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„Bergsteigen ist egoistisch“

Die drei Ausnahmealpinisten David Lama, Hansjörg Auer und Jess Roskelley sind bei einem Lawinenunglück in Kanada ums Leben gekommen. Der ehemalige Extrembergsteiger Hanspeter Eisendle über Risiken und den Tod am Berg.

Tageszeitung: Herr Eisendle, warum waren die drei verunglückten Alpinisten so herausragend?

Hanspeter Eisendle: Die Alpinszene hat eine Geschichte. Leute wie Hansjörg Auer, dem eine unglaublich schwierige Route in der Marmolata-Südwand seilfrei und allein gelang oder David Lama, der den Cerro Torre im Freikletterstil bezwang, haben diese mitgeschrieben. Ihre Leistungen sind die logische Fortentwicklung des Abenteuer-Alpinismus. Diese Bergsteiger waren die Spitze des Alpinismus, weil sie neue Dimensionen eröffnet haben.

Inwieweit haben die Drei den modernen alpinistischen Geist verkörpert?

Sie stellen die kontinuierliche Entwicklung aus den klassischen Alpinisten dar, wie Hermann Buhl oder Reinhold Messner. Bei ihnen stand nicht der Schwierigkeitsgrad im Vordergrund, sondern wie sehr der Mensch im Stande ist, sich der wilden Natur des Bergs auszusetzen. Das funktioniert heutzutage nur in schwierigen, abweisenden Wänden. Das, was früher Spitzenalpinismus war, ist mittlerweile Tourismus geworden – Stichwort Everest.

Gerade David Lama hat bereits in jungen Jahren aus sportlicher Sicht alles erreicht, was man erreichen kann. Was treibt solche Spitzensportler an, in die Berge zu gehen und sich großen Risiken auszusetzen?

Ich denke, es ist die Neugier. David war ein sehr erfolgreicher Wettkampfkletterer, war dort so eine Art Wunderkind, ist dann aber auf den Alpinismus umgestiegen. Der Mensch sucht generell eine gewisse Bandbreite im Leben: Er testet seinen Spielraum, egal in welcher Disziplin. Die drei Ausnahme-Bergsteiger haben sich ziemlich nahe an der Rändern dieses Spielraums bewegt.

Viele Extremsportler beschreiben ihren Drang, an die Grenzen des Möglichen zu gehen, als sehr persönliche Erfahrung. Wie groß ist aber der Druck von außen, beispielsweise von Medien oder Sponsoren?

Gerade David und Hansjörg, die ich persönlich kannte, haben den richtigen Umgang mit der Öffentlichkeit und den Medien vorgemacht. Sie haben in den Bergen Außergewöhnliches geleistet, aber medial mitgeteilt haben sie nur das Relevante – sie mussten nicht jede einzelne Seillänge auf irgendwelchen Social-Media-Plattformen teilen. Sie haben ihre Abenteuer privat gemacht und wenn ihnen etwas ganz Außergewöhnliches gelungen ist, ist es an die Öffentlichkeit geraten. Das verstehe ich unter seriösem Spitzenalpinismus.

Wie schaut der Umgang eines Extrembergsteigers mit dem Tod aus?

Das ist ein theoretischer Zugang: Wir wissen alle, dass unser Leben mit dem Tod endet, wir wissen nur nicht genau wann. Menschen, die gefährlich leben, gehen mit dem Leben oft vorsichtiger und zurückhaltender um, als Menschen, die sich sozusagen in normalen Bahnen bewegen.

Wie sind Sie selbst in Ihrer Zeit als Extrembergsteiger damit umgegangen?

Der Mensch wehrt sich instinktiv gegen Tod und Schmerz. Bergsteigen ist eine Möglichkeit, sich ganz bewusst dagegen zu wehren. Der Berg ist im Grunde nichts als ein Widerstand, an dem der Mensch wachsen kann. Bei diesem Unfall in Kanada zeigt sich auch eine andere interessante Tatsache: Die Alpinisten sind nicht beim schwierigen Aufstieg umgekommen, sondern sind beim Abstieg von einer Lawine verschüttet worden, wie tausende Südtiroler auch, die am Wochenende zu Skitouren aufbrechen.

Hansjörg Auer hat sich einmal als „sehr fanatisch und egoistisch“ beschrieben. Wie egoistisch ist Extremsport?

Bergsteigen auf einem hohen Niveau ist absolut egoistisch. Im Moment der Aktion vergisst man die Welt. Man kann sich vorher überlegen, welche Risiken man eingehen will, aber wenn man klettert, ist kein Platz mehr für soziale Gedanken, das lässt sich nicht schönreden. Das Bergsteigen an und für sich ist ein Rückzug von allen sozialen Gedanken. Es ist die höchste Form des Egoismus. Zuhause kann man aber trotz allem ein sehr sozialer Mensch sein – das muss man einfach streng trennen.

Wird Alpinismus am Limit betrieben, spielen auch äußere Einflüsse wie das Wetter eine große Rolle. Inwieweit darf das eigene Leben von Glück oder Pech abhängen?

Im Grunde gehört das dazu. Das Einschätzen des Wetters oder der Lawinengefahr ist Teil des Spiels, genauso wie der Schwierigkeitsgrad. Die Frage, ob man sich dem aussetzen darf oder nicht, ist eine moralische. Menschen, die dem Bergsteigen alles andere unterordnen, haben ihre Entscheidung getroffen.

Was hat sich seit Ihrer Zeit als Extrembergsteiger verändert?

Die Fähigkeiten der Alpinisten. In den 60er Jahren war das Besteigen eines Achttausenders Spitzenalpinismus, heute werden schwierigere Wände, welche früher als unbezwingbar galten, von den Spitzenalpinisten bezwungen.

In welche Richtung wird sich der Alpinismus in Zukunft entwickeln?

Die Szene der Spitzenalpinisten kennt die letzten offenen Probleme. Die drei Ausnahmebergsteiger waren nicht zufällig in Kanada – da gibt es noch Wände, die einem alles abfordern. Für einen Spitzenalpinisten hat es keinen Sinn auf den Everest zu steigen, wenn es dort die Einsamkeit und Exponiertheit nicht mehr gibt. Für diejenigen, die danach suchen, gibt es noch viel Spielraum. Die Masse sucht hingegen gut abgesicherte, messbare Spitzenleistungen. Das war der klassische Alpinismus nie. Für mich war er immer mehr eine Kunstform als Sport.

Interview: Daniel Pattis

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