„Die Menschen sind aufgewühlt“
ASGB-Chef Tony Tschenett stellt der Politik die Rute ins Fenster: Die öffentlich Bediensteten und auch die Privaten ließen sich nicht mehr vertrösten und wollten endlich mehr Geld sehen. Ansonsten könnte die Stimmung im Land kippen.
TAGESZEITUNG Online: Herr Tschenett, in Deutschland haben die Gewerkschaften erst vor wenigen Tagen mit den Bundesländern eine stufenweise Gehaltserhöhung von 8 Prozent für die öffentlich Bediensteten ausverhandelt. Wie viel Prozent fordern Sie für die 42.000 öffentlich Bediensteten in Südtirol?
Tony Tschenett: Wir fordern eine 10-prozentige Lohnerhöhung.
Sagt man: Wir wollen 10 Prozent, um dann 5 Prozent zu kriegen?
Nein. Und ich erkläre Ihnen auch, wie wir auf die 10 Prozent kommen.: Dabei handelt es sich um den Kaufkraftverlust von 2010 bis 2018. Es hat zwar im Jahr 2016 die Lohnerhöhung von 80 Euro brutto gegeben, aber dennoch beträgt der Kaufkraftverlust in diesen acht Jahren 10 Prozent.
Wie viel würde eine Lohnerhöhung von 10 Prozent das Land kosten?
Wenn wir von einem durchschnittlichen Bruttolohn von 26.000 Euro ausgehen, kommen wir auf eine Gesamtsumme von etwa 150 Millionen Euro.
Im Haushalt des Landes sind derweil nur zwei Millionen Euro vorgesehen. Das heißt: es fehlen noch 148 Millionen.
(lacht) Richtig, es fehlen noch 148 Millionen für den Bereichsübergreifenden Vertrag, wobei wir dann auch noch über die Bereichsverträge reden müssen. Der Bereichsvertrag für die Landesbediensteten ist seit 2003 fällig, der von der Sanität seit 2010 und jener für die Gemeindebediensteten seit 2010. Also fehlen da noch weitere Millionen …
Nämlich?
Die Gewerkschaften gehen von 65 Millionen für die Landesbediensteten aus, von 30 Millionen für die Sanität. Und in den Verhandlungen mit dem Gemeindenverband geht es um 20 bis 25 Millionen Euro.
Woher das Geld nehmen und nicht stehlen?
Man muss berechnen, dass das Land, wenn es 150 Millionen Euro für den Bereichsübergreifenden Vertrag ausgibt, einen Teil des Geldes in Form von Steuern ja wieder einnimmt. Wenn man von einem Steuersatz von 28 Prozent ausgeht, sind das rund 45 Millionen Euro, die wieder in die Landeskassen zurückfließen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die Lebenshaltungskosten bei uns in Südtirol um 20 Prozent höher sind als in Restitalien. Und drittens: Gewisse Leute werden keine öffentlichen Beiträge mehr bekommen, wenn sie einen höheren Lohn haben. Ein ganz wichtigr Punkt ist dann noch die Rente …
Die Rente?
Ja, die jüngeren Leute gehen ja alle mit dem Beitragssystem in Pension. Je höher ihr Gehalt ist, desto höher ist die Rente.
Noch einmal die Frage: Woher das Geld nehmen?
Das Land hat vor fünf Jahren eine Expertengruppe eingesetzt, die den Auftrag hatte, den Landeshaushalt Kapitel für Kapitel auf Sparpotentiale zu durchleuchten. Ich frage den Landeshauptmann: Wo ist dieser Bericht? Was haben diese Damen und Herren in den letzten fünf Jahren getan? Sie werden wohl herausgefunden haben, wo die Einsparmöglichkeiten zu finden sind.
Sie haben vorhin gesagt, durch den Gehaltsstopp der vergangenen Jahre hätten die öffentlich Bediensteten einen Kaufkraftverlust von 10 Prozent erlitten. Wie hat sich dieser Kaufkraftverlust konkret geäußert?
Ganz einfach! Die Menschen haben keine Aufbesserung bekommen, gleichzeitig sind aber die Lebenshaltungskosten gestiegen, die Lebensmittel sind teurer geworden, das Wohnen ist teurer geworden. Der Strom kostet mehr.
Die Folge?
Die öffentliche Verwaltung hat zweifelsohne an Attraktivität verloren. Die Einstiegsgehälter sind niedrig. Sowohl die Gemeinden als auch das Land tun sich schwer, Personal zu finden. Gleichzeitig gibt es in Südtirol aber Kategorien, für die das Land die Millionen in kürzester Zeit findet.
Sie meinen die Gehaltsaufbesserungen für die Führungskräfte und für die Ärzte?
Richtig! Für die rund 500 Führungskräfte hat das Land in nur zwei Monaten 8,9 Millionen Euro bereitgestellt, für die 1.100 Ärzte 11,7 Millionen. Bezeichnenderweise mit dem Verweis auf die hohen Lebenshaltungskosten.
Für das arbeitende Fußvolk ist kein Geld da?
Für das Fußvolk ist kein Geld da.
Zwei Drittel der 42.000 öffentlich Bediensteten in Südtirol sind Frauen. Wie wirkt sich die Gehaltspolitik des Landes auf diese Frauen aus?
Viele Frauen arbeiten in Teilzeit. Es ist klar, dass sie bei der Rente benachteiligt sind, wenn die Gehälter nicht steigen. Bei diesen Frauen kommt weniger Rente heraus, und das könnte irgendwann zum Riesenproblem werden. Aber wir dürfen nicht nur über die öffentlich Bediensteten sprechen …
Sondern?
Es gibt nicht nur den Arbeitgeber Land. Die Gehaltserhöhungen sind auch ein Thema für die Privaten. Auch in den Bereichen Handwerk und Handel braucht es Zusatzverträge. Daher fordern wir: Das Land sollte mit gutem Beispiel vorangehen und seine Bediensteten ordentlich bezahlen und ihnen auf diese Art und Weise ihre Wertschätzung beweisen. Ich erinnere daran, dass den öffentlich Bediensteten vor den Landtagswahlen Gehaltserhöhungen hoch und heilig versprochen wurde.
Der LH schlägt auch vor, Gehaltserhöhungen in Gestalt von Dienstleistungen vorzusehen. Was meint er damit? Und: Lassen Sie darüber mit sich reden?
Es gibt den öffentlichen Gesundheitsfonds, der ist in Ordnung. Aber jetzt kann man es drehen, wie man will: Die Leute wollen mehr Gehalt sehen, sie wollen mehr Netto sehen. Ich höre das bei den Versammlungen. Da sagen die Leute: „Reden wir über den Gehalt, ansonsten brauchen wir nicht anfangen zu reden.“
Wie optimistisch sind Sie persönlich, dass die Verhandlungen von Erfolg gekrönt sein werden?
Ich kann mich nur wiederholen: Ich habe die Menschen draußen noch nie so aufgewühlt gesehen wie jetzt! In Österreich und Deutschland wurden für den öffentlichen Dienst Gehaltserhöhungen von 15% und 23% im Laufe der letzten 10 Jahre gewährt, während es hierzulande 2016 und 2017 insgesamt € 80 brutto für denselben Zeitraum waren.
Also befürchten Sie, dass die Stimmung kippen könnte?
Die Leute werden den Gewerkschaften zeigen, wo es langgeht und ihnen den Auftrag geben, hart zu bleiben. Die Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes derkatzt. Sie sind bereit, auf die Straße zu gehen.
Interview: Artur Oberhofer
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Kommentare (16)
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unglaublich
Die Frage: „Woher nehmen und nicht stehlen?“ kann bestens beantwortet werden. Das gestohlene Geld einfach wieder zurückgeben.
criticus
@einereiner
Leider stimmt Ihr Kommentar!
stanislaus
Kann es sein, dass die oberen 10000 am öffentlichen Gesundheitssystem nicht mehr interessiert sind, weil gut versichert und mit Privatkliniken gut vernetzt. Was ist mit den Zielvorgaben der sogenannten Führungskräfte, an die Prämienzahlungen geknüpft sind? Würden Ziele falsch gesteckt? Würden Prämien trotzdem ausbezahlt? Es braucht immer mehr Personal für Führung, Planung, Qualitätssicherung, Presse usw und doch läuft’s nicht besser… Vielleicht sollte man mehr in Personal investieren, das direkt am Patienten arbeitet?