Die Kälber-Polemik
Vorarlberg fordert einen Stopp der Kälbertransporte nach Südtirol, weil die Tiere von der Sammelstelle in Unterinn nicht erst nach 48 Stunden Ruhepause weitertransportiert werden, sondern bereits nach sechs Stunden.
von Heinrich Schwarz
In Vorarlberg sorgen die Kälbertransporte nach Südtirol derzeit für hitzige Debatten. In den letzten Tagen spitzte sich die Situation zu.
Begonnen hatte die Diskussion bereits vor über einem Jahr. Neu aufgeflammt ist sie dann ab vergangenem Herbst. Damals gelang ein internes Schreiben der Vorarlberger Amtstierärzte an die Öffentlichkeit, wonach die Kälbertransporte nach Bozen oder anderen Destinationen in Italien und Spanien bereits im November 2017 gestoppt werden sollten. Die Transporte seien nämlich weder tiergerecht durchführbar, noch sei eine tiergerechte Mast in den Destinationen gesichert. Allerdings gingen die Transporte trotzdem weiter, weil geklärt wurde, dass die Transporte rechtskonform seien und ab Bozen ohnehin die dortigen Behörden zuständig seien.
Kurz nach Bekanntwerden im Herbst kritisierten Tierschutz-Experten die Kälbertransporte nach Bozen. Aus deren Sicht sind die Transporte nur legal, wenn die Kälber mindestens 48 Stunden in Südtirol bleiben, bevor sie weitertransportiert werden. Das sei offenbar nicht der Fall. Werden die Tiere nach nur wenigen Stunden weitertransportiert, müsse der Amtstierarzt die Abfertigung des Transportes verweigern.
Es folgte eine Intervention der Vorarlberger Grünen, die Brigitte Foppa, Grünen-Abgeordnete im Südtiroler Landtag, um Hilfe baten. Foppa reichte eine Landtagsanfrage ein, um offizielle Details über die Kälbertransporte und die einzuhaltenden Ruhepausen in Erfahrung zu bringen.
Foppa schreibt unter anderem: „Namhafte Experten sagen, dass Bozen nicht Bestimmungsort der Transporte im Sinne der EU-Tiertransportverordnung sein kann. Hierzu müssten die Tiere laut Legaldefinition entweder an Ort und Stelle geschlachtet werden oder zumindest für 48 Stunden ausgeladen werden, bevor sie weitertransportiert werden. Treffen beide Kriterien nicht zu, dann läuft der erste Transport weiter. Bei noch nicht entwöhnten Kälbern, die eigentlich bei der Mutterkuh sein sollten, sind dann strengere Regeln anzuwenden.“
Die Antworten von Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler, die von Ernst Stifter, Vizedirektor des Landestierärztlichen Dienstes, ausgearbeitet wurden und seit wenigen Wochen vorliegen, wurden in Vorarlberg bereits diskutiert.
Demnach haben im Jahr 2018 über 15.000 Kälber die Sammelstelle in Unterinn am Ritten (Firma Bozen Import GmgH) passiert. „Die Kälber stammen aus Vorarlberg, Nord- und Osttirol, Kärnten und Salzburg sowie aus Bayern und Südtirol“, so Schuler. Der Großteil werde von Unterinn aus an Betriebe in Oberitalien geliefert, der Rest nach Spanien und Polen.
Und dann bestätigt Schuler, was in Vorarlberg viele befürchtet haben: Die Kälber werden für mindestens sechs Stunden untergebracht, getränkt, in neue Gruppen eingeteilt und dann wieder verladen. Es werden keine Tiere an Ort und Stelle geschlachtet. Dies sei aber im Sinne der EU-Verordnung und eines Rundschreibens des italienischen Gesundheitsministeriums.
Laut Schuler sind die österreichischen in Kenntnis der Vorgangsweise. Es gebe einen ständigen Kontakt zwischen Südtirol und Vorarlberg. „Dem Landestierarzt von Vorarlberg wurden auch Unterlagen vom Gesundheitsministerium darüber übermittelt, wie die Bestimmungen in Italien anzuwenden sind. Es hat auch zahlreiche telefonische Besprechungen zwischen den beiden Veterinärämtern gegeben“, so der Landesrat.
Er betont, dass das römische Gesundheitsministerium die EU-Verordnung leicht anders als die Kollegen in Österreich interpretiere. Und: „Die Südtiroler Amtstierärzte halten sich genau an die Vorgaben des Gesundheitsministeriums. Das Ministerium hat am 8. Oktober 2015 die Sammelstelle von Bozen Import einer Kontrolle unterzogen. Dabei wurde die gesamte Vorgangsweise als perfekt gesetzeskonform erklärt. Laut unseren Informationen hat die österreichische Veterinärbehörde beim Versenden der Tiere sehr wohl korrekt gehandelt.“
Das Problem ist also klar: Es gibt einen großen Unterschied zwischen Österreich und Italien in der Auslegung der EU-Verordnung. Österreich sieht vor dem Weitertransport eine Ruhepause von mindestens 48 Stunden vor, Italien nur sechs Stunden.
In Vorarlberg gingen bei Grünen, SPÖ, FPÖ und NEOS die Wogen hoch, weil klar wurde, dass Bozen bzw. Unterinn nicht der endgültige Bestimmungsort der Kälber ist, sondern nur ein Zwischenstopp, wo die Tiere nur wenige Stunden verweilen. Von „Tierleid“ ist die Rede. Man sieht die Vorarlberger Behörden in der Pflicht.
Jetzt hat sich der unter Kritik stehende ÖVP-Landwirtschaftslandesrat Christian Gantner eingeschalten. Er verteidigt die Vorgangsweise. Sie sei gesetzeskonform, weil die Beurteilung der Transport-Ruhezeiten bei den Südtiroler Behörden liege.
Aber: Es gebe auch einen politisch-moralischen Aspekt in Bezug auf das Tierwohl. So wurden Verbote der Tiertransporte überprüft, was aber nicht möglich sei. Deshalb fordert Vorarlberg die Bundesregierung auf, bei der EU-Kommission eine Vereinheitlichung bei den Ruhezeiten einzufordern. Und Christian Gantner ruft den Vorarlberger Viehhandel auf, von weiteren Kälbertransporten nach Bozen abzusehen, solange in der EU bei Sammelstellen unterschiedlich lange Unterbringungszeiten angewandt werden.
Die TAGESZEITUNG hat mit Vize-Landestierarzt Ernst Stifter gesprochen, der für den Bereich Tierschutz zuständig ist. Er betont, „dass wir nichts anderes tun als die Vorgaben des Gesundheitsministeriums umzusetzen. Die Österreicher haben eine etwas andere Interpretation der EU-Verordnung und glauben, dass es richtig wäre, dass die Kälber 48 Stunden warten müssen.“
Stifter findet, dass sechs Stunden Ruhezeit vollkommen reichen bzw. sogar besser für die Tiere sind als 48 Stunden: „Für die Kälber ist es viel besser, wenn es schnell weitergeht und sie bald im Enddestinations-Betrieb sind. Die Kälber kommen ohnehin schon von der Mutter weg und mit anderen Tieren auf den Lkw. Nach dem Abladen werden sie wieder mit anderen Kälbern zusammengestellt und müssten mit den fremden Tieren wieder zwei Tage herumstehen – auch wenn sie noch so gut behandelt werden. Dann besser so schnell wie möglich in den Enddestinations-Betrieb, wo sie sich an die Tiere gewöhnen können, mit denen sie aufgestallt werden. Ich bin überzeugt davon, dass das viel besser ist – aus Tierschutzgründen und als Tierarzt.“
Die italienische Sechs-Stunden-Regelung erachtet Ernst Stifter also für gut. Und falls Österreichs Politik über die EU oder in Gesprächen mit Rom tatsächlich eine andere Regelung erwirkt, müsse man eben die entsprechenden neuen Anweisungen einhalten.
Der Firma Bozen Import stellt der Vize-Landestierarzt in Bezug auf den Transport und die Unterbringung in Unterinn ein ausgezeichnetes Zeugnis aus.
LESEN SIE MORGEN AUF TAGESZEITUNG ONLINE: WAS MORITZ LINTNER VON DER BOZEN IMPORT GMBH SAGT.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.