Licht und Schatten
VieVox, ein Ensemble ehemaliger Wiener Sängerknaben unter der Leitung von Guido Mancusi, lässt in der Stiftskirche Neustift vier Werken zu einem einzigen Klang verschmelzen.
Wie „Licht und Schatten“ treffen in diesem Programm gegensätzliche Klänge aufeinander: Die Orgel, die fein nuanciert vom feinsten Hauch bis zum gleißenden Plenum anzuschwellen vermag; das Dunkel der Männerstimmen, das sich bis in helle Höhen steigert; und das Schlagwerk, das zart lispelnd, doch wenig später wuchtig und urgewaltig den Raum ausfüllt. Zuerst getrennt und einander gegenübergestellt, bewegen sich die Klangkörper schließlich aufeinander zu, um in vier Werken zu einem einzigen Klang zu verschmelzen.
Mit Prière vom oberösterreichischen Komponisten Rudolf Jungwirth beginnt die Reise im tiefen Dunkel der Kreuzigungsnacht. Als Inspiration dienten dem Komponisten die letzten Worte Jesu „Eli, Eli, lama asabthani“.Gleichsam als Meditation darüber ertönt mit Seele der Nacht ein a-cappella-Werk, das Wolfram Wagner für VieVox komponiert hat. Das Stück ist ein stetes Kreisen: ausgehend von einer langsam aus der Tiefe aufsteigenden Figur steigert es sich zum Forte, um endlich leise mit der Reminiszenz des Anfangs in einem siebenstimmigen Akkord zu verklingen.
Die Beschäftigung mit Vokalmusik war für den Wiener Komponisten Karl Heinz Füssl zeitlebens wichtig, mehr als die Hälfte seines Œuvres ist für und mit Stimmen konzipiert. Wenige Jahre vor seinem Ableben hat er die beklemmende Lyrik Georg Trakls für sich entdeckt und darüber einen sechsteiligen Werkzyklus für Tenorsolo, Frauen-, Männer- und gemischten Chor, Sprecherin, Schlagzeug und Orgel mit dem bezeichnenden Titel „Nähe des Todes“ verfasst, dessen Einzelsätze aber auch isoliert aufgeführt werden können und sollen. Die Motetten Im Osten(op. 54) und Grodek(op. 49) haben beide die gleiche Besetzung – Männerchor (der jedoch fast durchgehend unisono geführt wird), Schlagzeug und Orgel – und wurden, wie auch der komplette Zyklus, bisher nie aufgeführt. Mit ihrer herben Tonsprache sind sie ein gutes Beispiel für den Spätstil des Komponisten, der als Enkelschüler Arnold Schönbergs dessen Errungenschaften eigenständig weiterentwickelt hat, womit eine sehr persönliche Stellungnahme zur österreichischen Musik des 20. Jahrhunderts vorliegt.
Für das Stück Carillon des Anges dienteRudolf Jungwirth folgende Bibelstelle als Inspirationsquelle: … ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab… Seine Gestalt leuchtete wie der Blitz, und sein Gewand war weiß wie Schnee. Die Wächter begannen vor Angst zu zittern und fielen zu Boden. Der Engel aber sagte zu den Frauen: Fürchtet euch nicht!(Matth. 28, 2-5)
Der Text des Chorwerks Das Nordlicht ist der Novelle „Bergkristall“ von Adalbert Stifter entnommen, in der sich zwei Kinder in der Christnacht auf dem Weg zur Großmutter im Schnee und Eis des Gebirges verirren. Bevor sie von Helfern aus der ganzen Umgebung gerettet werden, erleben sie das seltene Naturphänomen eines Nordlichts. Der Ablauf der Komposition von Herwig Reiter, die ausschließlich jene Textstellen vertont, in denen das Nordlicht beschrieben wird, entspricht der Schilderung: aus rezitativischem Beginn schält sich allmählich bogige Vollstimmigkeit heraus, die „Zacken“ des Nordlichts sind durch das Auf und Ab einer von der Orgel kontrapunktierten, dem Jodeln angenäherten Zweistimmigkeit dargestellt und klingen mit einem kurzen Rezitativ aus.
Rudolf Jungwirth: Choralfantasie „Christ ist erstanden“. Der als Auftragskomposition der LIVA im Jahr 2018 entstandenen Choralfantasie „Christ ist erstanden“ für Orgel, Schlagzeug und Vokalensemble liegt das gleichnamige, aus dem frühen 12. Jh. stammende und damit älteste deutschsprachige Osterlied zugrunde.
Die Melodie wurde für die Komposition allerdings durch Setzung von Vorzeichen verformt. Allein die melodische Kontur blieb bestehen. Das Schlagzeug besteht neben Tamtam und Becken aus verschiedenen Trommeln, die durch ihre unterschiedliche Tonhöhe häufig melodisch eingesetzt werden und somit auf weiten Strecken in einen Dialog mit der Orgelstimme treten. Die verschiedenen Teile des Stücks verstehen sich als Meditationen über den Liedtext. Das Werk wird durch die drei von einem Vokalensemble gesungenen Liedstrophen in vier Abschnitte gegliedert.
Herwig ReitersVon der Freundlichkeit der Welt verbindet zwei Gedichte Bertolt Brechts. Das eher weihnachtliche „Auf die Erde voller kaltem Wind“ wird gesungen, das sozialkritische und zum Nachdenken anregende „Soll das heißen, dass wir uns bescheiden?“ wird gesprochen; dabei verdichtet sich die anfängliche Gegenüberstellung schließlich zu einer gemeinsamen Aussage.
Licht und Schatten, die zwei scheinbaren Gegensätze, die sich aber doch gegenseitig bedingen. Gott – der Schöpfer aller Dinge – entdeckt nach seiner Schöpfung, dass seine Geschöpfe Schatten werfen und ist begeistert. Der Schatten aber will nicht ein Ungeschaffener sein und mahnt Gott, seine Aufgabe als Schöpfer aller wahrzunehmen. Die Menschen sind verwirrt: Was ist nun Erstes, was Zweites? Statt mit einem Lächeln dieser Frage zu begegnen, schaffen sie sich die Theologie, die dogmatisch vorgibt, was zu glauben sei. Ein talmudisches Gleichnis zeigt die Freude am Gegensatz, die grenzenlose Bewunderung des Widerspruches, die musikalisch diese Aussagen zynisch und in tonaler Tonsprache unterstützt. Guido Mancusi schafft in seinem Auftragswerk, dogmatische Textteile mit operettenhafter Musik so zu untermalen, dass dem Zuhörer sofort klar wird, was gemeint ist und wie man darüber denken sollte. Das völlig unerwartete Ende gipfelt in einer paradoxen Fuge – als Sinnbild der Dogmatik; jedoch durch allerlei Ausnahmen wieder entstellt.
VieVox
VieVox, bestehend aus ehemaligen Solisten der Wiener Sängerknaben, umfasst acht Männer aus einer über 500jährigen Gesangstradition. Das Ensemble bietet Vokalmusik auf höchstem Niveau. Die acht Vokalartisten verstehen es eben, mit spürbarer Freude an der Musik ihr Publikum zu begeistern.
VieVox ist die lateinische Bezeichnung für „Gesang aus Wien“ (Vox Viennensis). Der Name wurde keineswegs zufällig gewählt, sondern ist ein Anhaltspunkt für das künstlerische Profil des Ensembles: Vokalwerke von großen Komponisten vergangener Epochen und Stücke mit explizitem Wien-Bezug sind üblicherweise Bestandteil jeden Konzertes. Vielseitigkeit ist nicht nur die Stärke der Künstlergruppe, sondern in der Auswahl des Repertoires auch das identitätsstiftende Motto. Bei Konzerten im In- und Ausland wird die Bandbreite immer wieder unter Beweis gestellt – von Motetten über Madrigale, Kunst- und Volkslieder bis zu bekannter Opern- oder Popmusik im maßgeschneiderten a-cappella-Kleid. Neben selten gehörten Stücken für Männerstimmen präsentiert das Doppelquartett auch immer wieder Neues. So wurden seit der Gründung 2010 über 40 Werke von 16 Komponistinnen und Komponisten (u.a. Heinz Kratochwil, Herwig Reiter oder Wolfram Wagner) uraufgeführt. In wenigen Worten lässt sich also sagen: VieVox ist eine dynamische Männer-Vokaltruppe aus Österreichs Hauptstadt.
Termin: Montag, 29. April um 20.00 Uhr in Neustift, Stiftskirche. Veranstalter sind die Brixner Initiative Musik und Kirche und das Festival Musica Sacra in Zusammenarbeit mit forum austriaco di cultura.
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