Die Energie-Lobbyisten
Der Südtiroler Energieverband zieht Bilanz – und fordert die Landesregierung zu einem stärkeren Engagement für kleine und mittlere Energiebetriebe auf.
Eine positive Bewertung der Verbandstätigkeit, Irritationen in der Beziehung zur Landespolitik und – daraus folgend – der Hinweis auf konkreten Handlungsbedarf: So lautet die Bilanz, die der Südtiroler Energieverband heute auf seiner Vollversammlung im EnergyTower in Bozen präsentierte. Der SEV vertritt 299 Mitglieder – 200 private Unternehmen, 27 Gemeinden und öffentliche Körperschaften sowie 65 Genossenschaften und sieben Konsortien – und hat sein Dienstleistungsangebot sowie sein Personal im Vorjahr noch einmal erweitert und aufgestockt.
Mit einer Schweigeminute gedachten die SEV-Mitglieder ihres 2018 verstorbenen Vizepräsidenten Georg Wunderer. Der frühere Obmann der Energie-Werk PradGenossenschaft hatte sich für eine dezentrale, bürgernahe und genossenschaftlich organisierte Versorgung mit erneuerbarer Energie „von daheim“ eingesetzt. „Georg Wunderers Tod bedeutet für uns alle einen großen Verlust. Es ist uns eine Verpflichtung, sein Wirken fortzusetzen. Wir werden ihn nicht vergessen“, sagte SEV-Präsident Hanspeter Fuchs.
Als Dienstleister und Lobbyist ist der SEV heute als einziger Verband in der Lage, sämtliche Bereiche der Südtiroler Energiewirtschaft abzudecken. Das weiß man inzwischen auch jenseits der Landesgrenzen: So ist der SEV in Südtirol zum akkreditierten Ansprechpartner für staatliche Institutionen avanciert. Konkret: Die Aufsichtsbehörde ARERA stimmt Regelungen, die Südtiroler Energiebetriebe betreffen, häufig mit dem SEV ab, bevor diese in Kraft treten.
Als Stromhändler bietet der Verband – neben dem Ein- und Verkauf an der Börse – Re-Buying und Re-Selling Verträge sowie den Aufbau von Strommarken an und öffnet seinen Mitgliedern den Zugang zu den Strommärkten. Der Bereich SEV-Trading betreut 78 Produktionsanlagen.
Der Umsatz im Stromhandel wird 2019 etwa 29 Millionen Euro betragen. Das Rechenzentrum des SEV übernimmt für Stromverteiler in Südtirol und Norditalien die Zählerfernauslese, das Datenmanagement, das Meldewesen und die Erstellung von Rechnungen für die Endkunden Ein umfassendes Service-Paket integriert jetzt Buchhaltung (ERP), Verrechnung und Energiedatenerfassung. Kleine und mittlere Akteure sind auf die Zulieferung von innovativen Diensten angewiesen. Der SEV hat diesen Know-how-Transfer sehr erfolgreich übernommen
Die „Mission“ ist seit der Verbandsgründung 2007 unverändert geblieben. Seit mehr als 100 Jahren produzieren und verteilen Genossenschaften, Stadtwerke und private Unternehmen in Südtirol Strom und Wärme aus erneuerbaren Energiequellen. Was die Energiepioniere im ländlichen Raum geschaffen haben, ist heute innovativ und zukunftsfähig. Als Dachverband will der SEV dieses wertvolle historische und zugleich moderne Erbe bewahren und fordert die Landesregierung zu einem stärkeren Engagement für kleine und mittlere Energiebetriebe, zur Weitergabe von Hintergrundinformationen und – vor allem – zur frühzeitigen Einbeziehung in Entscheidungsprozesse auf, wenn es um wichtige Fragen der Südtiroler Energiepolitik geht.
„In der Vergangenheit musste der SEV wichtige Gespräche mit der ARERA ohne die politische Rückendeckung aus der Landespolitik führen“, berichtet SEV-Direktor Rudi Rienzner. Das betrifft besonders die umstrittenen Regulierungsvorschriften für Südtiroler Fernheizwerke. So organisierte der SEV im Sommer 2018 im Fernheizkraftwerk Toblach-Innichen und bei den Stadtwerken Bruneck einen Lokalaugenschein mit Entscheidungsträgern der ARERA. Danach forderte die ARERA beim SEV – und nicht bei der Südtiroler Landesregierung – Datensätze über die Heizwerke an. Der SEV hat diese Daten bei seinen Mitgliedsbetrieben erhoben und weitergeleitet. Der Verband wird damit zum Energiebotschafter Südtirols: Inzwischen gehört der SEV – als einzige Vertretung aus Südtirol – einer Focus Group an, die sich im Austausch mit der ARERA an der Ausgestaltung von Regulierungsvorschriften für die Heizwerke beteiligt.
Die „Irritationen“ des Verbands betreffen auch die Debatte um das staatliche Förderdekret für erneuerbare Energien (FER), das Wasserkraftwerken den direkten Zugang zu Förderungen für Neubauten, Optimierungen und Renovierungsmaßnahmen verwehrt und die verfügbaren Fördermittel für neue Wasserkraftwerke mit einer Nennleistung von unter einem Megawatt im Vergleich zur früheren Regelung um 85 Prozent reduziert. Der SEV hatte in einer gemeinsamen Stellungnahme mit italienischen Fachverbänden frühzeitig seine „große Besorgnis“ in dieser Angelegenheit ausgedrückt ohne jedoch bei der römischen Ministerialbürokratie – und bei der eigene Landesverwaltung – Gehör zu finden. Rienzner: „Das Land hat viel zu spät reagiert. Gemeinsam hätten wir sicher viel mehr erreichen können.“
Ein anderes Beispiel: Am 18. Dezember 2018 – in seiner letzten gemeinsamen Sitzung – verabschiedete der damalige Landesausschuss „Richtlinien für die Gewährung von Beiträgen zur Förderung bestehender Fernwärmesysteme“, die am 1. Januar 2019 in Kraft getreten sind. Artikel 15 stufte die Mitglieder von Energiegenossenschaften als „Gesellschafter“ und die Genossenschaften als „Gesellschaften“ ein. Daher durften Genossenschaftsmitglieder, sobald Landesbeiträge für Arbeiten beantragt wurden, keine Aufträge „ihres“ Fernheizwerks mehr annehmen.
Der SEV hat gegen diese Bestimmung protestiert und sich zumindest teilweise durchgesetzt. Im April beschloss die Landesregierung eine neue Ausschlussregel. Diese gilt nur noch für Genossenschaftsmitglieder, die Verwaltungsaufgaben in „ihrer“ Genossenschaft ausüben. „Dieses Vorgehen hat zu Verunsicherungen geführt und das hätte man vermeiden können“, erklärt SEV-Präsident Hanspeter Fuchs. Deshalb wäre eine Zusammenarbeit schon bei der Erstellung von Förderkriterien oder Gesetzen gefragt. „Die Vorlage von Beschlüssen, die nur schwer oder gar nicht mehr geändert werden könnten, sei jedenfalls „nicht zielführend“.
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