Zwiespältige Faszination
Albin Egger-Lienz und Otto Dix zeichnen in der Sonderausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ein eindrucksvolles Bild der Zwischenkriegszeit.
Der eine posthum von den Nationalsozialisten als „Bauernmaler“ für sich entdeckt, der andere von ihnen verhasst, verleumdet und seines Postens an der Kunsthochschule in Dresden enthoben. Albin Egger-Lienz und Otto Dix, beide vom Ersten Weltkrieg in ihrer kritischen Schaffens- und qualvollen Lebenswelt geprägt, zeichnen in der Sonderausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ein eindrucksvolles Bild der Zwischenkriegszeit. Einige von Dixʼ Meisterwerken, wie etwa „Die Irrsinnige“ (1925), sind zum ersten Mal in Österreich zu sehen.
Die bei dem Deutschen Otto Dix sexuell aufgeladene Figur der Witwe trifft in der Ausstellung auf die gequälten Kriegsfrauen des Tiroler Malers Albin Egger-Lienz.
Diese und weitere Begegnungen geben einen Einblick in die tiefen menschlichen Abgründe und existentielle Not, die das prekäre Leben der 1920er-Jahre prägten. PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen, erklärt:
„Beide Künstler erlebten den Ersten Weltkrieg auf unterschiedliche Weise: Dix kämpfte bis zuletzt an der Front, während Egger-Lienz die meiste Zeit als Kriegsmaler tätig war. Sie brachten ihre damalige Lebenswelt in einer kompromisslosen, kritischen Weise auf die Leinwand. Eine Gegenüberstellung der beiden zeichnet ein facettenreiches Bild der Kriegs- und Zwischenkriegszeit.“
Anstatt den Ersten Weltkrieg dokumentarisch abzubilden, kreierten Dix und Egger-Lienz universelle Ikonen des Leids und der Verwüstung, die bei der Betrachtung besonders berühren. Die aufwändige Präsentation ihrer Werke ist das Ergebnis einer fünf Jahre langen Vorbereitung.
Zwiespältige Faszination
Im ersten Bereich der Ausstellung wird eine zwiespältige Faszination für Krieg und Gewalt thematisiert, die die Kunstwelt zu Beginn des Ersten Weltkrieges prägte. „Wer sich Dixʼ farbenprächtigen Gemälden nähert, die ob ihrer künstlerischen Vollkommenheit imponieren, wird mit dem Grauen schonungslos konfrontiert. Menschen, die unvorstellbare Qualen erleiden, im Sterben liegen oder bereits tot sind, bevölkern die brutalen Bilderwelten. Dix gelingt es, den Abschaum auf ästhetische Weise zu verarbeiten. Ein gutes Beispiel dafür sind auch die auf den ersten Blick schwer erkennbaren Motive der Schwarz-Weiß-Grafiken. Erkennt man, womit man es hier zu tun hat, ist ein Entkommen nicht mehr möglich“, so Helena Pereña, Hauptkuratorin der Tiroler Landesmuseen und Kuratorin der Sonderausstellung. Dix sorgte dadurch zu Lebzeiten für Unbehagen, seine Kunst wurde sogar als „zum Kotzen“ beschrieben.
Frauenrolle zwischen Prostituierter, Witwe und Mutter
Im Obergeschoss der Ausstellung sind keine Leichenfelder mehr zu sehen, sondern die Hinterbliebenen in der Nachkriegszeit: Witwen und Prostituierte sowie Kranke und Kriegsversehrte. Juliette Israëls Ausstellungsarchitektur ordnet die verschiedenen Bereiche nach dem Vorbild einer Stadt an, die sich über Straßen und Kreuzungen erkunden lässt.
Als zentraler Knotenpunkt dient Dixʼ „Die Irrsinnige“ (1925), eine halb entblößte Witwe über deren Kopf feuerrote Dämonen kreisen. Sie vereint Leben und Tod, die eine Verbindung miteinander eingehen, die sich durch das gesamte Obergeschoss zieht. Der hagere Frauenkörper vermittelt Vergänglichkeit, während ihre herunterhängenden Brüste an die dürre alte Frau hinter der aufreizenden jungen Figur in der „Vanitas“ (1932) erinnern und damit auf den Verfall als Rückseite des prallen Lebens verweist.
„In den zutiefst existenziellen Darstellungen von Dix und Egger-Lienz treten Leben und Tod nie als Gegensatz auf, sie bedienen einander und treffen im ewigen Lebenskreislauf aufeinander. Dix erkennt dabei das radikal Menschliche im Sexuellen. Die Vergänglichkeit und die Vereinzelung des Menschen sind aber auch bei Egger-Lienz ein zentrales Thema“, so Helena Pereña.
Die Witwen stellen einen Schwerpunkt der Ausstellung dar. Dix gestaltete sie oft ähnlich wie die Prostituierten. Damit thematisierte er die zwiespältige Rolle der Frau in der Zwischenkriegszeit: Auf der einen Seite tritt sie als Witwe der im Krieg gefallenen Soldaten auf, deren prekäre Situation häufig in die Prostitution führte. Auf der anderen Seite blieb sie immer noch die Mutter, die für die Familie sorgte.
Egger-Lienz stellte die Witwen als „Kriegsfrauen“ (1918–22) mit verzerrten, maskenhaften Mienen dar. Sie erinnern an Klageweiber, denen Mitsprache und Mitwirkung an ihrer misslichen Lage entzogen wurde. Die Trauer um verlorene Männer und Söhne manifestiert sich in resignierten Gesichtern. Eine noch schärfere Nuance verlieh er ihnen, als er für „Die Mütter“ (1922–23) ein Kruzifix in die Stube legte und damit jeden Hoffnungsschimmer aus den Gesichtern der Frauen und des abgebildeten Säuglings radierte.
Proletarische Kunst
Die ikonenhafte, universelle Wirkung, die sowohl Egger-Lienz als auch Dix erzielten, zieht sich auch durch die Werke zu den Themen Arbeit und Industrie, denen ein eigener Ausstellungsbereich gewidmet ist. „Egger-Lienz reduzierte das Menschliche, von subjektiven Gesichtszügen bis hin zu auffälliger Kleidung, auf ein Minimum und verwendete zudem wenig Farbe. Damit bildete er Arbeiter und Bauern ab, ohne ihren individuellen Charakter zu offenbaren. Der Zweck steht klar im Vordergrund“,so Wolfgang Meighörner.
Als Egger-Lienz 1924 den Auftrag annahm, Lünetten für den Sitzungssaal der Industriellen in der Tiroler Handelskammer in Innsbruck zu gestalten, musste er zwangsläufig etwas konkreter arbeiten. Er beugte sich jedoch nicht den Wünschen der Auftraggeber, auch für die Längsseite des Saals Figuren darzustellen, sondern wählte eine menschenleere Fabrik. Auch in Dixʼ Werken ist das Thema Arbeit präsent, bei ihm steht jedoch das Milieu im Mittelpunkt. Trotz seines sarkastisch distanzierten Zugangs scheute er den Blick in die menschlichen Abgründe dabei nicht.
Die beiden Künstler im Porträt
Der Erste Weltkrieg prägte sowohl Albin Egger-Lienz als auch Otto Dix. Zum einen nahmen sie als kämpfende Soldaten beziehungsweise Kriegsmaler am Geschehen dieser Zeit teil, zum anderen erlebten sie die damalige Lebenswelt in ihrer zivilen Wirklichkeit mit der persönlichen Erfahrung von Vergänglichkeit, Schmerz, Angst, Wut und Trauer. Die Bilder beider Künstler zählen zu den eindrucksvollsten künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Krieg und dessen Folgen.
Albin Egger-Lienz – das Schicksal als universelles Thema
Albin Egger-Lienz, damals 47-jährig, meldete sich 1915 freiwillig zu den Tiroler Standschützen. Aufgrund von attestierten Herzbeschwerden musste er den Dienst jedoch nach nur zwei Wochen wieder abtreten und war von da an als ziviler Kriegsmaler tätig. Nach Ende des Ersten Weltkrieges war er in St. Justina bei Bozen ansässig, wo er Kontakt zur italienischen Kunstszene pflegte. Diese Erlebnisse t beeinflussten sein Werk, das durch Stille und Konzentration zutiefst emotional anspricht.
Viele der Hauptwerke dieser Zeit sind in der Ausstellung zu sehen. In „Der Krieg“ (1915/1916) und „Den Namenlosen 1914“ (1916) nehmen die Kriegstreibenden eine universelle Gestalt an. In „Finale“ (1918) zeigt er ein trostloses Leichenfeld, dem nichts hinzuzufügen ist, und in „Kriegsfrauen“ (1918-22) verdeutlicht er die missliche Lage der Frauen, die ihre qualvolle Situation und die Trauer um die gefallenen Männer und Söhne nur hinnehmen konnten. Ein Highlight ist die Gegenüberstellung von „Mütter“, „Pietà“ und „Auferstehung“, die die Allgegenwart des Todes in drei Werken abbildet.
Otto Dix – schonungsloser Beobachter der Weimarer Republik
Otto Dix meldete sich 1915 ebenfalls freiwillig zum Dienst und kämpfte bis Kriegsende an der Front. Seine schonungslosen Aussagen über den „ästhetischen Gehalt des Grauens“ sowie sein Schaffenswerk, ein gemaltes Zerrbild der Weimarer Republik, machten ihn zu einem von den Nazis verhassten und verleumdeten Künstler der Klassischen Moderne. Er wurde 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, seines Lehrstuhles an der Dresdener Kunsthochschule enthoben. Seine Werke – allen voran der „Schützengraben“ – wurden posthum als Antikriegsbilder interpretiert. Doch Dix sträubte sich gegen feste Zuschreibungen. Sein distanzierter Sarkasmus ist dabei allgegenwärtig.
Zu den bedeutsamen Werken, die in der Ausstellung zu sehen sind, zählen unter anderem Dixʼ Radierzyklus „Der Krieg“ (1924), darunter das leidenschaftlich klagende Werk „Totentanz anno 17“ und „Schädel“. Mit Hauptwerken wie „Die Irrsinnige“ (1925), „Witwe“ (1922), „Mieze“ (1923) und „Vanitas“ (1932) stellt auch er ein breites thematisches Spektrum der Kriegs- und Zwischenkriegszeit dar. Ein intimes Bilderbuch, das Dix 1925 mit biblischen Szenen für seine Stieftochter Hana gefertigte, wurde erst vor drei Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und wird ebenfalls ausgestellt.
ZUSATZINFORMATION ZUR AUSSTELLUNG
Die mit über 200 Exponaten bestückte Ausstellung ist der großzügigen Unterstützung internationaler Partner und Leihgeber aus den USA, Frankreich, Deutschland, Italien und Österreich, wie etwa das Centre Pompidou, die Kunsthalle Mannheim, das Kunstmuseum Stuttgart, die Staatliche Kunstsammlungen Dresden, das Buchheim Museum der Phantasie und das Belvedere, zu verdanken. Zudem wäre das Projekt ohne die großen Leihgaben-Konvolute aus dem Zeppelin Museum, dem Museum Schloss Bruck und dem Leopold Museum nicht realisierbar gewesen.
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