Run the world (Girls)
Eine von Adam Budak und Sabine Gamper kuratierte Gruppenausstellung in der Galleria Doris Ghetta beschäftigt sich mit der Frage, welche Weiblichkeitsbilder Künstlerinnen entwerfen.
„Alles, was ich nicht weiß, bildet den größten Teil von mir: Dies ist meine Größe. Und damit verstehe ich alles. Die Dinge, die ich nicht weiß, machen meine Wahrheit aus.“ (Clarice Lispector)
„New Girl“ ist nicht nur der Name einer ebenfalls 2011 von Fox lancierten skurrilen Teenager- Komödie mit Jessica „Jess“ Day (Zooey Deschanel), einer sprudelnden Lehrerin Anfang 30, die nach Hause kommt, um ihren Freund Spencer mit einer anderen Frau zu finden und ihn sofort verlässt, um sich eine andere Bleibe zu suchen. Und genauso wenig ist Spice Girls nur der Name der erfolgreichsten und ikonischen Pop Girl Band aller Zeiten aus den 1990 Jahren, deren Star Geri Halliwell kürzlich meinte, Winston Churchill wäre das „originale Spice Girl” gewesen.
Am Horizont taucht ein neues „Mädchen“ auf, welches im Zuge des Aufbruchs der geschlechtsspezifischen Emanzipation die von Männern dominierten und heteronormativen Standards unserer Gesellschaft neu definiert. Der französische Philosophen Alain Badiou verkündet die Erfindung dieses neuen Mädchens: „Das neue Mädchen wird zu einer neuen Frau werden, (…), zu einer Frau, die mit ihrem ganzen Wesen an der symbolischen Schöpfung teilhat. Dieses Mädchen, das noch unbekannt ist, aber kommen wird, wird in der Lage sein zu verkünden, verkündet wahrscheinlich schon irgendwo in den Himmel, der keinen Gott mehr hat: Schöner Himmel, wahrer Himmel, schau, wie ich mich verändere! “.
Neben dem Verweis auf die Bildsprache von Pop-Ikonen, die einen sehr kraftvollen Diskurs innerhalb der Mainstreamkultur darstellt, bietet die Ausstellung „Run the World (Girls)“ eine alternative Möglichkeit, weibliche Identität zu ergründen und darzustellen. Die an der Ausstellung beteiligten Künstlerinnen decken Geschichten, Methoden und Wissen auf, die aus der Geschichtsschreibung getilgt wurden, sie tauchen in die Mythologie eines tiefen, uralten Wissens ein, um die Verbindung zwischen Mythos und Geschlecht auszuloten, in die gelebten Geschichten von Frauen durch die Jahrhunderte, die bis heute im weiblichen Körper und Geist abgespeichert sind. So erforschen sie neue Möglichkeiten von Geschlechtsidentitäten und öffnen dabei auch neue visuelle Horizonte.
Der Ausstellungstitel Run the World (Girls) suggeriert eine ironische Haltung, nicht ohne einen spielerischen Zugang an den Tag zu legen in Bezug auf das zeitgenössische Subjekt, das von einem kollektiven Wissen um allgegenwärtige Pop-Bilder kolonialisiert wird. Es entsteht eine Collage aus popkulturellen Referenzen, da sich das Projekt an der Schnittstelle zwischen Beyonces Modell von Wonder Woman und Chris Kraus verführerischem und sarkastischem Lob an die Männlichkeit befindet, und darauf abzielt, jene Angst zu erkunden, die von diesem Einfluss auf unsere einzigartigen Identitäten und unser soziales Verhalten hervorgerufen wird. Neue Mythologien stehen vor der Tür, da sowohl unsere Vorstellungskraft als auch unser tägliches Leben von den Phantasien neu ernannter Heldinnen und Göttinnen überwältigt werden, die unkompliziert zwischen Filmleinwand und Realität, zwischen unseren Träumen und den alltäglichen Bühnen pendeln.
In einem ironischen Spiel hinterfragen die Arbeiten die normative und alltägliche Kultur und setzen sich mit herkömmlichen Bildern und Fantasien auseinander. Solchen Konventionen stellen sich auf subversive Weise entgegen, indem sie die Idee eines transgressiven und ungehorsamen Körpers postulieren. Sie überschreiten so die starren Grenzen und sexuellen Stereotypen unserer Alltagskultur, um die weibliche Subjektivität als Modell einer in Bewegung befindlichen, nomadischen Identität darzustellen, wie sie etwa von Rosi Braidotti unter Bezugnahme auf die Philosophie von Gilles Deleuze beschrieben wurde. Run the world (Girls) hinterfragt auf sehr unkonventionelle Weise neues visuelles Terrain, um Modelle möglicher zukünftiger Identitäten zu schaffen, auch durch die Auseinandersetzung mit neuen Möglichkeiten in Technologie und Wissenschaft.
Die Ausstellung Run the World (Girls) beruht auf der Überzeugung, dass in psychosomatischen Diskursen und in der Wahrnehmung eines weiblichen Subjekts ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat; auch innerhalb einer neuen visuellen Formensprache, welche die weibliche Empfindsamkeit und Identität neu definiert; Es kündigt sich das Aufkommen eines neuen Mädchens an, die Geburt einer neuen Intimität, die das performative Selbst, die (geschlechtsbezogene) Identität als „Performance“ eines emanzipierten Subjekts betrachtet, und den Fokus auf die Darstellung eines fragmentierten und virtuellen Körpers legt, welcher gleichzeitig über-politisiert/hyper-sexualisiert und zombieartig desensibilisiert, absent und wunschlos ist. Die Künstlerinnen inszenieren das weibliche Selbst als psychotisches, transitorisches und spasmatisches Subjekt, erfinden seine Körperlichkeit neu, verstärken seine diskursive Sexualität und pendeln fieberhaft zwischen dem Drang nach Selbstermächtigung und einer Gleichzeitigkeit von Aktivismus und Nihilismus, wobei sie sich der Verletzlichkeit einer inhärenten Selbsterotik bewusst sind und der unmöglichen Unschuld eines neuen Körperregimes einer pharmakopornografischen Ära (Paul B. Preciado).
Die in der Ausstellung Run the world (Girls) eingeladenen Künstlerinnen ( Alketa Ramaj, Barbara Gamper, Barbara Tavella, Pakui Hardware, Sári Ember, Ursula Mayer, Valentýna Janů)tauchen ein in unsere alltägliche Realität und sind Teil eines Gewebes von Beziehungen, welche sie versuchen in eine starke Vision ihres Selbst zu integrieren. Sie zelebrieren die Metamorphose des weiblichen Körpers, indem sie Materialien, Körperorgane, Identitäten und Geschlechterrollen neu zitieren und zusammensetzen.
Im Laufe der Geschichte wurden Frauen oft mit Hysterie in Verbindung gebracht. Als der andere Teil einer in Körper/Geist gespaltenen Mentalität wurden sie in die Nähe des Animalischen gerückt und als emotionale und unkontrollierbare Wesen diffamiert. In dieser Ausstellung feiern die Künstlerinnen die Darstellung ihrer Emotionen als vitale und lebendige Form. Das Hysterische dient der Selbstermächtigung, sie meditieren über die möglichen emanzipatorischen Potenziale der Verschmelzung mit der Welt des nicht-Menschlichen, etwa Tieren, Pflanzen oder Maschinen, und hinterfragen dabei Geschlechterformationen als Wechselwirkung in einem verrückten Tanz der Begegnungen zwischen verschiedenen Lebensformen und Modellen in einem immer weiter verlaufenden, unvorhersehbaren Prozess.
Adam Budak & Sabine Gamper
Termin: Eröffnung am Freitag, 24. Mai um 19 Uhr in der Galerie Doris Ghetta, Pontives mit einer Performance von Barbara Gamper und Be van Vark Bis 20. Juli.
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