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Die Horror-Nacht der Maria B.

Nach der Vergewaltigung einer 15-jährigen Schülerin auf dem Talfer-Radweg in Bozen ist es nun im Vinschgau zu einer weiteren Gewaltattacke gegen eine Frau durch zwei dunkelhäutige Männer gekommen. Die Hintergründe.

von Artur Oberhofer

Die Wunden im Gesicht sind inzwischen vernarbt. Doch der Schock über das Vorgefallene sitzt bei Maria B. noch tief. „Ich realisiere jetzt erst langsam, was in jener Nacht passiert ist“, sagt die Frau aus dem Vinschgau.

Ein Gedanke quält die 39-Jährige ganz besonders:

„Ich bin eine gestandene Frau, ich habe mich nach Leibeskräften gewehrt, aber ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn eine junge Gitsch betroffen gewesen wäre.“

Nach dem Aufsehen erregenden Vergewaltigungsfall von Anfang Mai in Bozen, als eine 15-jährige Schülerin am helllichten Tag auf dem Talfer-Radweg vergewaltigt worden ist, hat sich nun im Vinschgau ein brutaler Gewaltfall zugetragen.

Die beklemmende Parallele: In beiden Fällen – sowohl in Bozen als auch im Vinschgau – fahnden die Sicherheitskräfte nun fieberhaft nach zwei dunkelhäutigen Tätern.

Was ist passiert?

Maria B., wohnt in einer Gemeinde im Vinschgau. Sie ist im öffentlichen Dienst beschäftigt. „Eine absolut seriöse Person“, das bestätigen auf Nachfrage auch die Carabinieri der zuständigen Dienststelle. In jungen Jahren war Maria B. auf Entwicklungshilfe in Burundi.

Dieses biografische Detail ist deswegen wichtig, weil die Täter im Fall der Frau aus dem Vinschgau höchstwahrscheinlich Ausländer sind. „Es waren Dunkelhäutige“, erzählt Maria B. Gleichwohl möchte die Frau vermeiden, dass ihr Fall zu einer rassistischen Geschichte aufgeblasen wird.

Maria B. will nur, dass – Zitat – „die Bevölkerung erfährt, was passiert ist und dass auch die Frauen im Vinschgau gewarnt sind, dass gefährliche Leute unterwegs sind“.

Der Fall beginnt am vergangenen Samstagabend. Maria B. nahm am Vormittag an einem Tennisturnier im oberen Vinschgau teil. Am Nachmittag feuerte sie die Männermannschaft aus ihrer Gemeinde an.

Nachdem sie mit Freunden eine Pizza gegessen und einen Pub besucht hatte, fuhr Maria B. gegen 23.00 Uhr nach Hause.

Es dürfte gegen 23.30 Uhr gewesen sein, als Maria B. von der Hauptstraße abfuhr, um zu ihrer Wohnung zu gelangen.

Im Verhör mit den Carabinieri schilderte Maria B. später ihren wahrgewordenen Alptraum:

„ … dort bin ich rechts eingebogen und habe vor der (…) Mittelschule zwei dunkelhäutige männliche Personen gesehen.

Ich wollte ihnen die Vorfahrt geben, aber diese sind stehengeblieben.

Somit bin ich dann rechts in die (…)-Straße hineingefahren und danach links in den Hofeingang meiner Wohnung.

Ich habe dann vor meiner Garage mein Fahrzeug (…) geparkt, meine Handtasche genommen und bin aus meinem Auto ausgestiegen.

In der Zwischenzeit habe ich auch meinen Hausschlüssel herausgenommen.

Ich machte die Autotür zu und wollte die hintere aufmachen, um meine Tennistasche herauszunehmen. In diesem Augenblick wurde ich von hinten niedergestoßen.

Den Schlag spürte ich auf meinem unteren Bereich des Rückens. Ich bin dann mit dem Gesicht und mit den Knien auf dem Boden aufgeschlagen, dabei habe ich mich verletzt.“

Im Verhör mit den Carabinieri und später auch im Gespräch mit der TAGESZEITUNG sagt Maria B., sie sei sicher, dass die beiden dunkelhäutigen Männer, die sie zuvor im Bereich der Mittelschule gesehen hatte, die Täter seien. „Ich habe mehrere Hände gespürt“, gab das Opfer bei den Carabinieri zu Protokoll. Gegenüber der TAGESZEITUNG sagt Maria B.: „Ich bin mir tausendprozentig sicher, dass die beiden Dunkelhäutigen es waren, denn sonst war da niemand in der Gegend.“

Die Frau aus dem Vinschgau beschreibt die Täter als „Schwarze“. Genaue Personenbeschreibung könne sie keine geben, denn – so Maria B. – „diese Personen sehen für mich alle gleich aus“.

Die einzelnen Sequenzen dieses brutalen Übergriffs sind in den vergangenen Tagen wie beängstigend-grelle und schmerzhafte Lichtblitze ins Maria B.’s Erinnerung zurückgekehrt.

Im Verhör gab die Frau an:

„Ich habe mich gewehrt, wie ich nur konnte und dabei laut um Hilfe geschrien. Leider hat es von der Nachbarschaft niemand gehört. Ich habe gestoßen und um mich geschlagen, bis die zwei Männer weggerannt sind.“

Die Verletzungen von Maria B. (Fotos: TZ/Privat)

Im Gespräch mit der TAGESZEITUNG fügt Maria B. noch hinzu:

„Es hat in jener Nacht geregnet. Einer der beiden Männer hat – als ich ihn bei der Mittelschule unter der Laterne habe stehen sehen – eine Kapuze getragen. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Als sie mich von hinten attackiert haben, habe ich mich mit allen Kräften gewährt, ich habe geboxt, getreten, wie wild um mich geschlagen. Ich könnte im Nachhinein gar nicht mehr sagen, wie lange dieser Kampf gedauert hat, ob es 30 Sekunden oder drei Minuten waren. Keine Ahnung.“

Irgendwann ließen die Männer von der stark blutenden und lauthals schreienden Frau ab.

Maria B. ist sich nicht sicher, aber sie glaubt sich zu erinnern, dass ein Auto vorbeigefahren ist (in dem möglicherweise wichtige Zeugen gesessen haben könnten). Vielleicht könnte dieses vorbeifahrende Auto die Täter in die Flucht geschlagen haben. Vielleicht waren es die verzweifelten Hilfeschreie und die massiven Abwehrreaktionen des Opfers, die die Täter verscheucht haben.

In jedem Fall: Nachdem die Männer von ihr abgelassen hatten, schleppte sich die 39-jährige Vinschgerin mit letzter Kraft in ihre Wohnung. Sie rief ihren Freund an, der kurz darauf in die Wohnung kam. Der Mann überredete die völlig verstörte Maria B., ins Krankenhaus zu fahren.

In der Notfallaufnahme wurde Maria B. behandelt. Und im Spital trafen kurz darauf auch die Carabinieri ein.

Maria B. stand dermaßen unter Schock, dass sie zunächst angab, sie wäre ausgeraubt worden. Dabei lagen Hand- und Brieftasche in ihrer Wohnung.

Heute, nachdem sie etwas Abstand gewonnen hat, ist die Frau überzeugt, dass die Männer es nicht auf ihr Geld abgesehen hatten, sondern dass sie ihr Gewalt antun wollten.

Maria B. im Gespräch mit der TAGESZEITUNG:

„Ich kann mich erinnern, dass ich im Zuge der tätlichen Auseinandersetzung irgendwann zu den Männern geschrien habe: ,Nehmt mein Geld, aber lasst bitte mich in Ruhe!‘ Im Nachhinein, je mehr Erinnerungen zurückkehren, bin ich mir sicher, dass die Männer mich wollten. Sie wollten mir sexuelle Gewalt antun.“

Maria B. sagt dies und schluckt tief. „Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ein 15-jähriges Mädchen …“

Sie bricht den Satz ab, deutet ein Lachen an. Richtig lachen kann sich noch nicht, weil die Narben auf ihrer Gesichtshaut spannen.

„Ich bin jetzt in psychologischer Behandlung“, erzählt Maria B. Etwas in ihr wehrt sich gegen den Gedanken, Anfang Juni wieder arbeiten zu müssen. „Bei meiner Arbeit habe ich mit Ausländern, mit Dunkelhäutigen zu tun“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich weiß nicht, wie ich reagieren werde …“

Ja, Entwicklungshilfe habe sie gemacht. „Eine schöne Zeit.“ Sie will auch nach dieser Horror-Nacht keine Hassgefühle gegen Ausländer aufkommen lassen. „Nur weiß ich nicht, wie ich auf der Arbeit reagieren werde, wenn plötzlich ein dunkelhäutiger Mann vor mir sitzt. Keine Ahnung.“

Eine Carabinieri-Kontrolle auf den Bozner Talferwiesen

Maria B. wirkt zwar gefasst. Doch niemand weiß, wie es in der jungen Frau aussieht. Wie sie dieses Trauma verarbeiten kann.

Hinzu kommt, dass es im Zuge der Ermittlungen einen Vorfall gegeben hat, der bei Maria B. eine gewisse Verunsicherung ausgelöst hat.

Nachdem die Carabinieri das Opfer noch in der Nacht befragt und auch Fotos von Flüchtlingen und Vorbestraften vorgelegt hatten, wurde Maria B. für den nächsten Tag, Sonntag, in die Kaserne bestellt.

Kurz vor Beginn des Verhörs bat der Stationskommandant die Frau in sein Büro.

Der leitende Beamte sagte zu der noch unter Schock stehenden Frau: „Ich würde Ihnen nahelegen, zu den Leuten im Dorf, die fragen, was passiert ist, nichts von den zwei Ausländern zu sagen, sondern ihnen einfach zu sagen, Sie sind mit dem Fahrrad gestürzt.“

Der Carabinieri-Maresciallo begründete dies damit, dass sich die im Vinschgau untergebrachten Flüchtlinge bislang tadellos verhalten hätten und es in den vergangenen zwei Jahren zu keinen Konflikten gekommen sei. Daher sollte man jetzt nicht eine kollektive Panik auslösen, so die Message.

Maria B. stand zu dem Zeitpunkt, als der Carabinieri-Maresciallo dies sagte, noch unter Schock.

Erst nach zwei Tagen habe sie sich die Frage gestellt: Bitte, warum soll ich sagen, ich wäre mit Fahrrad gestürzt? Warum darf ich nicht die Wahrheit sagen?

„Das große Problem war“, sagt Maria B. im Nachhinein, „dass ich plötzlich gedacht habe, die Carabinieri glauben mir nicht.“

Die TAGESZEITUNG hat mit dem Stationskommandanten gesprochen.

Der Tatort im Fall der 15-jährigen Schülerin

Dieser bestätigte, der Frau geraten zu haben, gegenüber Bekannten von einem Radunfall zu sprechen. Er begründet dies mit ermittlungstaktischen Gründen. „Wenn diese Meldung zu früh hinausgegangen wäre“, so der Maresciallo, „hätte man die Täter gewarnt, und wenn es sich um Flüchtlinge handelt sollte, dann hätten sich diese in den nächsten Zug gesetzt und wären aus dem Vinschgau oder aus Südtirol verschwunden.“ Auch habe er vermeiden wollen, dass im Vinschgau Sozialalarm ausgelöst würde, so der Stationskommandant.

Da der Vinschgau aber eine kleine Realität sei, habe sich die Nachricht vom Übergriff auf Maria B. verselbständigt. „Mittlerweile geht sogar die Mär einer Gruppen-Vergewaltigung um“, so der Stationskommandant, der gegenüber der TAGESZEITUNG auch klarstellt, dass er – Zitat – „dem Opfer hundertprozentig glaubt“.

Maria B. lobt denn auch die Arbeit der Ermittler: „Bereits in der Tatnacht sind sechs, sieben Beamte zu mir ins Spital und zu mir nach Hause gekommen, sie waren sehr hilfsbereit, und ich habe schon das Gefühl, dass sie alles tun, um den Fall aufzuklären.“

Was die Spuren im möglichen Fall von sexueller Gewalt im Vinschgau angeht, sieht es offenbar ähnlich dürftig aus wie im Fall der Bozner Schülerin: Zwar haben die Carabinieri den roten Pullover, den Maria B. in der Tatnacht getragen hat, gesichert, damit er im Speziallabor in Parma auf DNA-taugliches Material (Haare?) untersucht wird. „Wir verfolgen verschiedene Spuren“, sagt der Stationskommandant. Die Nachforschungen in den Flüchtlingsunterkünftigen hätten noch keine Ergebnisse erbracht.

Die Ermittlungshypothese im Fall der Vinschger Frau ist noch immer der Raubüberfall, auch wenn Maria B. keine Zweifel hat, dass die Tat sexuell motiviert war. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagt auch der Stationskommandant.

Die Carabinieri halten den Ball vermutlich auch deswegen flach, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Fall auf den Talferwiesen und im Vinschgau geben könnte. Es gibt bereits entsprechende Kontakte zwischen Polizei, die im Bozner Fall ermittelt, und den Carabinieri.

Maria B. ist froh, dass sie jetzt offen über das Geschehene sprechen darf: „Ich selbst werde über das, was mir passiert ist, schon hinwegkommen, mir ist wichtig, dass mein Fall anderen Frauen Warnung ist.“

Die Carabinieri bitten die Bevölkerung indes um Mithilfe.

Sie gehen nämlich davon aus, dass die zwei Dunkelhäutigen am vergangenen Samstagabend auch von anderen Vinschgern gesehen worden sein könnten.

 

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