Gefährliche Organzüchtung
Japanische Forscher wollen menschliche Zellen in Tierembryonen heranzüchten. Ist es ethisch vertretbar, Tiere als Ersatzteillager zu benutzen?
von Eva Maria Gapp
Tageszeitung: Herr Lintner, es klingt wie in einem Science-Fiction-Film: In Japan dürfen Wissenschaftler zukünftig lebensfähige Mischwesen aus menschlichen Zellen und Tieren erschaffen. Was war ihre erste Reaktion, als Sie davon gehört haben?
Martin M. Lintner: Meine erste Reaktion war, dass ich das aus tierethischer Perspektive höchst problematisch sehe. Dann muss ich zugeben, dass ich ein wenig überrascht bin, wie die Mitglieder verschiedener Ethikkommissionen auf dieses Thema reagiert haben. Der Vorsitzende des deutschen Ethikrates Peter Dabrock zum Beispiel oder die Österreichische Bioethikkommission stehen dem Vorhaben nicht so skeptisch gegenüber und sagen, dass dies ethisch relativ unbedenklich ist. Das hat mich doch ein wenig verwundert.
Worin sehen Sie das Hauptproblem?
Das größte Problem sehe ich darin, dass man hier Tiere heranzüchtet, die dann unmittelbar nach der Geburt getötet werden. Denn es geht hier dezidiert nur darum, das Tier auf die Welt kommen zu lassen, um es dann zu töten und in weiterer Folge dieses Mini-Organ zu entnehmen. Das soll dann einem Menschen implantiert werden. Es handelt sich hier also um die völlige Verzweckung eines Tieres. Es wird hergestellt und getötet, ohne dass man diesem Tier irgendeine Möglichkeit eines Lebens, geschweige denn eines artgerechten Lebens ermöglicht. Es ist die ausschließliche Betrachtung des Tieres unter Nutzenaspekten, sodass dessen Bedürfnisse und Ziele außer Acht gelassen werden. Das ist für mich nicht nur höchst bedenklich sondern im gesellschaftlichen Kontext auch sehr widersprüchlich. Denn auf der einen Seite reagieren immer mehr Menschen sehr sensibel darauf, was den Eigenwert eines Tieres anbelangt, sodass sie sogar von Tierwürde sprechen. Auf der anderen Seite soll hier ein Weg bestritten werden, der diesem Wert völlig widerspricht.
Dieses Vorhaben geht also einen Schritt zu weit…
Ja, ich sehe es als ethisch höchst bedenklich an, Tiere als Ersatzteillager zu benutzen. Viele befürchten auch, dass sich bei solchen Praktiken die menschlichen Stammzellen in den Tieren auch an anderen Stellen im Körper ansiedeln, wo das keineswegs erwünscht ist, zum Beispiel im Gehirn… Ja, das ist der nächste Punkt. Man weiß nicht genau, ob die menschlichen Stammzellen nicht weiter ins Hirn wandern und dort beispielsweise die Kognition der Tiere verändern. Auch wenn der japanische Forscher versichert, dass er in einem solchen Fall die Experimente sofort abbrechen würde, ist es trotzdem bedenklich.
Zugleich eröffnet sich damit die Frage, wie weit wir Tiere für die Gewinnung menschlicher Organe leiden lassen bzw. töten dürfen…
Man hat bereits mehrere Experimente gemacht. Ein Münchner Forschungsteam hat zum Beispiel Herzen von genmodifizierten Schweinen in Paviane transplantiert. Die Affen überlebten dann aber nur mehrere Monate. Sie sind daran gestorben, weil das Organ dann so groß geworden ist, dass es nicht mehr in den Organismus eines Pavians gepasst hat. Das heißt, die Tiere haben natürlich sehr darunter leiden müssen. Deshalb stellt sich für mich die Frage: Wie weit dürfen wir Tiere überhaupt verzwecken? Wenn es die einzige Möglichkeit wäre, um medizinischen Fortschritt zu erzielen, dann müsste man nochmal darüber diskutieren, aber das ist derzeit nicht der Fall. Es braucht nicht unbedingt Tiere, um der Organknappheit entgegenzuwirken. Es gibt alternative Forschungsmöglichkeiten bzw. Wege, die man stärker fokussieren könnte.
Also nimmt man das Tierleid in Kauf…
Ja, denn im Grunde ist es eine Totalverzweckung von Tieren und die Inkaufnahme von Tierleid, die nicht gerechtfertigt ist. Ich sage immer, es gilt sorgfältig abzuwägen zwischen dem Nutzen, den man erreicht, und die Mittel, die man dafür einsetzen möchte. Wenn dafür Tiere leiden müssen, obwohl es andere Möglichkeiten gibt, bin ich dagegen. Sie sagen es gibt alternative Forschungsmöglichkeiten bzw. andere Wege.
Welche wären das?
Ich würde sagen, dass es drei Bereiche gibt: Erstens müsste man in der Medizin die Pflege von Organen weiterentwickeln, sodass auch kranke Organe nicht ersetzt werden müssten. Hier bräuchte es sicherlich noch weitere Investitionen und medizinische Forschung. Dann müsste man auf gesellschaftlicher Ebene die Organspendebereitschaft weiter fördern, sodass auch Menschen von sich aus entscheiden, ihre Organe zu spenden. Die Bereitschaft der Menschen, nach ihrem Tod Organe zu spenden, ist nach wie vor nicht sonderlich ausgeprägt. Dann glaube ich, dass man den Forschungen im Bereich der Entwicklung von Organen durch Zellkulturen in Petrischalen mehr Geld zur Verfügung stellen müsste. Denn in diesem Bereich konnten schon gewisse Fortschritte erzielt werden.
Wie stehen Sie dann eigentlich zu Tierversuchen? Noch immer sterben Millionen Nager, Fische, Mäuse und Vögel im Dienste der Wissenschaft…
Wenn es die einzige Möglichkeit wäre, zu neuen, für die Veterinär- und Humanmedizin wichtigen Erkenntnissen zu kommen, und das Leid dieser Tiere auf ein Minimum reduziert wird, dann würde ich es als ein notwendiges Übel in Kauf nehmen. In der Praxis ist es aber so, dass in vielen Fällen die Tierversuche mit großem Leid einhergehen, und dass sie im Grunde genommen nicht notwendig sind. Das sehe ich als sehr problematisch. Vor allem wenn Tiere für militärische Forschungen eingesetzt werden. Denn es ist hier einfach nicht notwendig. Hier werden auch die Tiere in ihrem Eigenwert verletzt.
Haben Menschen überhaupt das Recht, Tiere für diese Zwecke zu benutzen?
Beim Menschen sprechen wir immer von Würde. Da sagen wir auch, dass der Mensch immer auch als Selbstzweck geachtet werden muss und nie nur als Mittel. Und bei Tieren überschreiten wir die Grenze in manchen Fällen, weil wir sie wirklich bloß als Mittel verwenden. Deshalb stelle ich die Frage: Was gibt uns das Recht dazu? Ich teile die Positionen von jenen, die das immer mehr kritisch betrachten und sagen, wir haben dieses Recht nicht. Tiere haben auch einen Eigenwert, sie haben auch ein Lebensinteresse und sie haben Grundbedürfnisse. Wenn wir Tiere nutzen, dann aber nur unter der Bedingung, dies anzuerkennen. Oft ist es schwierig eine Grenze zu ziehen. Bedeutet das, dass ich überhaupt kein Tier mehr töten darf? Es gibt auch jene, die ganz eine radikale Grenze ziehen und sagen, wir dürfen überhaupt kein Haustier mehr halten – so weit gehe ich aber nicht. Wenn wir einem Tier ein artgerechtes Leben ermöglichen und es schmerz- und stressfrei töten, dann halte ich eine Nutzung dieses Tieres als ethisch vertretbar.
Es gibt auch Menschen, die sagen, ein gewisses Maß an Leid ist verantwortbar. Wie sehen Sie das? Ist ein gewisses Maß an Leid verantwortbar?
Das ist sehr schwierig, weil jede Leidzufügung ein Übel ist. Wobei es heutzutage möglich ist, durch Sedierung das Schmerzempfinden zu dämpfen. In der Forschung ist das aber in vielen Fällen nicht der Fall, weil es zu aufwendig sei oder weil man das Leben von kleinen Lebewesen zu wenig ernst nimmt. Bei Primaten sind wir sensibler geworden. Schmerzempfinden ist aber Schmerzempfinden, egal ob das ein großer oder kleiner Organismus ist. Das macht keinen Unterschied. Ich würde noch gerne auf die Forschung der japanischen Wissenschaftler zurückkommen.
Wie erfolgversprechend ist das Ganze?
Man weiß es noch nicht genau. Man setzt natürlich sehr viel Hoffnung in diese Forschung, aber ob es wirklich soweit kommen wird, dass man diese Organe in der Organtransplantation anwenden kann, wird sich zeigen. Wir haben in der Vergangenheit schon öfters gesehen, dass man sehr viel investiert hat in Forschungsbereiche, die ethisch höchst bedenklich sind, weil man sich den großen Durchbruch erhofft hatte. Ich denke da zum Beispiel an die Behandlung von degenerativen Erkrankungen durch embryonale Stammzellenforschung, ethisch höchst bedenklich, aber man hat es immer wieder damit gerechtfertigt, dass man dann Alzheimer, Parkinson und dergleichen heilen kann. Der große Durchbruch ist aber ausgeblieben. Das kann also auch hier passieren, dass man jahrelang forscht und unzählige tierische Embryonen verbraucht, aber dann drauf kommt, dass man doch nicht den gewünschten Erfolg erzielt.
Wie würden Sie sagen, steht die Gesellschaft zu dieser Debatte?
Ich denke mir, dass viele Menschen hier pragmatisch denken. Wenn es vielen Menschen einen Nutzen bringt, glaube ich, dass viele dem auch zustimmen werden. Jene Menschen, die hingegen sagen, dass Tiere Rechte und eine Würde haben, werden dies auch nicht befürworten. Die ganzen Tierrechtsbewegungen, die überraschenderweise noch keine Stellungnahme abgegeben haben, würden dies sicherlich ablehnen. Ich hingegen würde mich in der Mitte bewegen, weil ich sehr wohl sehe, dass es einen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt. Menschen haben eine Würde, Tiere haben einen Eigenwert. Aber nicht so, dass man sagt, jeder menschliche Nutzen rechtfertigt, dass wir mit den Tieren alles machen dürfen.
Interview: Eva Maria Gapp
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Kommentare (2)
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andreas
Na ja, Millionen Schweine werden dazu gezüchtet, um sie zu essen und Millionen männliche Kücken lebendig geschreddert, da man sie nicht brauchen kann und eine Betäubung zu teuer ist.
Tierethik, welche anderswo millionenfach mißachtet wird, kann also kein Grund sein.
Eher die menschlichen Zellen, welche aus dem Gezüchteten eine Mischung aus Mensch und Tier machen.
Wobei die Forschung nach dem „ewigen Leben“ die grundsätzliche Frage aufwirft, ob diese überhaupt Sinn macht.
Die Überalterung der westlichen Gesellschaft ist jetzt schon ein Problem, für welche noch keiner eine zukunftsfähige Lösung gefunden hat.
Japan ist z.B. ein Paradebeispiel, wo alte Menschen mit Roboterunterstützung noch arbeiten müssen, da zu wenig Junge sind und die Zuwanderung stark eingeschränkt ist.
Irgendwann hat jeder sein Leben gelebt, glaube aber nicht, dass es wirtschaftlich und für die Gesellschaft sinnvoll ist, dies bis 120 Jahren oder mehr rauszuziehen.
exodus
Für Herzoperationen werde schon „Ersatzteile“ des Schweines verwendet, mit Erfolg.