Das einzige, worum wir gebeten  haben, war ein klares Bekenntnis zu den Sonderautonomien im Regierungsprogramm und die Nichtanfechtung des Vergabegesetzes. Beides haben wir erhalten. Jetzt zu argumentieren, dass wir kein Vertrauen gegeben haben, weil nur ein Satz im Regierungsprogramm war, ist nicht nur absurd, sondern auch schlechter politischer Stil. So machen sich die Südtiroler unsympathisch!

Nicht nur Amhof, sondern auch die Kammerabgeordnete Renate Gebhard finden, dass Contes einer, allgemein gehaltener Satz zu den Sonderautonomien nicht ausreichend war …

Mehr als die Verpflichtung zum größtmöglichen Schutz der Sonderautonomien und sprachlichen Minderheiten kann man sich in einem allgemein gehaltenen Regierungsprogramm nicht erwarten. Vor allem hat uns Conte mündlich zugesichert, der Garant für obige Verpflichtung zu sein. Danach haben auch Riccardo Fraccaro, Dario Franceschini und Francesco Boccia absolut autonomiefreundliche Signale gegeben. Sie wären zu einem Abkommen bereit gewesen. Da es im Senat für die Mehrheit knapp zu werden drohte, hätten wir optimale Verhandlungsbedingungen gehabt. Jetzt ist es tatsächlich so, dass sich herausgestellt hat, dass es auch ohne unsere Stimmen zu einer Mehrheit gekommen ist.

Julia Unterberger mit Regionenminister Federico Boccia

Was bedeutet das für das Gewicht der SVP in Rom?

Wir werden zwar auch in Zukunft mit der Regierung zusammenarbeiten, aber unsere Verhandlungsposition ist natürlich nicht mehr die, die sie vorher gewesen wäre. Vor allem bei der Ausarbeitung des  neuen Wahlgesetzes ist es gefährlich, nicht am Mehrheitstisch zu sitzen. Aber was soll’s, über verschittete Milch zu sprechen? Wir werden uns bemühen, das Beste daraus zu machen.

Amhof macht darauf aufmerksam, dass Sie erst 2018 ins Parlament gewählt wurden und Ihnen daher das „historische Wissen“ über die vorangegangenen Legislaturperioden fehlen würde. Hat Sie Recht?

Wenn mir mangelndes historisches Wissen vorgeworfen wird, dann muss wahrscheinlich auch Karl Zeller bei den Damen Nachhilfeunterricht nehmen. Ich habe Magdalena Amhof immer sehr für ihre klare Haltung gegen die Bildung einer Regierung mit der Lega auf Landesebene geschätzt. Ich weiß nicht, welcher Gehirnwäsche durch die konservativen Herren aus dem Osten sie unterzogen wurde, jedenfalls scheint sie völlig falsch informiert zu sein. Überhaupt ist mir die Haltung der Führungsriege der ArbeitnehmerInnen schleierhaft.

Wie meinen Sie das?

Das Regierungsprogramm ist so sozial ausgerichtet, wie schon lange nicht mehr: Statt Steuersenkungen für Besserverdienende sind ausdrücklich Steuersenkungen für Arbeitnehmer und ein Mindestlohn vorgesehen. Die Regierung ist ausdrücklich proeuropäisch und wird in ganz Europa als Sieg über faschistoide und antieuropäische Kräfte gefeiert. Wie kann man da, noch dazu mit einer Argumentation, die auf falschen Voraussetzungen beruht, nicht dafür sein? Wozu braucht es dann überhaupt noch einen sogenannten linken Flügel in der SVP?

Ist es nicht fahrlässig von der SVP, Contes Angebot auf ein schriftliches Abkommen abzulehnen, wo es noch dazu den Segen des Staatspräsidenten gehabt hätte?

Das sage ich ja! So weit über ein schriftliches Abkommen zu reden, sind wir gar nicht gekommen, weil wir schon abblocken mussten, als Conte uns aufforderte, ihm mitzuteilen, was wir wollen. Ich denke da an die A22, die Sprache der Ärzte, die ausländischen Kennzeichen, das alles hätten wir einfordern können. Ein schriftliches Abkommen wäre überhaupt kein Problem gewesen.

Julia Unterberger mit Sergio Mattarella

Gab es das Angebot auch schon vor 15 Monaten?

Damals hatten die 5 Sterne und die Lega eine breite Mehrheit und brauchten uns also nicht. Diesmal waren alle sehr nervös wegen den angekündigten Heckenschützen aus beiden Lagern. Dass es schlussendlich nur zwei werden würden – Gianluigi Paragone und Matteo Richetti – wusste man nicht. Vor allem aber hätten wir mit einer deklariert europafeindlichen Kraft wie mit der Lega nie und nimmer eine Koalition eingehen können. Bei den 5 Sternen ist der einzige Vorwurf die angebliche Autonomiefeindlichkeit. Diese hätte man ganz einfach auf die Probe stellen können, indem man Ihnen zehn für uns wichtige Punkte vorlegt. Die Minister Danilo Toninelli und Giulia Grillo, mit denen wir die größten Schwierigkeiten hatten, gibt es nicht mehr. Und man darf auch nicht das Verhalten der 5 Sterne heranziehen, als sie noch zum PD und zu uns in Opposition standen. Das sind normale Dynamiken zwischen Opposition und Mehrheit. Sogar der PD hat es geschafft, die alten Feindseeligkeiten zu überwinden.

Die Lega auf Landesebene hätte einen Schulterschluss zwischen SVP und den neuen Regierungsparteien als Affront verstanden und bei Matteo Salvini protestiert. Wie schnell die Leghisti beleidigt sind, hat man beim 5G-Antrag im Landtag gesehen. Hätte die SVP mit einer Zustimmung zu Conte nicht die Koalition auf Landesebene gefährdet?

Die Lega hat jetzt in Rom nichts mehr zu sagen, da hätten sie lange bei Salvini protestieren können. Und im Landtag wären theoretisch auch andere Mehrheiten möglich, wenn sie mit einem Bruch gedroht hätten. Auch das ist also kein Argument.

Interview: Matthias Kofler

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