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Der Einsame

Auf dem Virgl wurde vor wenigen Tagen die Leiche des 62-jährigen Straßenreinigers Karl Hofer entdeckt. Ein Nachruf von Arnold Tribus.

Auf dem Virgl sei eine Leiche gefunden worden. Das war die erste Nachricht.

Eine junge Frau, die sich offensichtlich auch in dem lange geschlossenen und dem Verfall preisgegebenen alten Hotel Bellavista/Schönblick aufhielt, hat den leblosen Körper eines Mannes entdeckt und die Polizei alarmiert.

Wir, die blutrünstige Presse, dachten natürlich sofort an einen Mord, oder an ein Rauschgiftdelikt. Man weiß, dass der Virgl, einst der Bozner beliebtes Ausflugsziel, ein Ort, den man mit Seilbahn oder Auto erreichte, völlig verkommen ist, vernachlässigt, heruntergekommen.

Noch in meiner Jugend hat man dort getanzt, Tennis gespielt, gegessen. Heute ist das alte Hotel ein Refugium armer Teufel, Drogenabhängige treiben sich dort herum und immer mehr Obdachlose, die dort Unterschlupf suchen und eine Bleibe finden. Wohl wie das Opfer, Karl Hofer, der in der Stadt ja bekannt war und dort zugrunde ging.

Ein trauriger Tod eines traurigen Menschen. Ein einsamer Mensch hat dort einen einsamen Tod gefunden.

Mich hat der Tod erschüttert, nicht weil ich den Mann ja flüchtig kannte, sondern weil es doch tragisch ist, dass ein Bürger dieser Stadt so elend zugrunde geht, dass er im kalten Winter in einem alten Gasthaus erfriert. Er war nur leicht bekleidet, er hatte also keine warmen Kleider am Leib, um sich vor der Kälte zu schützen. Und er starb an Hypothermie und wir haben das alle ganz cool zur Kenntnis genommen und weggesteckt.

Was wäre wohl geschehen, dachte ich mir, wenn es sich beim Opfer um einen extrakommunitären Mitbürger gehandelt hätte? Wir wären in die nationalen Schlagzeilen gekommen, ein Skandal wäre das gewesen, das reiche Bozen lässt seine Flüchtlinge oder Obdachlosen erfrieren. Der Bürgermeister hätte sein Fett abbekommen und die Soziallandesrätin auch. Aber es ist nur ein Unsriger.

Karl Hofer wurde nur 62 Jahre alt. Zum Sterben zu jung, und ich bin mir sicher, dass er ja gar nicht sterben wollte. Freilich, er hat sich in letzter Zeit aus der Gesellschaft ausgeklinkt, in der er ruhig und zufrieden lebte. Er hat seine Sicherheiten aufgegeben, seinen warmen Schlafplatz, und hat die Einsamkeit gewählt, wer weiß warum. Er war ja 16 Jahre Mitglied er Sozialgenossenschaft Oasis, eine sehr verdienstvolle Institution, bei der Menschen eine Beschäftigung finden, die im normalen Arbeitsbetrieb nicht leicht unterkommen. Er wohnte im Arbeiterwohnheim in Haslach, führte ein geregeltes Leben, war sportlich und feierte auch gerne.

Oasis erledigt in Bozen für die Stadtverwaltung bestimmte Gärtnerarbeiten, sie sorgen für Sauberkeit auf den Promenaden, sie kehren Straßen. Ich habe Karl Hofer als Straßenreiniger kennengelernt, operatore ecologico, sagen die Italiener, um den Beruf zu veredeln. Er war ein sehr ruhiger, höflicher aber zurückhaltender Mann, schüchtern, nicht sehr gesprächig.

Er ist ja allen aufgefallen, weil er ein kleinwüchsiger Mann war, ein Zwerg sagten wir, auch wenn der Begriff aufgrund der wertenden Konnotation heute vermieden wird. Er galt also als Invalide, der aber sein Leben immer gemeistert hat. Er hatte ja auch nicht ein leichtes Leben hinter sich, der liebe Gott hat es ja wirklich nicht gut gemeint mit ihm. In Barbian geboren, verlor er schon sehr bald beide Eltern, wurde als Waisenkind bei einem Bauern untergebracht. Dann zog es ihn in die Stadt, die ihn aufgenommen und ihm auch neue Möglichkeiten eröffnet hat. Im Herzen ist er immer traurig geblieben, und allein.

Und allein ist er auch gestorben. Mir ist das Gedicht „Vom armen B.B.“ eingefallen:

„Ich Bertolt Brecht, bin aus den schwarzen Wäldern, meine Mutter trug mich in die Stadt hinein… Und die Kälte der Wälder wird mir bis zu meinem Absterben sein.“

Er möge nun die Wärme und die Liebe finden, die ihm hier versagt blieb. Ruhe in Frieden!

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