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Gefährliches Handy?

Foto: 123RF.com

Der Psychiater Manfred Spitzer befasst sich mit den Folgen der Digitalisierung für Kinder. Er warnt vor den Schäden durch Smartphone, Tablet und Co. – und vor digitaler Demenz.

Tageszeitung: Herr Professor, Sie haben am Freitag einer Konferenz in Bozen zum Thema „Digitale Demenz“ beigewohnt. Was versteht man unter digitaler Demenz?

Manfred Spitzer: Schon vor Jahren verzeichneten Ärzte im hochmodernen Industriestaat Südkorea bei jungen Erwachsenen immer häufiger Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen sowie emotionale Verflachung und allgemeine Abstumpfung als Folge von intensiver Nutzung moderner Informationstechnik. Sie nannten das Krankheitsbild digitale Demenz.

Ich selbst habe in meinem Buch „Digitale Demenz“ den ganz simplen Tatbestand gemeint, dass digitale Medien der Bildung in jungen Jahren schaden, die wiederum den größten Schutzfaktor vor einer Demenz im Alter darstellt. Beides ist bekannt. Der Gedanke ist also weder „radikal“ noch „neu“, sondern folgt aus bekannten Tatsachen.

Mobile Geräte wie Handys oder Tablets spielen in unserem Leben mittlerweile eine große Rolle. Vielfach verbringen Menschen mehrere Stunden pro Tag vor dem Smartphone. Ist das aus neurowissenschaftlicher Sicht gefährlich?

Man braucht gar keine Neurowissenschaft, um die Gefährlichkeit zu sehen. Die ganz normale medizinische Fachliteratur zeigt: Smartphones verursachen Kurzsichtigkeit, Angst, Depression, Demenz, Aufmerksamkeitsstörungen, Schlafstörungen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Haltungsschäden, Diabetes, Bluthochdruck und ein erhöhtes Risikoverhalten beim Geschlechts- und Straßenverkehr: Die Nutzung von sogenannten Geo-social Networking Apps fördert täglich millionenfachen Gelegenheitssex und damit eben auch die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Was den Straßenverkehr anbelangt, so wissen die Wenigsten, dass Smartphones mittlerweile bei jüngeren Verkehrsteilnehmern den Alkohol als Unfallursache Nummer 1 abgelöst haben.

Aber nicht nur Erwachsene nutzen Smartphones. Auch Kinder bekommen bereits zu Schulzeiten ihr eigenes erstes Handy mit Internetzugang. Die großen Fragen sind immer: Wann ist zu früh? Und: Wie viel ist zu viel?

Gegenfrage: Ab welchem Alter würden Sie Ihr Kind Allein auf die Reeperbahn schicken, um dort in die Kneipe zu gehen, wo sich bekanntermaßen Kriminelle treffen?

Manfred Spitzer (Foto: Universitätsklinikum Ulm)

Sie stehen der aktuellen Entwicklung also skeptisch gegenüber…

Ja, weil die Daten nun einmal so sind, wie sie sind.

Es geht in Ihrem Vortrag auch um die Risiken und Nebenwirkungen des Digitalen auf Gesundheit, Bildung und Gesellschaft. Und die positiven Aspekte?

Über die sprechen ja eh alle immer. Über die Risiken und Nebenwirkungen hingegen spreche nur ich.

Sie warnen vor den Folgen unseres digitalisierten Lebens. Was genau passiert mit Geist und Körper, wenn wir ständig auf das Smartphone starren und nicht mehr die Umwelt um uns herum wahrnehmen?

Die gesundheitlichen Nebenwirkungen habe ich bereits aufgezählt. Was unseren Geist, also auch unsere Bildung, anbelangt, so schaden Smartphones sehr, denn sie lenken ab. Man redet weniger miteinander, es herrscht mehr Misstrauen, Angst und Depressivität. Alle stöhnen, dass sie keine Zeit mehr haben, und alle verbringen ihre Zeit vor dem kleinen Bildschirmchen des Smartphones, nach dem viele schon süchtig sind – Eltern wie Kinder.

Auch an den Schulen ist der Einsatz von digitalen Geräten ein großes Thema. Viele sind der Meinung, dass man die neuen Medien in den Unterricht integrieren muss…

Wer dies tut, schadet nachweislich dem Lernen der Schüler. Wer anderes behauptet, hat die Beweislast. Ich kenne keine Studie, die gezeigt hätte, dass Smartphones die Noten verbessert hätten.

Wie könnte ein vernünftiger Umgang mit neuen Medien an den Schulen aussehen?

So ähnlich wie ein vernünftiger Umgang mit Blei oder Radioaktivität. Man weiß um die Schäden und schützt daher jungen Menschen davor.

Es geht aber schließlich auch um das Stichwort „Digitalkompetenz“, also den Kindern einen richtigen Umgang mit den digitalen Geräten zu erlernen…

So wird immer und überall geredet. Daher noch einmal: digitale Medien schaden der Gehirnentwicklung und führen zu gesundheitlichen Schäden einschließlich der Sucht. Alkohol auch. Daher betreiben wir ja auch kein „Alkoholkompetenztraining“ in Kindergarten oder Grundschule.

Kann man den aktuellen Entwicklungen überhaupt noch entgegensteuern? 

Es gehört zur Strategie einer sehr reichen Lobby, dass diese Frage dauernd gestellt wird – als fielen digitale Endgeräte wie Regen vom Himmel! „Das gibt es nun einmal“ – Unsinn, wir sollen das kaufen, mit privatem und mit öffentlichem Geld, obwohl es massiv schadet. Das ist der Skandal!

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (5)

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  • brutus

    Wenn man über diesen Herrn ein bisschen Recherche betreibt, kommt man drauf, dass er schon fast wie ein Sektenführer seine Ansichten in die Welt hinausposaunt. Seine Berufskollegen sind mehrheitlich ganz anderer Meinung über die Auswirkungen der digitalen Medien auf unsere Kinder.

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