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Der Anarchisten-Prozess

Im „großen“ Verfahren zu den Ausschreitungen am Brenner am 7. Mai 2016 dürfte ein Großteil der Angeklagten ein verkürztes Verfahren beantragen. Auch weil es keine Entlastungszeugen gibt.

Von Thomas Vikoler

Das Bozner Landesgericht bereitet sich auf einen der größten und „gefährlichsten“ Strafprozesse seiner jüngeren Geschichte vor. Die ersten Vorboten: Seit rund einem Monat steht am Gerichtsplatz tagsüber ein Radpanzer der Alpini, mehrere Soldaten überwachen die Lage vor dem Tribunal.

Denn am Freitag dieser Woche findet dort die Vorverhandlung im sogenannten großen Anarchisten-Prozess statt. Es geht um die Ausschreitungen am Brenner am 7. Mai 2016, wo gegen die Pläne der österreichischen Regierung zur Schließung des Passes demonstriert wurde. Gegen mehrere Dutzend Teilnehmer läuft am Landesgericht ein Hauptverfahren wegen leichterer Delikte.

63 Teilnehmern wirft die Staatsanwaltschaft schwere Straftaten wie Verwüstung und Plünderung (mit einem Strafrahmen von fünf bis 15 Jahren Haft), Körperverletzung, Widerstand gegen Amtspersonen, Verstoß gegen das Vermummungsverbot, Sachbeschädigung (auch die Uhr am Kirchturm am Brenner ist davon betroffen) und Nötigung (eines Kameramanns) vor. Die Anklage umfasst nicht weniger als 59 Punkte, als geschädigte Parteien scheint das Innenministerium, 17 verletzte Polizisten, die Gemeinde Brenner, RFI und die Autobahn A22 auf.

Neun der Beschuldigten sitzen derzeit wegen anderer Vorwürfe in U-Haft, zum Teil in Hochsicherheitsgefängnissen in Tolmezzo oder L`Aquila. Fünf von ihnen wurden im Februar im Rahmen einer großen Polizeioperation gegen die Trentiner Anarchisten-Szene verhaftet. Ihnen wird sogar vorgeworfen, eine Vereinigung zum Zwecke des Aufruhrs gegen die demokratische Ordnung gebildet und im Trentino auf Bahnlinien, Fernmelde-Umsetzer und das Lega-Parteibüro in Ala Anschläge verübt zu haben.

Weil ein Transport dieser Tatverdächtigen nach Bozen sicherheitstechnisch zu aufwändig wäre, wird für Freitag die Möglichkeit geschaffen, dass sie per Videokonferenz an der Verhandlung teilnehmen.

Der Trentiner Anwalt Giampiero Mattei, bekannt als Verteidiger von Peter Paul Rainer im Mordfall Christian Waldner, vertritt rund die Hälfte der beschuldigten Anarchisten. Und hat offenbar eine klare Strategie vor Augen: Ein verkürztes Verfahren, das ein relativ rasches Urteil mit einem Drittel Strafnachlass mit sich bringt.

Und zwar deshalb, weil die Beweislage ziemlich eindeutig scheint. Das von der Staatsanwaltschaft gesammelte Beweismaterial ist rund einen Meter dick. „Wir haben keine Zeugen, die meine Mandanten entlasten könnten, da hat es wenig Sinn, in ein Hauptverfahren zu gehen“, räumt Mattei ein. Richter Walter Pelino würde dann aufgrund des vorliegenden Verfahrensakts sein Urteil fällen.

Bereits jetzt steht fest, dass dies nicht am Freitag geschieht. Es kommt zu einer Vertagung, um allen Beschuldigten die Möglichkeit einzuräumen, den Verfahrensritus zu wählen. Die Sicherheitsvorkehrungen am Landesgericht werden garantiert groß sein.

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