„Nicht alleine lassen“
Cannabis-Produkte werden immer stärker und damit gefährlicher. Für Peter Koler, Direktor vom Forum Prävention, reicht es aber nicht aus, die Konsumenten zu warnen: „Sie werden trotzdem konsumieren. So grenzen wir sie nur aus.“
Tageszeitung: Herr Koler, Jugendliche konsumieren heute ein viel stärkeres Cannabis als früher. Denn die psychoaktive Substanz THC in Cannabis, die für den Rauschzustand verantwortlich ist, hat sich drastisch erhöht. Sie sagen aber, die reine Botschaft „Cannabis ist gefährlich“ kommt bei den Jugendlichen nicht an. Warum?
Peter Koler: Ja, mit der reinen Warnung vor der Gefährlichkeit können wir bei den Konsumenten nur sehr wenig erreichen. Bei den Jugendlichen ist es so ähnlich wie bei den Skitourenfahrern oder Extrembergsteigern. Auch wenn man sie über die Gefährlichkeit informiert, bringt das nicht viel. Im Gegenteil: Sie werden trotzdem konsumieren. So grenzen wir sie nur aus. Sie verstecken sich und dann wird es noch schwieriger, an sie heranzukommen. Das heißt: Die Jugendlichen greifen zu Drogen, egal ob diese gefährlich sind oder nicht. Es wäre also naiv zu glauben, dass die Jugendlichen weniger oder keine Drogen nehmen, nur weil man ihnen die Botschaft vermittelt „es ist gefährlich“. Es braucht also eine Risiko -und Konsumkompetenz.
Was heißt das dann konkret?
Es ist wichtig, Cannabis oder andere Drogen nicht nur zu dämonisieren, sondern es müssen Räume geschaffen werden, in denen die Jugendlichen über ihren Konsum sprechen können. Einfach nur zu sagen, die Jugendlichen dürfen nichts nehmen, ist nicht umsetzbar. Sie müssen also wissen, wo ihre Grenzen sind, wann es zu gefährlich wird und wo der Konsum stattfinden sollte. Also dass man etwa nicht in der Schule konsumiert oder während Risikosportarten usw. Die Frage sollte also im Vordergrund stehen: Wie können gewisse Substanzen konsumiert werden, ohne dass sie weitere Schädigungen auslösen? Zudem gilt es immer zu fragen: Warum nehme ich diese Substanz überhaupt? Steht also ein Genuss dahinter, oder nimmt man sie, um besser zu funktionieren oder ein Leid zu unterdrücken. Sie müssen also lernen, damit umzugehen. Zudem ist es wichtig, dass man ihnen Alternativen zum Konsum anbietet.
Und welche wären das?
Man bietet ihnen Plattformen, das können Erlebniscamps, Skitourenwochenenden, Kletterworkshops oder dergleichen sein, in denen sie erkennen, dass es auch Alternativen zu den Drogen gibt. Dort sind sie unter Gleichaltrigen, aber dennoch in einem geschützten Rahmen. Aus Erfahrung weiß ich, dass man die Freizeitdrogenkonsumenten hier sehr gut erreicht. Sie erkennen, dass nicht nur der Cannabiskonsum im Mittelpunkt ihres Lebens stehen muss. Zugleich lernen sie ihre Grenzen herauszufordern. Bei den „Problemkindern“ hingegen, also die nicht mehr zur Schule gehen und ein Drogenproblem haben, braucht es Sozialarbeiter, die aktiv werden. Das bietet Streetwork in Bozen, die sich aktiv mit den Jugendlichen auseinandersetzen, in Dialog treten und denen die Jugendlichen auch vertrauen können.
Erreichen diese Projekte, dann auch wirklich die Jugendlichen oder braucht es noch mehr?
Je mehr man sie bei den Projekten beteiligt, und je wichtiger diese Erfahrungen, die sie dort machen, für ihr Leben werden, desto weniger relevant werden die Substanzen. Die einzige Chance, die wir haben, ist also, dass wir auf einer Beziehungsebene mit den Jugendlichen arbeiten und sie nicht ausgrenzen. Wir können sie nicht alleine lassen.
Ist aber nicht auch das Problem, dass Cannabis verharmlost wird? Viele Jugendliche, aber auch Eltern unterschätzen die Gefahr, die durch Kiffen entsteht…
Ich würde eher sagen, dass Alkohol verharmlost und Cannabis verteufelt wird. Denn diese Diskussion um stärker oder härter wird meist nur bei Cannabis gemacht, bei Alkohol ist man hingegen weniger besorgt. Alkohol ist aber wesentlich gefährlicher. Hier fragen wir nicht einmal, ob der Jugendschutz eingehalten wird. Das heißt: Beim Alkohol schauen alle weg, aber bei Cannabis schreien alle. Zudem ist die Gefährlichkeit von psychoaktiven Substanzen immer etwas Individuelles. Für manche ist ein Joint gefährlich, weil er den Menschen einfach so aus der Bahn wirft. Andere hingegen können das ganz gut „händeln“ und spüren kaum Auswirkungen auf ihren Alltag. Aber es gibt natürlich Risikofaktoren, die mit dem Konsum verbunden sind, wie etwa zu viel, zu jung oder zu oft. Genau das müssen die Jugendlichen lernen.
Warum greifen Jugendliche zu Drogen?
Es ist möglich die psychologische Befindlichkeit zu steuern. Ich kann durch Substanzen, meine Gefühle in eine gewünschte Richtung lenken. Zudem ist bei Jugendlichen, dieses „ausprobieren wollen“ viel stärker verankert als bei uns Erwachsenen. Je mehr wir sie damit aber alleine lassen, umso gefährlicher wird es für sie.
Interview: Eva Maria Gapp
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