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„Strache war nie reumütig“

 

Der renommierte Politikwissenschaftler Peter Filzmaier über Ähnlichkeiten zwischen Salvini und Jörg Haider – und über die Nachbeben der Ibiza-Affäre.

Tageszeitung: Herr Filzmaier, nach Monaten der Stille äußert sich der frühere Vizekanzler Heinz-Christian Strache jetzt erstmals in einem großen Interview zur Ibiza-Affäre. Nach wie vor weist er jegliche Vorwürfe zurück. Er sagt: „Wenn ich diese Bilder sehe, so weiß ich: Das bin nicht ich.“ Ist das glaubwürdig?

Peter Filzmaier: Heinz-Christian Strache war eigentlich nie reumütig und jetzt ist die Einsicht noch geringer geworden bzw. mittlerweile sind wir bei Null angelangt. In seiner Rücktrittsrede hat er ja von der Reihenfolge her zunächst alle anderen beschuldigt, er sah sich ja sogar als Opfer von einer Verschwörung, die möglicherweise von Geheimdiensten gesteuert wurde. Und erst im zweiten Teil seiner Rede hat er sich entschuldigt, dabei aber auch nicht bei der Bevölkerung oder den Wählern, sondern bei Parteikollegen und seiner Frau. Jetzt, wo bereits einige Zeit vergangen ist, sind nur noch Beschuldigungen übrig geblieben. Auch im neuen Anlassfall, es laufen ja gerade Ermittlungen wegen Postenschacher bei den Casinos Austria, unterstellt er quasi der Justiz und der Polizei, Amtsmissbrauch zu betreiben, denn die würden nicht seriös ermitteln, sondern ihr Amt aus politischen Motiven missbrauchen. Nichts anderes ist sein Vorwurf. Er wendet also, gewollt oder ungewollt, eine Propagandatechnik an, nämlich auf die so schwerwiegenden Vorwürfe gar nicht erst einzugehen, sondern Gegenattacken gegen jeden zu starten. Das ist also weit mehr als nur eine Täter-Opfer-Umkehr. Überrascht bin ich darüber aber nicht, Strache hat ja bereits auf seiner Facebook-Seite in den letzten Monaten immer wieder gezeigt, dass er nicht einsichtig ist. Dort hat er immer wieder davon geschwärmt, welche coolen Sprüche er in Ibiza gesagt hat und wie stolz er doch ist. Er hat dort auch keinen Hehl daraus gemacht, was er von Journalisten hält.

Steckt da auch eine gewisse Strategie dahinter, wenn Strache sich so verhält?

Wenn es eine Strategie ist, dann ist sie sicherlich nicht im Sinne der FPÖ. Denn die FPÖ will ja das Thema Ibiza und Strache auf keinen Fall im Wahlkampf haben. Wenn er Serieninterviews gibt, dann ist das gegen die Interessen der FPÖ. Persönlich kann es durchaus eine Strategie sein. Die Propagandatechnik des „Whataboutism“, die Strache hier anwendet, also gar nie auf Vorwürfe einzugehen, sondern immer nur andere zu attackieren, ist von den Sowjets erfunden worden. Immer dann wenn der Kommunismus von der westlichen Welt kritisiert wurde, hat man nicht auf die Vorwürfe reagiert, sondern vielmehr Gegenattacken gestartet. Das beherrscht Strache wunderbar. Das ist übrigens das gleiche Schema, das Putin heute macht.

Ist Strache also für die FPÖ ein Dorn im Auge?

Ja, das kann man so sagen. Je mehr Strache in der Öffentlichkeit auftritt, desto schwieriger ist es für die FPÖ in die Regierung zu kommen. Im Interesse der Bundes-FPÖ wäre es sicherlich, dass Strache einfach mal still ist. Denn man darf nicht vergessen, dass nicht nur Strache alle politischen Ämter verloren hat, sondern auch die FPÖ alle bundespolitischen. Die FPÖ hat die Regierungsbeteiligung verloren. Norbert Hofer, Straches Nachfolger ist auch intelligent genug zu wissen, dass er ohne Strache nach wie vor Minister und Bundespräsidentschaftskandidat wäre, durch diesen Skandal ist das aber in weiter Ferne. Der Schaden für die FPÖ ist also massiv.

Diese Propagandatechnik des „Whataboutism“, die Sie vorhin angesprochen haben, kennt man auch von anderen rechtspopulistischen Parteien. Ist das also kein Einzelfall?

Nein, das ist eine übliche Strategie. Wenn man diese Technik als Ablenkungsmanöver einsetzen würde, wäre es irgendwie noch nachvollziehbar. Bei Strache, aber auch bei anderen Rechtspopulisten ist es so, dass Gegenangriffe oft gestartet werden, ohne dass man überhaupt Belege dafür hat.Wird eine seriöse Quelle genannt, die das bestätigt? Bei Strache ist das zum Beispiel aktuell nicht der Fall. Es wird einfach unterstellt, Justiz und Polizei würden Amtsmissbrauch betreiben, ohne dafür irgendeine Quelle zu haben. Das ist natürlich übler Populismus. Zugleich wird damit pauschal Kritik geübt. Die Rede ist von: „die Polizei“ oder „die Justiz“, es wird aber nichts Konkretes genannt. Diese pauschale Verurteilung ist auch typisch für Rechtspopulisten.

Was halten Sie eigentlich von der Art Salvinis Politik zu machen?

Ich sehe bei Salvini vor allem Ähnlichkeiten mit Jörg Haider, mit dem der Aufstieg der Rechtspopulisten in Österreich begann. Dieser ist auch, ähnlich wie Salvini, auf jeder Stimmungswelle gesurft und hatte dabei gar keine Skrupel, jegliche Stimmung im Land auszunutzen. Andererseits steckte auch immer eine gewisse Strategie dahinter. Diese Mischung aus emotionaler Triebtat und ganz klarer Strategie sehe ich auch bei Salvini. Zugleich sind beide unberechenbar, man wusste bei Haider nie ganz genau, was seine nächste Aktion sein wird. Insgesamt würde ich sagen, man soll Salvini, wie viele andere Rechtspopulisten nicht unterschätzen, indem man nur sagt, der surft ja nur auf Stimmungswellen, denn da ist auch Strategieplanung dahinter. Man soll ihn aber auch nicht überschätzen, denn es zeigt sich immer wieder, dass die Pläne nicht immer wirklich durchdacht sind. Salvini hat zum Beispiel nicht ganz durchdacht, welche Folgen es hat, wenn er versucht die Koalition zu sprengen. Denn laut der Verfassung bedeutet es nicht, dass es automatisch Neuwahlen gibt.

Ist das auch gefährlich?

Ja, es ist immer dann gefährlich wenn ich den demokratiepolitischen Grundkonsens verlasse oder auch gegen internationale Rechtsbestimmungen handle, wie es Salvini ja tut.

Eine andere Frage: Warum haben sozial ausgerichtete Parteien in Europa derzeit kaum eine Chance?

Erstens wurde jahrelang die öffentliche Debatte von klassischen Rechtsthemen bestimmt. Das sind vor allem die Themen Zuwanderung und Sicherheit. Diese wurden sozusagen den rechten Parteien überlassen. Aber auch was das neue Top-Thema Umwelt anbelangt, schafft es die Sozialdemokratie nicht, die Menschen damit zu erreichen. Das ist wiederum kein Thema, wo die Sozialdemokratie die Themenführerschaft hat. Selbst mit den eigenen Themen, wie etwa Bildung, Gesundheitsversorgung, leistbares Wohnen, kommt sie nicht an die Wähler heran. Sie ist zu wenig glaubwürdig. Deshalb muss sich die Sozialdemokratie schon selbstkritisch fragen, warum hört uns keiner zu? Es ist leicht zu sagen, die bösen Rechten oder die bösen Medien. Vielmehr müssten sich die Sozialdemokraten damit auseinandersetzen, ob man hier nicht an Themenkompetenz, an Glaubwürdigkeit und Authentizität verloren hat. Wenn Rechtspopulisten nur oberflächliche Parolen verbreiten, dann wäre es ja leicht, diese zu entlarven. Nur muss ich einfach kompetenter sein. Laut derzeitigem Stand sind die Sozialdemokraten das aber nicht.

Ende September wird in Österreich ein neuer Nationalrat gewählt. Diese Wahl ist für Südtirol natürlich auch immer wichtig. Laut aktuellen Umfragen wollen die Menschen mehrheitlich wieder eine türkis-blaue Koalition (ÖVP und FPÖ). Das Ibiza-Video und seine fatalen Folgen scheint viele Wähler mittlerweile kalt zu lassen…

Von allen Varianten wollen relativ gesehen die meisten Türkis-Blau, das stimmt. Man kann es aber auch umgekehrt sagen, mindestens zwei Drittel sind mit dieser Konstellation unzufrieden. Das Kuriose an der ganzen Sache ist aber, dass es nur zwei sich mit an Sicherheit angrenzender Wahrscheinlichkeit ausgehende Zweiervariante für eine Koalition gibt: Zwischen ÖVP und FPÖ oder ÖVP und SPÖ. Das sind genau die Varianten, die erst vor kurzem geschieden wurden, die also im Grunde keiner will. Eine andere Möglichkeit wird es womöglich nicht geben.

Es ist nur schwer vorstellbar, dass ÖVP und FPÖ sich nochmal an einem gemeinsamen Tisch setzen würden, geschweige denn eine Koalition eingehen – wenn man bedenkt, was alles passiert ist…

Das ist nicht auszuschließen, auch aufgrund dem Mangel an Alternativen. Denn Sebastian Kurz hat ansonsten die Alternative mit den Sozialdemokraten, von denen er sich selbst vor zwei Jahren getrennt hat. Damals sagte er wortwörtlich: „Es soll niemand glauben, dass das nochmal funktionieren könnte.“ Und was man wissen muss, Sebastian Kurz ist politisch groß geworden, in der Schlussphase der früheren Koalition mit der SPÖ. Er hat also nicht die persönliche Erfahrung des Wiederaufbaus der Republik im vorigen Jahrhundert, sondern nur Erfahrungen gegen Ende der Koalition, wo es nur mehr eine Politik des letzten gemeinsamen Nenners war. Also Sebastian Kurz ist da sehr negativ eingestellt. Und die FPÖ ist inhaltlich ein viel billigerer Partner. Eine Zweier-Mehrheit mit Grünen oder Neos ist nicht ganz auszuschließen, aber doch nicht sehr wahrscheinlich. Eine Dreier-Variante mit Grünen und Neos ist auch eher unwahrscheinlich, weil man inhaltlich doch ganz andere Wege geht. Wirtschaftlich gesehen sind die Neos immer für mehr Markt und die Grünen für mehr Staat. Das Problem ist also, dass nach der Wahl eine Regierungsvariante herauskommt, die notgedrungen entsteht, weil die anderen Varianten noch schwieriger sind. Das ist natürlich keine gute Basis.

Interview: Eva Maria Gapp

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