Harry ist tot
Der (damals) minderjährige Flüchtling Harry, der die Leiterin des Brixner Aufnahmezentrums Wilma Huber attackierte, hat sich im Abschiebezentrum Brindisi das Leben genommen. Sein Anwalt kritisiert die hiesige Politik für ihren Umgang mit psychisch kranken Flüchtlingen.
Von Thomas Vikoler
Journalisten sind aufgerufen, über Suizid-Fälle nicht zu berichten. In diesem Fall ist eine Ausnahme mehr als berechtigt. Es geht um Harry E., einem Jungen aus Nigeria, der im Sommer nach Italien gelangt ist und im November vergangenen Jahres zum Gegenstand einer nationalen Diskussion wurde.
Und sich nun im Abschiebezentrum Restinco bei Brindisi in der Nacht von Samstag auf Sonntag das Leben genommen hat, wie die Initiative LasciateCIEntrare bekanntgibt. Das tragische Ende eines Boots-Flüchtlings, der zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in Südtirol, wie sich nachher herausstellte, minderjährig war.
Harry E. ist jener Asylwerber, von dem Innenminister Matteo Salvini am 11. November 2018 twitterte, er habe einige Tage zuvor Wilma Huber, die Leiterin des Brixner Flüchtlings-Aufnahmezentrums in der Schenoni-Caserne, „vergewaltigt“ („stupro“).
Offensichtlich eine Fake News, den Huber spricht in ihrer Strafanzeige gegen von einem sexuellen Übergriff und Körperverletzung, aber keineswegs von einer Vergewaltigung.
In wenigen Wochen hätte am Landesgericht die Vorverhandlung gegen Harry stattfinden sollen. Sein Bozner Anwalt Alessandro Tonon hatte bereits den Verteidigungsschriftsatz vorbereitet. Darin wendet er u.a. ein, dass das Landesgericht der falsche Ort für das Verfahren gegen Harry ist. Weil im Brixner Krankenhause, wo der Flüchtling in der Psychiatrie behandelt worden war, bei einem Röntgen an der Handfessel festgestellt wurde, dass er (damals) 16 Jahre alt war. Zum Tatzeitpunkt also 17, zum Todeszeitpunkt knapp 18.
Außerdem hatte ein Gutachter im Strafverfahren Harry „die Persönlichkeit eines fünfjährigen Vorschulkindes“ attestiert. Wegen seiner Herkunft aus einem kleinen Dorf in Nigeria habe er nach seiner Ankunft in Italien einen Kulturschock erlitten. Die Attacke gegen die Leiterin des Brixner Flüchtlingszentrums sei wohl nicht aus einem sexuellen Impuls erfolgt.
Alles nicht mehr verwendbar, denn Harry ist tot.
„Das, was mit ihm passiert ist, ist ein großer Skandal“, sagt Anwalt Tonon. „Die hiesige Politik kümmert sich nicht um Flüchtlinge mit psychischen Problemen, noch dazu minderjährigen. Alle waschen sich die Hände“. Es brauche in Südtirol dringend eine Einrichtung für derartige Fälle.
Diese harsche Kritik ist nachvollziehbar. Denn bereits nach der Verhaftung Harrys (wegen Widerstandes gegen die Carabinieri mehrere Stunden nach der Attacke gegen Wilma Huber) betonte man in der Brixner Psychiatrie, er benötige dringend einen Therapieplatz außerhalb des Spitals.
Der Verhaftete verbrachte rund eineinhalb Monate im Gefängnis von Trient in U-Haft und wurde dann auf freien Fuß gesetzt. Sein Anwalt sagt, er habe zu ihm daraufhin keinen Kontakt aufnehmen können, weil Harry als Obdachloser lebte. Wahrscheinlich um den Bozner Bahnhof, wo er u.a. von Wilma Huber gesehen wurde.
Vor rund zwei Monaten wurde der Flüchtling von der Polizei aufgegriffen und ins Abschiebezentrum nach Brindisi gebracht. Dies brachte Tonon beim Regierungskommissariat in Erfahrung, er selbst wurde über den Ausweisungsbefehl des Innenministeriums nicht informiert.
Die Initiative LasciateCIEntrare spricht von „malaccoglienza“ und fordert eine Autopsie von Harrys Leiche.
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Kommentare (44)
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tiroler
Ohne Schlepper und Refugeswelcome Klatscher wäre der Junge noch zu Hause in Nigeria. Odee gibt es dort Krieg?
andreas
Die Mentalität in Afrika ist die, je mehr Kinder, um so besser die Versorgung im Alter.
War in Südtirol Mitte des 20. Jahrhunderts nicht anders.
Das Problem der ab zweitgeborenen männlichen Jugendlichen ist dies, dass sie keine Perspektiven haben, da der Erstgeborene den Grund oder die Hütte bekommt und der Rest gar nichts.
Deshalb versuchen sie ihr Glück in Europa.
Vor Ort können sie sich nichts aufbauen, da der Westen jeglichen Ansatz beim Aufbau einer ertragreichen Landwirtschaft oder eines Handwerks durch seine Billigimporte unterbindet.
Wir verkaufen ihnen z.B. unsere Second Hand Kleider, bei welchen die dortige Textilindustrie bei den Preisen nicht mithalten kann oder stark subventionierte Milch- oder Fleischprodukte, welche in Afrika z.T. eine Drittel der dortigen Produkte kosten.
Zusätzlich erpresst die EU afrikanische Staaten die Zölle zu senken, damit europäische Großkonzerne noch mehr von dem subventionierten „Abfällen“ in den afrikanischen Markt drücken können und damit jeglichen Ansatz der Afrikaner, sich selbst zu versorgen, im Keim erstickt.
Wenn sich dann ein 16jähriger, voraussichtlich ohne Schuldbildung oder die leiseste Ahnung von Europa nach Europa aufmacht, um ein besseres Leben zu führen, ist das sehr mutig vom Jungen und eine Verzweiflungstat, verursacht durch die egoistische Politik des Westens.
Wenn dann noch ein zynischer anstandsloser Innenminister einem 17jährigen eine Tat unterstellt, welche er nicht begangen hat und dieser dafür auch noch bejubelt wird, zeigt das, dass unsere „westlichen Werte“, welche manche großartig verteidigen wollen, gar nicht mal so verteidigungswürdig sind….
jennylein
In Südtirol nimmt sich im Schnitt jede Woche ein Mensch das Leben. Jeder vierte davon im Alter zwischen 16 und 22. Macht sich da irgendein Journalist darüber Gedanken oder recherchiert über deren Schicksale?
andreas
Was hat die Diskreditierung eines 17jährigen von Seiten des Innenministers jetzt damit zu tun?
Dumm nicht, wenn nicht mal ein Innenminister sich den Folgen seines Handelns bewusst ist.
jennylein
Du wirst doch nicht tatsächlich glauben, dass Salvini dieser Selbstmord nicht komplett egal ist.
andreas
Ändert das etwas an seiner Verantwortung?
meinemeinung
in Italien einen Kulturschock erlitten ,was ist das, wenn man das Gesetze nicht beachtet und tun und lassen was man will?? auch und gerade ein Minderjähriger !!
Psychisch krank wird jeder der ein Problem hat vor unseren Gesetzen ,dafür sorgen die Verteidiger nicht die Ärzte.
Es tut mir leid um den Jungen aber Europa tickt nicht anders als Afrika wenn es ums Überleben geht.
noando
hat sich salvini schon dazu geäußert?
noando
für seine propaganda war ihm harry gelegen, oder? jetzt … ? du siehst in salvinis öffentlicher steinigung also kein fehlverhalten?
noando
ich mein ja nur, weil harry hat ja auch nicht salvini befummelt … in deinem sinne
andreas
@watschi + yannis +susi
Die Evolution ist wohl spurlos an euch vorüber gegangen.
Sitzt ihr eigentlich gerade gemeinsam in einer Höhle und haut euch die Keulen gegenseitig über die Birne?
arnold
Harry? Wen interessiert Harry?
andreas
Seine Eltern?